Gay Dad – Zu Gast bei der Rolling Stone Roadshow
Die Behauptung, dass in jedem Musikjournalisten ein frustrierter Musiker stecke,ist nicht nur steinalt, sondern auch falsch! Wie zum Beispiel die Briten Gay Dad beweisen, bei denen gar drei von fünf Bandinitgliedern für Rock- und Pop-Magazine schrieben. Das Quintett für die "Rolling Stone Roadshow" zu engagieren, hatte weniger damit zu tun, Ex-Kollegen eine Chance zu bieten, als mit unserer Philosophie, "New Voices" per Tournee zu präsentieren. Gay Dad erfüllen nämlich all unsere hohen Ansprüche aufs Beste: Sie sind über jeden Mainstream-Verdacht erhaben, und ihr Debüt "Leisure Noise" macht sie zu trendsettern für das nächste Jahrtausend. Sagt auch Englands Pop-Presse.
Noch nie hat Denise Johnson so schnell tanzen müssen! Dabei groovte die umtriebige Background-Sängerin schon für fast alle wichtigen Brit-Bands von Primal Scream bis Electronic. Doch das Ensemble, mit dem sie jetzt tourt, ist, da herrscht Einigkeit im englischen Blätterwald, das Aufregendste seit… naja, mindestens seit Oasis und deren Tortenscharmützel mit Blur. Wenn nicht seit Frankie Goes To Hollywood! Gay Dad sagen: „Dies ist die Musik der Götter.“ So etwas nennt man gemeinhin Hype. Gay Dad-Sänger Cliff Jones, auf Grund seiner Körpergröße und Unfrisur gern mit Crispian von Kula Shaker verwechselt, jobbte bis vor kurzem als Musikjournalist da weiß man halt, wie der Hase läuft. Für den ROLLING STONE referierte Cliff einst über Timothy Leary, und sein Buch über Pink Floyd erregte nicht nur David Gilmours Unmut. Unvollendet blieben die Biografien über seinen Helden Iggy Pop („Ich habe ihn nie persönlich kennengelernt Manchmal ist es besser, wenn man sich zu Leuten, die man schätzt, so eine gewisse Distanz bewahrt“, findet der stolze Besitzer eines »Lust For Life“-Tattoos) und Sly Stone („Man ließ mir doch tatsächlich ausrichten, dass ich Amerika nur im Sarg wieder verlassen würde.“). Nicht-Musikjournalisten behaupten ja, dass man zu diesem Job nur käme, wenn man Instrument oder Kehlkopf nun gar keinen richtigen Ton zu entlocken imstande ist Cliff liebte es jedoch, als Musiker über Musik zu berichten und erinnert sich auch liebend gerne an die schlaflosen Nächte nach seinem ersten Oasis-Gig. „Man sollte sich ständig neu definieren. Leute wie Nick Kent und Greil Marcus sind nicht kleine Götter auf Grund gewisser Formulierungen geworden. Vielmehr ist es ihre Begeisterung am Leben, die die Menschen mitreißt. Wenn man jung ist, kann man seine Gefühle noch nicht in Worte fassen undfindet sie eher in Songs wieder. Mittlerweile hab ich gelernt, mit Worten umzugehen. Ich sehe beide Tätigkeiten als Paralleluniversen.“ Mit seinem Wissen ließe sich natürlich relativ einfach eine Band für den „New Musical Express“ zusammencasten. Hat Cliffjones aber nicht – dann hätte er nämlich ein paar jüngere Menschenkinder ausgewählt! Denn die vier Dads (an der doppelhalsigen Gitarre tobt darüber hinaus die vorher bei Salad tätige, bekennende Lesbe Charley Stone) könnten – mal rein theoretisch – Britney Spears‘ (schwule?) Erzeuger sein und haben bereits Karrieren als Architekten und Astrophysiker hinter sich. Nun misst man sich mit Schulabgängern! – Schwamm drüber: „Freddie Mercury machte seine erste Platte mit 25, Bryan Ferry mit 26. Virginia Woolf hat gesagt, dass niemand einen Roman schreiben sollte, der noch nicht 30 ist, weil er vorher einfach noch nicht so weit wäre. Vielleicht sollte man auch erst so alt werden, bevor man eine Platte aufnimmt.“ – Tiger- und Adlerköpfe kann man sich dann immer noch auf die Jeans nähen! Nix Casting – es war ein langer, langer Weg hin zu den Titelblättern. Mit nicht wenig GerölL Cliffjones und der Schlagzeuger Nicholas Crowe, den seit der Schule ob seines Barry Manilow-Zinkens alle Baz rufen, beschriften ihn seit dem Alter von zehn bzw. neun Jahren gemeinsam. Cliffs Familie zog damals nach Sunninghill/Berkshire – Cliff schwört Stein und Bein, dass sein Dad, gay oder nicht, dies allein des Ortsnamens wegen tat. Statt über Mathe redeten die beiden irgendwann nur noch über obskure psychedelische Platten und erdachten sich ihre eigene Fantasie-Band Boot Fair Hot Dog. Dieses Projekt nahm immer wieder andere Namen an – eines Tages hieß es dann schließlich Gay Dad. Zu gut, zu schade für die Fantasie, für den Papierkorb – so was musste einfach Wirklichkeit werden! Fand auch Cliffs Kumpel Mick Houghton, der bereits KLF-Pressekampagnen recht erfolgreich abgewickelt hatte. Als weiterer Katalysator erwies sich Jim Irvin, der sich mal die Kritikerlieblinge Furniture (von Boy George geschätzt und fast ein Hit: „Brilliant Mind“) erdacht hatte und der heute Redakteur des Plattenteils von „Mojo“ ist Er produzierte später das zum Erfolg führende Demo zur ersten Gay-Dad-Single „To Earth WithLove“. In jenen Anfangstagen stand allerdings noch ein gewisser Dominic Stinton am Mikrofon – Cliffs Ego begnügte sich mit der Rolle des Gitarristen. „Ich hatte mir nie wirklich Gedanken darüber gemacht, ob ich je Sänger sein wollte“, macht Cliff kein Hehl aus seiner anfänglichen Schüchternheit „Aber als es dann aus irgendwelchen Gründen mit Dominic einfach nicht funktionierte, habe ich es eben selber probiert Mein Gott, viele Sänger waren in ihrer Jugend total schüchtern. Wir alle wissen, was aus Freddie Mercury für eine Bühnenpersönlichkeit wurde. Seine ersten Gigs absolvierte er aber mit dem Rücken zum Publikum.“ Und wir bestätigen hiermit, dass sich Cliffjones hinter Freddie Mercury nicht zu verstecken braucht! Genau so wichtig für das Anpeilen der Zielgeraden, das Abbiegen auf die Champs-Elysees war allerdings auch die Rekrutierung des Keyboarders James Riseboro, der eigentlich gar keine Ahnung hatte, was die anderen da so trieben. Er besitzt ungefähr 4000 Jazz-LPs, aber nur zwei Tonträger mit klassischem Rock – den von Clash hat er auch noch versehentlich erstanden. Dass Gay Dad die Avenida zu goldenen Wasserhähnen und perlmutternen Koksschälchen sind – damit darf man ihm aber ganz bestimmt nicht kommen. James ist Marxist“, informiert Cliff, „er wird schon auf dem Teppich bleiben. Er ist der Garant dafür, dass wir nicht wie Oasis enden werden. Mit einem Rolls Royce vor der Tür und einer Yacht im Hafen von Saint Tropez-.“ In der neuen Besetzung mit James am Keyboard und ClifF als Sänger spielten Gay Dad einen ihrer ersten Gigs in einer psychiatrischen Anstalt. ClifF lief herum wie ein Baptistenpriester, den man am Besten hätte da behalten sollen, und die Band verzettelte sich in einer endlosen psychedelischen Improvisation. Von den 100 Leuten hielten es bis zum Schluss nur noch knapp 20 aus – die aber brachten das Haus zum Rocken. Von nun an war alles möglich. Bevor aber auch nur ein einziger Ton an die vermeintlich gesunde Öffentlichkeit gelangte, sah sich ganz London zunächst mit Gay Dads Fußgängersymbol vollgepflastert – eine Aktion von Designer Peter Saville (Factory Records, Roxy Music etc.). Nun schmückt das Männchen J^eisure Noise“das Debütalbum. „Wir wollten etwas Einzigartiges, etwas, das man auf der ganzen Welt kennt Der Fußgänger repräsentiert jeden! Und jeder kann ein schwuler Vater sein was für viele immer noch schockierend wäre. Es gibt immer noch derart viele Vorurteile auf der Welt – beschämend, wenn wir diese mit ins nächste Jahrtausend nehmen. Dieser Fußgänger ist absolut harmlos, man muss sich nicht vor ihm fürchten. Niemals wird einer von uns enthüllen, ob er wirklich schwul oder heterosexuell ist“ Sagt Cliffjones und sammelt damit Pluspunkte. Da hilft kein Nachhaken – wo andere losgepoltert hätten, schweigt der Wissende. Wir erinnern uns an Brett Anderson. „Ich bin ein bisexueller Mann ohne eine homosexuelle Erfahrung.“ Höhö. Nur soviel von Gay Dads Seite: „Wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht, sieht man schöne Menschen mit schönen Seelen. Das Ganze ist nur eine Kopfsache.“ Nachdem der Fußgänger seinen Marsch durch die Hauptstadt aufgenommen hatte, zerrten sämtliche Plattenfirmen ihre Spendierhosen aus dem Schrank. Bald konnten die Kraftwerk-Kenner von Gay Dad keine Nobelrestaurants mehr ertragen, und London Records erhielten schließlich den Zuschlag – Weihnachten 1997. Baz erinnert sich: „Alle rieten uns davon ab, zu unterschreiben. Sie würden dort nicht mit Gitarrenbands umgehen können» Das erschien uns ein guter Grund, es doch zu tun.“ Die Musik der Götter – trotz „To Earth With Love“ und Cliffs „Velvet Goldrnine“-Posen auf der Bühne ist das kein Glamrock. Die 70er sind durchaus Gay Dads bevorzugte Ära – das aber eher wegen Pink Floyd, Queen und Amon DüüL Die 80er Jahre – das sind dann Talk Talk, Aerosmith und John Cale solo. Auf eindrucksvolle Weise füllen Gay Dad nun die Lücke zwischen Supergrass und Radiohead und beantworten die Frage, wie Mansun hätten klingen können, wenn sie nicht dem Wahnsinn anheim gefallen wären. Ein wenig von Roxy Music anno Eno findet sich schließlich auch noch. Warum der Albumtitel „Leisure Noise “ die Faust auf das Auge namens Gay Dad ist, erklärt der Drummer: „Es gibt viele Geräusche, die einen zur Weißglut treiben -Kindergeschrei, das Rattern des Rasenmähers, das Gedudel aus dem Radio des Nachbarn. Unter anderen Umständen jedoch, wenn man entspannt ist und Müßiggang pflegen darf, kann dieser Lärm eine willkommene, ideale Geräuschkulisse sein.“ Anschaulich klappert da das Kaffeegeschirr. -Heroes or villains? Die „NME“-Leser haben diesbezüglich abgestimmt: Die Mehrzahl hält Gay Dad für Betrüget Doch wer die Chose nur für nicht „neu“ genug hält, dem seien die experimentellen Single-Extra-Tracks angeraten – und ein wenig Geduld. Gay Dad werden wohl kaum – wie vor ihnen schon so manche „Wunder“, „Retter“, „Neuerer“ und „Antworten“ (auf was auch immer), herbeigeschrieben von den britischen Pop-Wochenblättern – zur Jahreswende wieder sang- und klanglos vergessen sein. Die Wissenschaft hat herausgefunden, dass durch Veränderungen (wie etwa Orts- und Berufswechsel) neue Gehirnzellen aktiviert werden – und darauf setzt Cliff, wie er nicht müde wird zu erwähnen. Er stellt nicht nur bizarre Konzerte an ungewöhnlichen, „Alice im Wunderland“-artigen Plätzen in Aussicht „Wir werden auf der nächsten Platte etwas total anderes machen, versprochen. Sonst enden wir ja als ,The Gayful Dead‘!“ – Und Cliffjones ginge dann als Jerry Garcia II“ in die Rock-Geschichtsschreibung ein. Auch nicht schlecht.. Frank Lähnemann RoaD SHOW