Ganzjährig Karneval
Wie schön wäre es jetzt, an dieser Stelle ein paar Witze zu reißen – über aufgelöste Bands, die in der Hölle keinen Platz mehr finden und deshalb wieder und wieder durch gesichtslose Stadien touren müssen, lauter Plätze mit Namen wie HSH Nordbank Arena oder Schlimmerem. Doch die Pressemeldung der Plattenfirma Universal ist topaktuell und duldet keinen Aufschub: New Kids On The Block sind zurück! Nach über 14 Jahren! Da wird der Mickey-Mouse-Club zur Oldie-Party. Donnie Wahlberg und Jonathan Knight feiern in den nächsten Monaten immerhin ihren 40. Geburtstag die drei anderen Chorknaben sind nur unwesentlich jünger. Wer kam bloß auf die Idee, das vor 24 Jahren unter die Teenies und „BRAVO“-Leser geworfene Vorläufermodell von Take That und N Sync zu recyceln? Leute, die auch heute noch ihrem Kinderzimmer die Treue halten und dort tagein, tagaus Super-Mario spielen oder die alten Tapes der „Drei Fragezeichen“ hören? Das könnte natürlich sein.
„Es ist zweifelsfrei die momentan am meisten gefeierte Rückkehr überhaupt. In den USA stehen die Fans bereits Kopf!“ kriegt sich die Presseabteilung von Universal kaum noch ein. Doch die Fakten sehen anders aus: Die Comeback-Single „Summertime“ schaffte es in den USA nur auf Platz 57 der „Billboard“-Charts und trudelt seitdem tiefer und tiefer. In Deutschland nimmt man sich darum gaaaanz viel Zeit und veröffentlicht den Möchtegern-Sommerhit lieber erst Ende August, ein Album folgt im September. Bis dahin werden die Gute-Laune-Sender „Summertime“ schon vorab rund um die Uhr dudeln, man wird über den fantastischen Vorverkauf der Welt-Tournee lesen und tolle Klatschgeschichten. Natürlich sind alle Kids in Top-Form, können es kaum erwarten, wieder gemeinsam auf die Bühne zu stehen, und keiner von ihnen macht das alles des Geldes wegen. Man selbst fühlt sich da wie Bill Murray in „Und täglich grüßt das Murmeltier“: Es ist längst klar, wie der Hase läuft, doch das kulturelle Hamsterrad dreht sich und dreht sich und dreht sich.
Alles macht weiter – auch Timbaland. Wie ein Trupp amerikanischer Militärberater in einer kleinen mittelamerikanischen Republik ist der Produzent neulich mit seinen Studio-Knechten beim „Eurovision Song Contest“ einmarschiert. Sicher, der Mann hinter Madonna, Justin Timberlake oder Nelly Furtado hat nur seinen Job gemacht. Er hat dem jungen Russen Diman Bilan eine mit allen Zuckerwassern des amerikanischen R&B gewaschene Power-Ballade auf den Leib produziert und ihm so zum Sieg verholfen. Das hätten die No Angels auch haben können. Das kann jeder haben, der bereit ist, für einen einzigen „Eurovision“-Auftritt sechs Millionen Euro hinzublättern.
Nun ist Timbaland natürlich nicht Dieter Bohlen, sondern tatsächlich einer der besten Produzenten der Gegenwart. Doch muss er deshalb alles und jeden mit seinem Trademark-Sound formen und glattschleifen? Sicher, niemand wurde gezwungen, die an „Believe“ Beteiligten haben es so gewollt. Doch wäre es nicht schön, als Endverbraucher wenigstens ab und zu etwas Anderes, Neues entdecken zu können? Vielleicht nicht beim „Grand Prix“ und ganz bestimmt nicht bei „Deutschland sucht den Superstar“. Kulturmagazine wie „Aspekte“ oder „Titel, Thesen, Temperamente“ scheiden ja leider auch aus – zu früh vergreist. Doch auch in den Feuilletons nimmt man Popkultur nur noch als buntes Hintergrund-Blubbern wahr. Als könnte man von einem Konzert der Silver Jews nicht genauso kenntnisreich berichten wie von einer Aufführung in Bayreuth.
Das Problem ist: Alle beschreiben nur noch konsensfähige Phänomene – denn das erfordert keinen eigenen Standpunkt – und erzählen amüsiert affirmativ vom Glamour all jener Bands und Künstler, die man oft schon seit Kindertagen kennt. Pop ist da keine Kunst mehr, keine Haltung, keine radikale Ausdrucksform. Pop ist einfach nur noch sinnfreies Spektakel. Ein Karneval, der das ganze Jahr dauert. Wäre es nicht toll, wenn wir einfach nur – so wie Bill Murray am „Murmeltiertag“ etwas an unserer falschen Einstellung zum Leben ändern müssten, und alles würde gut? Dann könnten wir es eventuell sogar schaffen, eine weitere kulturelle Zumutung dieses Herbstes abzuwehren: die Rückkehr der deutschen Filmklamotte alter Schule – nur echt mit dem Auftritt singender Schlagerstars. Til Schweiger bastelt da angeblich an einem dicken Schenkelklopfer namens „1 Vi Ritter – Auf der Suche nach der hinreißenden Herzelinde“. Supernase Thomas Gottschalk spielt den goldgelockten König Günther, und bestimmt tauchen auch noch seine Freunde, die Goldbären, auf. Aber jetzt raten Sie mal, wer Anfang Juli bei den Dreharbeiten vorbeischaut, um „einen Song in einem mittelalterlichen Club zu performen“? Richtig, die New Kids On The Block.