Ganz die Mutter: Prinz Harry, Lady Diana und die Gier nach Aufmerksamkeit
Heute erscheinen die Memoiren von Prinz Harry. Darin beklagt er die Kälte und den latenten Rassismus des britischen Königshauses. Für seinen Rachefeldzug und seine Gier um Aufmerksamkeit hat Harry ein schillerndes Vorbild: seine Mutter, Lady Diana
Am Tag, als Diana Spencer starb, waren ihre Söhne William und Harry 15 und 12 Jahre alt. Mit ihrem Sterben in einem Tunnel in Paris, an der Seite ihres letzten Liebhabers Dodi al-Fayed, geschah etwas Unbegreifliches: eine Geschichte, die so tragisch war, dass man sie kaum einem Romanautor abnehmen würde, wurde Wirklichkeit. Aufstieg und Leiden der Prinzessin Diana hatten die Welt über fast zwei Jahrzehnte träumen und trauern, staunen und schäumen lassen. Im Nachhinein mag man das grausame Ende als fast zwangläufige Volte des Schicksals sehen. Damals aber löste sie eine Schockwelle auf, die den Globus erzittern ließ wie zuvor vielleicht nur das Attentat auf Kennedy.
Die damals ohnehin fast absurde Heiligenansehung der ehemaligen Kindergärtnerin, die es kurzzeitig bis zur zukünftigen Königsgattin geschafft hatte, überdeckte wie glitzernder Mehltau die wahre Geschichte einer dysfunktionalen, aber in ihrem Scheitern auch nicht sonderlich außergewöhnlichen Familie. Gut, es war ein Kostümdrama, es gab als besondere Ereigniskarten die strengen und vielleicht bizarren Regeln der Monarchie. Im Grunde genommen aber war es so: Eine Ehe scheitert. Zurück bleiben der Gatte und die Gattin, die einander die Schuld geben und zwei kleine Söhne.
Millionen Familien müssen mit solchen Situationen leben und kommen damit, mehr oder weniger gut, zurecht. Selten scheitert das Leben danach so brachial wie im Falle Windsor gegen Spencer. Die Erschütterungen sind bis heute spürbar, also auch nach 25 Jahren noch. Der Rache – und der Geldgierfeldzug, den Dianas jüngerer Sohn, Harry, gerade mit dem lautest denkbaren Kampfgebrüll gegen seine Rest-Familie führt, wäre ohne das Schicksal der Prinzessin für ein Jahrzehnt und ihre seltsam und doch so erfolgreich kaschierte Egomanie nicht denkbar. Um es auf den Punkt zu bringen: wäre Diana eine gute Mutter gewesen, würde ihr Sohn heute vielleicht nicht der Ego-Berserker sein, der er ist.
Aber sie war es nicht, im Gegenteil.
Im kommenden Juni fahren meine Frau und ich zum ersten Mal seit der Geburt unserer Töchter allein für ein paar Tage weg, nach Italien. Es ist eine Premiere. Unsere Kinder, sieben und zehn Jahre alt, wollten wir nie in Obhut geben oder einfach ohne sie sein. Das ist nicht sonderlich heldenhaft, es ist ganz normal. Kinder brauchen ihre Eltern. Eltern wollen so viel Zeit mit ihren Kindern verbringen. Diana tat das nicht. Sie war zu beschäftigt: mit sich selbst.
Den Morgen ihres Todestages hatte sie noch vor Sardinien begonnen, mit Croissants und Konfitüre auf einer Luxusyacht. Von dort aus trat Diana die verhängnisvolle Reise nach Paris an, wo sich die ehemalige Prinzessin mit ihrem neuem Liebhaber Dodi al-Fayed weiteren Zerstreuungen hingeben wollte. Denn Paris und auch Sardinien waren nur kurze Etappen eines heiteren Sommers, den Diana – fernab ihrer Heimat und ihrer Kinder – verbrachte. Sicher: in deren Schulferien hatte man gemeinsame Tage verlebt, aber anschließend begann Diana eine vielwöchige Reise durch Europa. Sie flog nach Mailand zu Trauerfeier für den ermordeten Modeschöpfer Gianni Versace, dann weiter zum Mittelmeer, wo sie auf der Yacht des Harrod´s-Erben al-Fayed eincheckte und in See stach. Zwischendurch lag ein Besuch in Bosnien-Herzegowina für eine Kampagne gegen Landminen.
Letzteres ist ehrenvoll, keine Frage, wie viele Charity-Projekte, die die ehemalige Prinzessin anführte. Immer dabei, natürlich, denn wer Aufmerksamkeit braucht, benötigt die Presse: Paparazzi, Kamerateams, Journalisten. Das symbiotische Verhältnis zwischen Spencer und den Medien hatte sich stetig entwickelt und war für beide Seiten lukrativ. In den Jahren des Scheiterns der Ehe hatte Diana gelernt, wie man mit der Öffentlichkeit umgeht. In dem Buch „Diana – ihre wahre Geschichte“ ließ sie sich von Andrew Morton als betrogene Unschuld vom Lande portraitieren, die, vom Gatten verhöhnt und vom Palast schikaniert, Jahre der Qual hinter sich hatte. Ihre inner- und später außerehelichen Beziehungen zu unter anderen einem Reitlehrer und einem Herz-Chirurgen wurden ihr von der Öffentlichkeit verziehen. Als ihr Image zu kippen drohte, gab sie Martin Bashir ein legendäres Tränen-Interview. Das hörte sich dann – sie spricht über Charles – so an: „Ja, ich habe ihn vergöttert. Ja, ich war verliebt in ihn. Aber ich bin schrecklich im Stich gelassen worden.“ Dazu ihr signature-Blick, ganz scheu und unschuldig, Kulleraugen nach oben, großes Kindchenschema-Kino.
Tatsächlich war Diana die Hohepriesterin der zufällig bestellten Fotos – wir erinnern uns an die sinnierende Bikini-Di im Bugspriet der Dodi-Yacht. Klatsch funktioniert dadurch, weil Menschen ihre Gefühle mit denen derer abgleichen, die es (vermeintlich) zu etwas gebracht haben – beispielsweise vom Kindergarten nach Kensington. Dieses Foto von Irgendwo in Jetsetistan sagt: Ja, sie ist jetzt zwar mit einem etwas extrovertierten Multimillionär zusammen, aber, seht her – sie ist eine nachdenkliche Frau in den Dreißigern, die sich nichts vorschreiben lässt. Diana ließ sich von den besten Fotografen der Welt ablichten, in allen Rollen, die ihr gerade hilfreich erschienen: mal in der großen Robe der Society-Lady, mal mit kugelsicherer Weste. Diana, die Poserin. Von Menschen wie ihr, sagte sie einmal, würden nur Bilder übrigbleiben. Naja, und eine Schnulze von Elton John, die der ursprünglich über Marilyn Monroe geschrieben hatte.
Brauchte es nicht Frauen wie Diana?
Obwohl es auf den Bildern wirkt, war Diana Spencer immer sehr mit sich selbst beschäftigt. Sie, die vorher haargenau und detailliert gewusst hatte, welche besonderen Anforderungen die Ehe mit Charles an sie stellen würde, begann bald, sich über ihr Schicksal zu beklagen. Das Königshaus wusste damals nicht, damit umzugehen – und weiß es heute angesichts des Flächenbombardements von Harry und seiner Ehefrau, einer amerikanischen Serien-Nebendarstellerin, kaum besser.
Außerhalb der Palastmauern wurde Dianas dauerndes Klagen mit Genuss und Verständnis aufgenommen: War nicht genau dies der dunkle Punkt der Monarchie, der Beweis dafür, dass, sich eine Königin zu halten, ihre Familie und Hofstaat zu unterhalten, absolut unmodern waren? Brauchte es nicht Frauen wie Diana?
Diana hat ihre Mission Disruption des Königshauses Jahrzehnte bevor der Begriff zum Allerweltswort wurde, begonnen und erfolgreich durchgeführt. Ihre Söhne, einer von ihnen der zukünftige König, waren ihr dabei Instrument, jedenfalls nach der Scheidung. Vor allem Harry, ihr im Charakter ähnlicher, übernahm früh ihre Missgunst gegenüber dem Hof und dessen Reglement. Fotos zeigen Diana mit ihren Söhnen als fröhliches Trio, Botschaft: nur bei der Mama geht es den jungen Prinzen wirklich gut. In Wahrheit verbrachte Diana mehr Zeit mit sich selbst, als es ihre Kinder wohl gebraucht hätten. Sie machte William und Harry zu Spielbällen zwischen sich und dem Hof, obwohl sie sie davor hätte bewahren müssen.
Als nach der Scheidung die offiziellen Gala-Auftritte beendet waren, schuf sich Diana eine Welt, in der sie selbst der Mittelpunkt war – und alle folgten ihr. Die Charity-Prinzessin der Herzen war geboren und wurde zur weltweiten Mega-Marke. Vom Palast großzügig versorgt und ausgestattet, ging es dabei weniger um Geld als um die mächtigste Währung der Welt: Aufmerksamkeit. Heute wären es Klicks bei Instagram, damals waren es Cover auf Klatschillustrierten und Modemagazinen. Die Tabloids musste man in Kauf nehmen.
Ihre Söhne waren im Internat, so ist das mit Königssöhnen. Aber es ist hart für Kinder aus gescheiterten Ehen. Erst recht, wenn beide Eltern voll berufstätig sind, beide in zeitraubenden Jobs. Der Vater im Königshaus-Business, die Mutter auf der never ending Ego-Tour. Diana jettete um die Welt, mal in wohltätiger, mal in Lust-und-Laune-Fotomission. Liebhaber kamen und gingen, jeder ermöglichte der gewesenen Prinzessin einen Lebensstil, der den unermesslichen Reichtum der Windsors spiegelte. Diana war nicht bescheiden. Sie war eine junge Frau, die Genuss hatte am süßen Leben des Jetsets. Sieben Liebhaber listet das Expertenmagazin für gehobenen Klatsch, der „Stern“, auf.
Charles möchte man nicht zum Vater, Camilla kaum zur Stiefmutter gehabt haben
Wo blieben die Söhne? In Eton, dem Internat, beim Vater, bei der Großmutter und natürlich – wenn Ferien waren – auch bei Diana. Doch wie oft mögen sie ihre Mutter vermisst haben, in den alltäglichen Nächten? Sicher, man konnte telefonieren. Aber ersetzt das die Umarmung? Selbst der tröstende Satz „Wenn es ganz schlimm wird, komme ich dich holen“ konnte nicht fallen, wenn Diana am anderen Ende der Welt, vielleicht mit ihrer „großen Liebe“ Hasnat Khan, weilte. Liebe ist Nähe. Vor allem die zwischen Mutter und Kind.
Nein, natürlich ist die Rabenmutter Diana nicht für alles verantwortlich, was vor allem Harry in späteren Jahren trieb und jetzt munter und PR-trächtig und einträglich in seiner Jammerographie „Reserve“ berichtet: Das Kiffen, das Koksen, die Entjungferung hinter dem Pub, die Nazi-Uniform als Partyspaß, die Prügelei mit seinem Bruder. Das meiste geschah, als die ehemalige Prinzessin schon tot war. Doch die erzieherischen Grundlagen zur Wesensbildung werden früh gebildet. Sicher, Charles möchte man nicht zum Vater, Camilla kaum zur Stiefmutter gehabt haben. Aber wäre nicht gerade deshalb Dianas Aufgabe gewesen, da sie den beiden ja in Abneigung verbunden war und deren Gefühlskälte sie immer beklagt hatte, sich um ihre Söhne zu kümmern?
Harrys Buch, das heute erscheint, heißt „Reserve“ – und der Titel belegt schon all den Kummer des ehemaligen Prinzen darüber, eben nicht in der ersten Reihe zu stehen, sondern hinter seinem Bruder, William. So wie sich seine Mutter sich nicht mit ihrer Rolle am Hofe abfinden konnte, kann es auch ihr Sohn nicht. Eine Zeitlang sah es aus, als ob Harry klüger sei als die Mutter, auch, um seine eigenen Kinder zu schützen. Doch seine stille Flucht aus dem Königshaus – mit der sich alle abgefunden hatten – war nur die Ouvertüre zu einem multimedialen Schlag gegen seine Familie und damit die Institution, die ihm ein sorgenfreies Leben ermöglicht. Erst war da die „Netflix“-Serie, eine Art verfilmte „Bunte“ mit Harry und vor allem seiner ach so bemitleidenswerten Gattin aus den USA. Dann leakte das Buch, dann kamen die Interviews und nun ist der Schaden nicht mehr abzuwenden: für alle.
Frappierend ähnlich dabei die Parallelen im Umgang mit der Wirklichkeit von Mutter und Sohn. Beide betonten immer wieder, wie fatal für sie der Verlust von Privatsphäre in den Strukturen des Königshauses war. Um dann, diesem endlich entkommen, mit einer Macht in die Öffentlichkeit zu streben, wie man sie sonst nur von Kandidaten bei „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ kennt, und sich laut über das eigene Schicksal auszumären. Diana war auch hier für Harry, der sie verehrte, ein schlechtes Beispiel. Oder, etwas robuster geschrieben: Die Zeitbombe, die Diana – ohne Rücksicht auf das Seelenheil ihres Sohns – den Royals in den Palast gelegt hat.