Furchtloses Kammerspiel
Der dänische Autor Jussi Adler Olsen fasziniert mit seinem finsteren Krimi.
Dass die Dänen ein Händchen für kriminalistische Stoffe haben, weiß man spätestens seit der dort produzierten TV-Serien „Der Adler“ und „Kommissarin Lund“, die in Sachen TV-Krimikunst europaweit neue Maßstäbe setzten. Doch dass sich nun einer von ihnen anschickt, den schwedischen Krimigrößen Mankell und Nesser quasi im Alleingang den Rang abzulaufen, ist trotzdem eine kleine Sensation.
Ist man einmal eingetaucht in die irrwitzige Geschichte um die entführte Politikerin Merete Lynggaard, die seit einer halben Ewigkeit in einer lichtlosen Druckluftkammer tausend kleine Tode stirbt, wird einem aber sofort klar, weshalb sich der dänische Schwarzmaler Jussi Adler-Olsen mit seinem Thriller „Erbarmen“ auf den deutschen Bestenlisten tummelt. Denn Adler, der 1997 als Erzähler debütierte und im Folgenden zwei in seinem Heimatland mäßig erfolgreiche Krimis schrieb, gelingt hier etwas ganz Besonderes: ein kriminalistisches Kammerspiel, das in der minutiösen Beschreibung des Albtraums einer Frau zeigt, zu welchen Abscheulichkeiten die Bestie Mensch fähig ist.
„Der Auslöser ist oft ein scheinbar unspektakulärer, ein Bild in der Zeitung oder eine kleine Meldung“, beschreibt Adler jenen Moment, in dem bei ihm aus Gedanken Sätze werden. „Und ich wusste, dass ich diese Geschichte erzählen wollte, gegen alle inneren Widerstände. Denn die Vorstellung, mich in Merete hineinversetzen zu müssen, ging mir ziemlich gegen den Strich.“
Dass er es trotzdem getan hat, dankt ihm auch hierzulande eine wachsende Lesergemeinde, die sich nicht ohne Grund an die Thriller des genialischen, früh verstorbenen Stieg Larsson erinnert fühlt. Denn ebenso wie Larsson, der sich einen Dreck um gängige Krimiregelvorgaben scherte, setzt Adler ganz auf die Kraft seines Stoffs: Die Geschichte einer einst aufstrebenden jungen Politikerin, die ohne ihr Wissen von ihrer Kindheit eingeholt wird, und dafür büßen muss. Mit seinem knorrigen Ermittler des Sonderdezernats Q, Carl Morck, ist Adler zudem ein Charakter gelungen, der eine Menge über die dänische Seele verrät. „Gute Romane werden von Leuten geschrieben, die keine Angst haben“, befand dereinst George Orwell.
Adler ist so ein Furchtloser, der uns schonungslos in die dunkle Seele des Menschen blicken lässt. Dass er obendrein wie der Teufel schreiben kann und viel über des Menschen finsterste Obsessionen zu wissen scheint, macht seinen Roman zu einem der besten Krimis dieses Jahres.