Fürst der Finsternis: Ein Interview mit The Cure aus dem Jahr 1985
Weiter geht es mit unseren Interviews zum Hurricane / Southside 2012! Diesmal mit einem historischen Interview. Da Robert Smith kein Audienzen gewährte, präsentieren wir heute eine große The Cure-Story samt Interview aus dem Jahr 1985. Dazu verlosen wir zwei Tickets!
In diesem Jahr finden die Festivals Hurricane und Southside am Wochenende vom 22. bis zum 24. Juni statt – präsentiert vom ROLLING STONE. Wir stellen jede Woche einen Act des Line-ups vor – die großen ebenso wie die kleinen. Heute präsentieren wir mal ein besonderes Schmankerl. Da Robert Smith von The Cure keine Interviews im Vorfeld der anstehenden Festivalgigs geben wollte, haben wir in unserem Archiv gekramt, und eine wundervolle Story aus dem Jahr 1985 gefunden. Unser „DAS ARCHIV – Rewind“ (Infos und Preise dazu finden Sie hier) umfasst nämlich nicht nur alle Heft aus der Historie des deutschen Rolling Stone (die Ende 1994 beginnt), sondern auch alle Hefte des Musikexpress, der bereits 1969 an den Start ging. Die hier vorgestellte Story „The Cure: Fürst der Finsternis“ erschien in der Dezemberausgabe des Musikexpress im Jahr 1985 und ist eine Mischung aus noch junger Bandgeschichte und Interviews mit den Cure-Mitgliedern. Alle weiteren Texte und Interviews zum Hurricane / Southside 2012 finden Sie hier auf unserer Themenseite. Viel Spaß mit diesem Sprung in die Vergangenheit:
The Cure Fürst der Finsternis
von Gabriele Schröder
The Cure heißt die fünfköpfige Gruppe, Robert Smith der Mann hinter der Gruppe. Beide wurden sie lange Jahre belächelt: als verschrobene Finsterlinge, als Gruft-Götter, als unappetitliche Mischung aus Punks und Hippies. Doch siehe da: Plötzlich kommt Licht ins Dunkel – musikalisch wie finanziell. Denn schließlich, so der verschmitzte Smith, „wollen wir ja die Pink Floyd der 90er Jahre werden“.
Rollenspiele
Boy George ist eine altkluge Quasselstrippe, die passabel singt, lieber Tee trinkt als Liebe macht und Amerikas AIDS-verschreckte Jugend gefährdet. Sting ist ein ehemaliger Lehrer, der zu viele Bücher liest, die er nicht versteht, und daraus halbgare Texte drechselt. George Michael ist ein professioneller Langeweiler, ein geborener Pop-Beau, eine Wham-Hälfte, die gern als Ganzes gelten will.
Lange (Vor-)Rede, kurzer (Hinter-)Sinn: Normalerweise kann man auch Popstars auf ein menschliches Maß zurückschrauben. Normalerweise! Bei Robert Smith will die Entzauberung so einfach jedoch nicht gelingen. Wie man sich auch bemüht, aus den verfügbaren Informationen ein schlüssiges Bild zu formen: Die Mosaiksteine passen vorne und hinten nicht zusammen.
Wenn man glaubt, den Briten auf die Rolle des „Mad Bob“ festnageln zu können, präsentiert er sich als fußballspielender Biedermann. Wenn man der Überzeugung ist, Smith gehe am Rande des Suizids spazieren, veröffentlicht er rosarote Lovesongs. Wenn man schließlich feststellt, daß Smith in den Klauen seiner eigenen Paranoia umkam, dann lächelt der Angesprochene und spricht ganz selbstverständlich von Glück.
Lange Zeit, so kann man beim Studium der Cure-Presse feststellen, kaprizierte sich der gute Robert auf die Rolle des bösen Irren. Seine Spitznamen: „Doctor Doom“, „Mister Miserable“, „The Prince Of Paranoia“. Der Grund für diese Beurteilung lag auf dem Plattenteller: The Cure waren die Kultband des dunkelumflorten, düsteren Depresso-Rocks. Seit 1976 – damals entstand in Crawley/Sussex die Ur-Formation Easy Cure – fabrizierten sie den Soundtrack für alle Brückenspringer und Selbstmordwilligen. Sie waren, zusammen mit New Order, The Fall und Siouxsie & The Banshees, die Gralshüter einer konfus-morbiden Philosophie, in die Okkultes, Todessehnsucht und verworrener Kulturpessimismus reinspielten.
Doch schon damals begnügte sich Smith nicht mit einer Schublade. In allen Ländern, wo The Cure präsent sind, hat die Öffentlichkeit ein anderes Bild. „In Amerika“, so Robert, „gelte ich als Radikaler, als öffentliches Ärgernis, vor dem man die Jugend schützen muß. Das kommt wahrscheinlich daher, weil ich mir dort, weit weg von zu Hause, mehr Frechheiten rausnehme als in England. In Japan und Frankreich sind wir eine Teenie-Band, Superstars mit Fotografen am Flughafen usw. usw. In Neuseeland hängt uns das Doom & Gloom-Image an. Deswegen lächeln wir dort nur hinter verschlossenen Türen.“
Mit der Markenzeichen-Morbidität, das lernen Reporter und Fan, ist es nicht soweit her. Smith – Puddinggesicht mit rotverschmiertem Lippenstift-Mund, Haare wie eine aufgeplatzte Matratze – gesteht, daß „zu allen Zeiten ein ganz gewisser Humor in der Band vorherrschte. Aber das haben wir nie in den Vordergrund gestellt. Man hätte vielleicht gar an unserer Musik gezweifelt, weil lachende Gesichter einfach nicht paßten. Aber im privaten Kreis verhielten wir uns nicht so, als würden wir in einer Gruft proben oder in Särgen schlafen.“
Nitroglyzerin
Die ersten Vorurteile sind abgetragen. Noch ist unklar, wie die Rollenspiele des Robert Smith ausgehen. Wie alles anfing, weiß man um so besser. Die ersten Jahre von Easy Cure, wie die Band damals hieß, sind von untergeordnetem Interesse. Wichtig zu wissen: Es waren die Tage des Punk-Urknalls anno ’76/ 77 mit all den umwälzenden Spätfolgen. Im Sommer 1978 hat The Cure das Embryonalstadium hinter sich; der Geburt des „Trio Infernale“ -Robert Smith (g, v), Michael Dempsey (b), Laurence Tolhurst (dr) steht nichts mehr im Wege.
Als Geburtshelfer tritt Chris Parry auf den Plan. Dieser Mann hatte in seiner Funktion als Talent-Scout von Polydor schon 1976 versucht, die Sex Pistols für seine Firma zu gewinnen. Die verantwortlichen Geldgeber lehnten ab. Parrys Frustration wuchs. 1977 konnte er zwar mit The Jam und später mit Sham 69 zwei neue, wichtige Acts engagieren, aber als seine Vorgesetzten die Cure-Offerte ablehnten, entschloß sich Parry zum Risiko. Das Ergebnis dieses Entschlusses hieß und heißt Fiction Records, ist bis heute die künstlerische Heimat von The Cure und residiert in der Londoner Baker Street. Mit der Unterstützung von Parry nehmen Smith und Co. ihre Debütsingle „Killing An Arab“ auf.
„The Wall of Doom“, wie englische Journalisten den Cure-Sound seinerzeit tauften, ist roh und rudimentär. Bedingt durch die limitierten technischen Möglichkeiten besaß „Boys Don’t Cry“ (in England mit anderen Titeln veröffentlicht als „Three Imaginery Boys“) die Qualität eines Faustschlags.
Den kryptischen Krach aus dem Untergrund verdankt man der ungewöhnlichen Allianz von Smith und Parry, die ein Team abgeben wie Nitro und Glycerin. Smith – der „lunatic“, der kreative, manchmal unbeholfene Artist, ebenso extrem wie naiv, ebenso asozial wie moralisch; Parry dagegen der stille Lenker, die Vaterfigur, das „Portemonnaie“, der Vertrauensmann, das Geschäft.
Selbst für die bizarrsten und – wie sich oft herausstellt – wenig lukrativen Ideen seines Schützlings hat er stets ein offenes Ohr. Smith, der von 1979 bis 1984 die Doppelrolle als Cure-Chef und Banshees-Gitarrist bewältigt, arbeitet beispielsweise mit Siouxsie-Bassist Steve Severin unter dem Namen The Glove zwei Monate an der LP „Blue Sunshine“, die von einem Film über drogenbedingte Mordgelüste inspiriert wurde. Nicht gerade ein verkaufsträchtiges Thema. Aber Parry macht auch das möglich.
Ende 1979 gibt es erste Veränderungen. Bassist Michael Dempsey geht und wird von Simon Gallup ersetzt, einem Mann, der in den folgenden Jahren zum Haßliebe-Partner von Smith avancieren soll. Der Ärger ist vorprogrammiert. Das Trio-Lineup mit seinem kargen Gitarre/Baß/Schlagzeug-Sound wird aufgerundet durch den Keyboarder Matthieu Hartley.
Sentimental Journey?!
Das zweite Album „Seventeen Seconds“ entsteht in Quartettstärke, wird von Smith und Michael Hedges produziert und verliert an Schärfe und Schnelligkeit. Platzhalter des Zorns wird die Melancholie. Smith verteidigend: „Unsere Musik befreit den Hörer von seinen Resignationsgefühlen. Er setzt sich hin und hört Songs, die seiner Stimmung entsprechen; anschließend ist er sie los. Man kann nicht behaupten, traurige Lieder würden die Traurigkeit an sich glorifizieren. Der Hörer bekommt eher das beruhigende Gefühl, daß es anderen ähnlich geht wie ihm. Und dieses Gefühl kann einen sehr ermutigen.“
Breitenwirkung und Chart-Erfolg bleiben The Cure, die von ihrem ständig wachsenden Kultzirkel mit fast religiöser Inbrunst verehrt werden, erspart – oder verwehrt. Die Publikumsgunst mit den Ende der Siebziger in Londons Straßenbild auftauchenden Blitz Kids oder Neuromantikern zu teilen, fiel Smith sowieso nicht ein: „Nein, ich interessiere mich überhaupt nicht für mein Publikum. Wenn sie mögen, was wir tun, sollen sie kommen; wenn nicht, dann nicht. Wir müssen unser Publikum nicht kennen, genauso wenig wie sich unsere Hörer für uns interessieren sollten.“ Smith anno 1981.
Vier Jahre später, inzwischen soll den Cure das Kunststück gelungen sein, Independent-Glaubwürdigkeit und Top Ten-Status zu vereinbaren, ist der Grundtenor derselbe:“Ich habe viele Menschen getroffen, die von Musik besessen sind. Und einige Menschen, die obendrein von mir besessen sind. Aber wenn ich es nicht wäre, dann wäre es jemand anderes, dann wäre es vielleicht Religion. Diese Spezies Mensch braucht einfach irgend etwas, von dem sie besessen sein kann. Ich werde daran nichts ändern können.“
Obwohl sich der Mann mit dem Bizarro-Charakter in Interviews gerne als Lügenbaron gebärdet, gibt es in seinem Leben auch ganz feste Größen. Eine davon heißt Mary, ist seit über zehn Jahren seine einzige Freundin und lebt mit ihm in einem rein weiß eingerichteten, spärlich möblierten, unlängst gekauften Apartment im Londoner Stadtteil Maida Vale.
Zurück zur Chronologie: Der Faden wurde bei Seventeen Seconds fallengelassen. The Cure stehen noch am Fuß der Erfolgsleiter. Die Devise heißt: Arbeiten! Von Mai bis August 1980 stehen England, Europa, Neuseeland und Australien auf dem Tourneeplan. Ohne Keyborder Hartley, der im September seine Siebensachen packt, gehen die (wieder zum Trio reduzierten) Cure im Herbst nochmals Europa, Skandinavien und England an. Kein Wunder, daß Smith bei diesem Arbeitspensum manchmal nicht weiß, wann er wo aufgetreten ist. Kein Wunder auch, daß er bei diesem Marathon dann und wann die Nerven verliert.
Über das Alkoholiker-Image, das sich die Cure-Musiker „ertrinken“, wird später noch zu reden sein. Vorerst ein paar Anekdoten aus dem wildbewegten Tourneeleben der scheinbar gar nicht so gramgebeugten Depressions-Rocker: Robert, von Haus aus ein alter Rebell, gerät außerhalb Englands mit schöner Regelmäßigkeit in Konflikt mit der Staatsmacht. In Holland kam er mal stundenweise hinter schwedische Gardinen, weil er sich frühmorgens an einem Strand als unzüchtiger Exhibitionist betätigte. In Paris nahm man ihn fest-Anklage: Landstreicherei. In Deutschland verhaftete man ihn, als er – höchstwahrscheinlich sternhagelvoll – an eine mexikanische Bar pinkelte.
Womit wir beim Thema wären: Alkohol. Geht man von dem aus, was Mister Smith in den vergangenen Jahren zu diesem Thema geäußert hat, dann gehört heftigstes Absaufen zu den erklärten Lieblingsbeschäftigungen des Cure-Oberen.
„Man besäuft sich aus verschiedenen Gründen. Es gibt ’soziale Trinker‘, die aus Gründen der Geselligkeit das Glas heben – oder Emsamkeits- und Verzweiflungstrinker. Und dann gibt es noch die, die trinken, weil sie etwas machen wollen und nicht dazu in der Lage sind. Das ist die schlimmste Form des Trinkens. Ich glaube nicht, daß man durch Alkohol die Alltagsprobleme betäuben kann. Ich selbst habe mich eine Zeitlang allein betrunken. Aber das bringt nichts.“
Die Exzesse hinterlassen nichtsdestotrotz ihre Spuren. Man vergleiche alte und neue Fotos. „Wann immer ich mich in einem Schaufenster betrachte oder Fotos von mir ansehe, denke ich: Mein Gott, bist du fett und häßlich.‘ Dann setze ich mich auf Diät – mit dem Effekt, daß ich noch mehr saufe.“
Schmittchen Schleicher
„Ich wollte nie, daß The Cure zu erfolgreich werden. Klar, ich habe nichts dagegen, wenn mehr Leute unsere Platten kaufen, aber ich würde dafür noch lange nicht jeden Preis bezahlen“, sagt der Cure-Sprecher heute. Heute hat er auch gut reden: Im September des zur Neige gehenden Jahres pilgerten rund 12.000 Zuschauer zur Londoner Wembley-Arena, um Schmittchen und die Seinen in Aktion zu sehen. Mit Singles wie „The Walk“, „Lovecats“ und „In Between Days“ entwickelten The Cure schließlich und endlich auch Top-Ten-Qualitäten. Robert Smith, ein Star! Daß diese Karriere ein filmreiches Happy-End haben würde, hatte niemand vorausgesehen.
Als im April 1981 „Faith“ veröffentlicht wurde, zeigten die Daumen der Kritiker nach unten. The Cure waren, wie andere Heroen der New Wave, im Begriff, lahm zu werden. Smith knatschte, als sei er die englische Version von Neil Young. Der traurige Tiefgang verriet sich oft als oberflächliche Masche. Nicht nur die Texte und Themen, nein, auch das Cover präsentierte sich freudlos grau in grau. Bis zur „Pornography“, erschienen 1983, hält das Tief von Smith an. „FAITH“, so erinnert er sich, „sollte eigentlich eine positive Platte werden. Aber dann wurde sie aufgrund persönlicher Probleme, die wir alle damals hatten, sehr morbid. Das Schlimmste daran war: Wir mußten während der Tournee ein ganzes Jahr lang mit dieser halbreligiösen, dumpfen Attitüde leben. Wir trugen diese LP wie ein Kainsmal auf der Stirn. Das hat nicht gerade Spaß gemacht. Mittlerweile hasse ich sowieso dieses strapazierte Klischee von The Cure als der Depresso-Band schlechthin.“
„Pornography“ kündete vom Ende der alten Cure, war Ausdruck einer bandinternen Krise und das Ausrufezeichen Hinter einer langen, selbstquälerischen Entwicklung. Vorbei war’s mit den Migräne-Gitarren, der Heulboje, dem Seelen-Striptease, vorbei mit den unscharfen Album-Fotografien.
Die grauen Cover färben sich bunt, der Klosett-Existenzialist gibt zu, lieber Fußball zu spielen, als philosophische Probleme zu wälzen. Aus der unscheinbaren Larve schlüpfte ein bunter Schmetterling, den man in England bald „Nouveau Hippie“ taufte.
Nach der „Pornography“-Tour, so Manager Parry, riet er dem gestreßten , stets müden und launischen Smith, Cure probeweise aufzulösen. „Robert war zu dieser Zeit nur noch zynisch und bissig. Mit der Entwicklung der Band war er nicht mehr zufrieden. Er führte eine Dauer-Fehde mit Simon. Er brauchte dringend ein Jahr Urlaub.“
Der Streit zwischen Smith und Gallup eskaliert in einer Bar in Brüssel: „Ein Wort gab das andere, ein fürchterlicher Streit entstand. Um fünf Uhr morgens früh verließ ich die Bar, nahm mir ein Taxi zum Flughafen und wartete auf den nächsten Heimflug. Es war alles sehr dramatisch. Ich ließ meine ganzen Klamotten im Hotel und bin einfach Hals über Kopf getürmt. Nach dieser Nacht haben wir uns über ein Jahr lang nicht mehr gesehen.“
Gallup verließ The Cure im Juli 1982. „Gallup hatte sich verändert. Er gab vor, jemand zu sein – und diesen Jemand mochte ich überhaupt nicht. Er konnte mich umgekehrt auch nicht mehr ausstehen, weil er dachte, ich sei egoistisch und ignorant – was bestimmt richtig war, ihn jedoch einen feuchten Dreck anging. Er war lange Zeit mein bester Freund, aber plötzlich stellte ich fest, daß mich seine Gegenwart nur noch nervte.“
Befreit von den bandinternen Querelen nahm Smith einen stilistischen Kurswechsel vor. Anfang 1984 erschien, verpackt in ein ansprechendes Postkarten-Cover mit dicken Barockputten-Engeln drauf, die Kompilation „Japanese Whispers“. Neu war aber nicht nur das Drumherum, sondern vor allem auch die lieblich angerichteten Melodien und der stolze Hit-Hinweis: „Love Cats“, „Let’s Go To Bed“, „The Walk“.
„Viele Cure-Fans der ersten Stunde“, so Smith, „haben ‚Love Cats‘ aus Prinzip nicht gekauft. Dennoch hat diese Single mehr verkauft als jede frühere Veröffentlichung. Ich glaube, wir sind ehrlicher zu uns als andere Bands, denn wir kümmern uns einen Scheiß darum, ob die Follow up-Single zu ihrem Vorgänger paßt oder nicht. Unsere Motivation ist nach wie vor dieselbe wie zu der Zeit, als wir anfingen. Wir machen Musik, weil alle anderen Tätigkeiten wenig sinnvoll erscheinen und außerdem, weil es uns schlicht und ergreifend Spaß bereitet. Das ist nicht nur selbstgefällig, sondern auch höchst arrogant. Aber sei’s drum… Erfolg um jeden Preis hat mich, wie schon erwähnt, nie interessiert. Es würde mich auch tödlich langweilen, wie U 2 z.B. einen einmal gefundenen Stil immer wieder neu aufzulegen. Ich versuche halt, originell zu sein, indem ich Mittel aus den unterschiedlichsten Genres für meine Zwecke verwende. Natürlich klaue ich hier und da. Aber, mal ehrlich, wer klaut nicht?“
Kur mit Cure
Zu der Zeit, als Smith sich zum Theoretiker des Weltschmerzes aufschwang, die Erde zum Jammertal erklärte, Vanitas-Gefühle predigte und dunkel-romantischen Pessimismus verbreitete, zu dieser Zeit glaubte der Cure-Fan, Smith sei der Siegelbewahrer des Echten, Retter der modernen Musik.
Der Chef selbst findet das alles „doof“. Mehr noch – vorbehaltlose Bewunderung empfand er nicht nur als große Dubiosität, sondern auch als Belästigung. „Es macht mich nervös, wenn ich Fans begegne, die aufgrund der Tatsache, daß ich zu The Cure gehöre, eine bestimmte Handlungsweise von mir erwarten. Auch die Vorstellung, mit ein und demselben Publikum alt zu werden, hat mich immer nur erschreckt. Im übrigen verstehe ich nicht, warum irgendwelche Leute zu mir aufschauen – all I do is write songs and sing them.“ Wieder eine neue Rolle: Robert der Bescheidene.
The Pink Floyd of the 90’s
„The Top“, Album Numero sieben, ist nicht, wie vielfach angenommen, ein Solowerk von Smith. Er hat zwar als Komponist einen größeren Freiraum, teilt sich selten die Autorenrechte und spielt viele Instrumente selbst, läßt sich aber gern von Laurence Tolhurst (keys), Andy Anderson (dr), Phil Thornalley (b) und Porl Thompson (g, keys) unterstützen.
„The Top“, Jahrgang 1984, klingt anfangs so, „als habe man die Songs mit der falschen Geschwindigkeit aufgenommen“. Bei genauerem Hören stellt man dann fest, daß Smith wieder einmal das Steuer herumgerissen hat. Anstelle leichter Popware serviert er schwerverdauliche Drogen-Soundtracks, die entfernt an frühe Pink Floyd erinnern. Den passenden Einzeiler hat Smith schnell formuliert: „We’re gonna be the Pink Floyd of the 90’s.“
Nicht nur das ornamentenreiche Cover, auch der wüste Musik-Mischmasch aus Rohr-Gitarren, Glockenspiel, Flamenco-Gezupfe und Flöten verraten die psychedelische Herkunft. Robert Smith gibt’s dann auch noch zu: „The Top war ziemlich drogenbeeinflußt. Aber ich habe LSD drangegeben, weil sich meine eh verdrehten Wahrnehmungen dadurch überhaupt nicht veränderten und ich nur Kopfweh bekam.“
Kopfweh bereitete ihm zu jener Zeit aber vor allem die anhaltende Trennung von Simon Gallup. „Irgendwann fand ich es einfach blöd, die Fehde aufrechtzuerhalten. Eines Abends ging ich einfach in den Pub, wo er verkehrte. Als ich reinkam, verstummte, wie in einem Wild-Westfilm, jedes Gespräch.“
Der erwartete Showdown nach bleiernen Regeln blieb aus. Die Familie war wieder zusammen. Schon vor der eigentlichen Familienzusammenführung hatte es Veränderungen gegeben. Im Frühjahr 1984 gab Smith seinen Rücktritt als Banshees-Gitarrist bekannt. „Ich denke an diese Zeit mit gemischten Gefühlen“, sagte er später. „Die Rolle als Gitarrist hat mir gut gefallen, aber zum Schluß wurde es ein bißchen viel. Mit der Zeit wuchs aber auch meine Frustration, denn ich war nur Befehlsempfänger und hatte keine Kontrolle über das, was sich bei den Banshees artistisch abspielte. Da ich von Haus aus ein ziemlich zerrütterter Charakter bin, hat es mir nie etwas ausgemacht, zwischen The Cure und den Banshees hin und her zu pendeln. Aber schlußendlich war ich nicht der richtige Mann für diesen Job. „
Daß sich in der Beschränkung erst der Meister zeigt, wird sich bald zeigen. Vorerst entsteht – noch mit der alten Rhythmussektion Anderson/Thornalley – das Konzertalbum Concert – The Cure Live, das Aufnahmen von einer Englandtour im Mai ’84 versammelt.
Windpocken
Das vorläufig letzte Cure-Kapitel wurde mit „The Head On The Door“ überschrieben. Der Titel geht, laut Smith, auf seine Fieberträume zurück. Als Klein Robert nämlich mit Windpocken im Bett lag, sah er, vom Fieber verwirrt und zugleich ganz nah und ganz fern, einen schrecklichen Mann, der laut lachend auf der Schlafzimmertür thronte. Wie dem auch sei – The Cure mit dem wieder rekrutierten Simon Gallup und dem ehemaligen Thompson Twins-Taktgeber Boris Williams sind heute Stars. „In Between Days“ konnte er den Erfolg von „Love Cats“ wiederholen; „The Head On The Door“, bestückt mit den flamenco-inspirierten „The Blood“, dem japanisch klingenden „Kyoto Song“, dem tanzbaren „Close To Me“, ist wie sein Hauptmacher Robert Smith: widersprüchlich!
Aus dieser Widersprüchlichkeit resultiert alles: Pop-Cure, Depresso-Cure, Hippie-Cure, Dichtung und Wahrheit, Humor und Ernsthaftigkeit, Tiefgang und Oberflächlichkeit, dieser ganze Wahnsinn mit Methode.
Robert Smith hält sich für völlig normal! Er hatte, so erzählt er, die romantische Vorstellung, mit 25 zu sterben. Selbst den Tag hatte er sich ausgeguckt: 14. Februar 1984. Als der Datumsanzeiger sich auf den 15. zubewegte und Smith immer noch bei bester Gesundheit war, packte ihn die Enttäuschung: „Bastardsl It didn’t come true.“ Er eröffnet erstaunten Journalisten, daß „Boys Don’t Cry“ die Lieblingssingle von Andrew Ridgeley ist und The Cure deswegen für Wham verantwortlich seien.
Robert Smith hält sich für völlig normal! Daß er gerne mal – um der Erfahrung willen – jemanden töten würde – darüber referiert er stundenlang. Daß er „ohne jede Absicht“ alle Leute warten läßt, kann man ja zur Not noch glauben. Daß er aber seinen Verbrauch an rotem Lippenstift mit der Bemerkung entschuldigt – „Sonst wüßte ja niemand, wo mein Mund ist“ -, sollte uns nachdenklich stimmen.
Ach ja, bevor wir es vergessen: Hier noch unser Gewinnspiel! Wir verlosen 1×2 Tickets für das ausverkaufte Hurricane Festival. Wer mitmachen möchte, der beantworte zunächst diese Frage: „Wie hieß die Vorgängerband von The Cure?“ Die Antwort schicken Sie bitte per Facebook-Nachricht an unser Facebook-Profil. Aus den richtigen Antworten wird dann der Gewinner gezogen. Viel Glück!