Für alles gibt’s Experten. Wie kann es da angehen, fragt sich Guido Eckert besorgt, dass seine Expertisen schnöde ignoriert werden
Manchmal haut ein scheinbar banaler Satz richtige Krater. Besonders morgens – verschlafen, verkatert, verblödet „Hören Sie viel Radio?“, fragt mich da mein Hausarzt, von dem ich doch nur eine Schutzimpfung wilL Kann man mir etwa meinen übermäßigen Radiokonsum ansehen? Sollte das die Rache dafür sein, dass ich ständig umschalte auf der Suche nach halbwegs genießbarer Musik? Vermutlich schaue ich bei dieser Gewissenserforschung etwas gequält aus der Wäsche, denn ich ernte einen besorgten Gesichtsausdruck. „Ich bin jetzt immer dienstags im WDR zu hören“, sagt der mitfühlende Hausarzt, „als Experte für Kinderkrankheiten. Vielleicht hören Sie mich ja mal…“
Meine Schuldgefühle machen Desinteresse Platz. Das ist zwar nicht höflich, aber der nette Arzt kann schließlich nicht wissen, dass auch „der Heiner“ die letzten Pokerabende ruinierte, weil er ständig davon labern musste, wie er einmal, „nein, zweimal“, Internet-Experte bei Meiser und „Akte ’99“ war.
Mein Hausarzt ist sicher ein fähiger Doktor, wenn auch nicht gleich eine Koryphäe, und der Heiner ist ein cooler Computerspieler, wenn auch nicht unbedingt ein heller Informatiker. Genau dieses Wissen aber quält mich noch über Stunden. Warum bin ich eigentlich kein Experte? Und: Warum hab ich keine Kontakte? Denn, mein Hausarzt hat ’nen Jugend freund, dessen Bruder Hörfunk-Redakteur ist, und der Internet-Heiner hat zwei Fernsehfreunde, die ihn auf auf einer speziellen Liste platzierten- und deshalb sind beide nun Experten. Und ich kenne niemanden.
Als ich meiner Freundin abends erzähle, dass ich mir so meine Gedanken darüber mache, warum selbst eine Pfeife wie der Heiner im Fernsehen auftreten darf, da lacht sie erstaunlicherweise nicht mal aus Höflichkeit, sondern sitzt plötzlich ganz, ganz ruhig da. „Genau“, räuspert sie sich wie ein Oberstufenlehrer, „warum bist du kein Experte?“
In ihrem Tonfall schwingt das gesammelte Zivilisationselend mit Eine Krise weht herüber, mit unüberschaubareren Spätfolgen als jeder ungespülte Abwaschteller. Es stellt sich heraus, dass auch ihre beste Freundin schon zweimal in nachmittäglichen TV-Magazinen glänzen durfte, mit fundierten Expertisen zum Thema: „Was normale Frauen auf der Straße tragen“, weil sie ja in einer Boutique arbeitet – und eine Woche später gleich wieder, als Dessous-Expertin, zum Thema: „Was normale Frauen wirklich darunter tragen“, weil sie eben in einer Boutique arbeitet Selbst meine eigene Freundin ist dank ihrer besten Freundin bei einem Vormittags-Special schon „fest eingeplant“. Thema: „Wenn Frauen einparken“.
Natürlich als Expertin, weil sie schon zehn Jahre unfallfrei Auto fährt.
Es führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei: Ich habe Defizite. Das Klugscheißerische kann es nicht sein. Denn gegen einen bescheidenen Obolus verfüge ich über einen einschüchternden Wortschatz. Es kann auch nicht eine medial verstörende Mundfaulheit sein, denn gegen einen bescheidenen Obolus rede ich über alles und jedes. Es kann auch nicht fehlendes Fachwissen sein, denn wenn ich etwa an mein Lieblingsthema und damit auch an meine Lieblings-Expertin denke, also an Sex und damit an Erika Berger, dann möchte ich mir zurufen: „Hey, von dem Thema verstehst du mehr als diese Dame.“ Allerdings werden Frauen bei zwischenmenschlichen Themen bevorzugt geladen. Männer hingegen sind die geborenen Lochfraß-, Beutekunst- oder Randgruppen-Experten.
Die „Männer-Expertin“, wie sie dann gerne eingescrawlt wird, ist meist Lisa Fitz. Geradezu idealtypisch in ihrem Fall, wo das Expertensein den eigentlichen Beruf vergessen macht Ursprünglich war Frau Fitz wohl mal Kabarettistin, aber seitdem sie mit einem älteren Perser und einem jüngeren Kubaner rummachte, darf sie in jedem Fernseh-Special eine Expertise verknüsern. Natürlich über ältere Frauen und jüngere Männer. Oder umgekehrt.
Vielleicht sollte ich ja den Busen-Experten Russ Meyer beerben? Oder mich dem wachsenden Heer der Sport-Experten anschließen? Im Zuge der Neubesetzung von TM 3 schien sich ja ein Spezialisten-Engpass abzuzeichnen. „Wir müssen die Räume engmachen.“ So was kann ich auch, notfalls direkt nach dem Aufstehen. Andererseits mag deutsches Expertentum doch immer an eigenes Erleben gekoppelt sein. „Sie haben schon 1837 gegen einen Fußball getreten – was fühlten Sie dabei?“ Erstaunlicherweise sind nur die Internet-Experten jung. Und zwar richtig jung. Und ich damit zu alt. Meine eigentlichen Vorbilder sind eh die Universal-Experten, die für jedes Thema einsetzbar sind. Dazu zählen wir Wolfgang Joop, „Experte für Ästhetik, Bisexualität, Kunst und New York“ – sowie Anja Schute, die Ex von Roland Kaiser, zuständig für „Syk, Scheidung, Liebe und Leid“. Die Lichtgestalt aber ist und bleibt Verona Feldbusch. Ihr Zuständigkeitsbereich: „Welt Gott Alles.“ Der Dieter, ihr Ex, ist gar zum ersten Experten einer neuen TV-Sendung gekürt worden, „weil es vermutlich kein Thema gibt, wo der Dieter nichts zu sagen weiß“.
Zusammengefasst: Es ist vergebens. Ich bin eine Null, ein Verlierer. Tröstlich ist da nur die raunend kolportierte Information, dass es irgendwo da unten die verborgene Expertenhölle gibt, in der alle verblichenen Kandidaten zum Experten-Streit versammelt werden. Und zwar für ewige Zeiten. Ohne Moderator. Und ohne Sendeschluss.