Fünf Fragen an den RAF-Experten
Kein anderer Journalist hat sich so ausführlich mit dem Thema RAF beschäftigt wie Stefan Aust. Was sein Standardwerk "Der Baader Meinhof Komplex" betrifft, gibt er gern zu: "Ich habe natürlich die Hälfte der Unterlagen nicht auf offiziellem Wege bekommen. Aber das hätte ja jeder andere auch tun können."
Die erste Auflage erschien 1985. Haben Sie das Thema RAF jemals satt?
„Ich habe selbst nicht geahnt, dass ich mich so lange damit beschäftigen würde, als ich das Buch geschrieben habe. Ich dachte, nach drei Jahren Arbeit bin ich damit durch. Aber das Thema hat sich gehalten. Und wenn man über etwas viel weiß, dann sinkt nicht die Lust, sich damit zu beschäftigen, sondern sie steigt.“
Wurmt es sie nicht, dass so vieles immer noch unter Verschluss ist? Informationen, die sie gern hatten? „Ich bin zäh. Es gibt bestimmte Dinge, die möchte ich gern wissen, und da höre ich auch nicht auf. Nicht verbissen – ich kann auch damit leben, wenn ich diese Dinge nicht finde, oder erst in 20 Jahren. Aber ich bin ein alter Schatzsucher.“
Wie sehr kann man einem Informanten wie dem Ex-RAF-Terroristen Peter-Jürgen Boock trauen? Was für eine Beziehung haben sie nach all den Jahren zu ihm?
„Ich habe zu den Objekten meiner Berichterstattung, wenn man so will, immer eine gewisse Distanz gehabt. Gut. man ist mit dem einen vielleicht auf Du oder geht mal essen oder telefoniert miteinander, aber man kann sich ja erst mal nicht darauf verlassen, dass das alles stimmt, was die einem erzählen. Nun habe ich Boock zum ersten Mal interviewt, als er noch in Fuhlsbüttel in Haft saß, das ist 15 Jahre her. Bei den ersten Interviews hat er nie die vollständige Wahrheit gesagt. Er hat nicht gelogen, aber er hat – so wie auch in seinen Aussagen vor Gericht – seine eigene Rolle, gerade bei der Schleyer-Entführung, ein Stück kleiner gemacht, als sie wirklich war. Das finde ich ehrlich gesagt für einen Angeklagten auch nicht ganz illegitim. Aber er hat mir nie die Unwahrheit gesagt, das muss ich betonen. Als die Ausgestiegenen in der DDR nach der Wiedervereinigung aufgeflogen sind, wandte Boock sich an die Bundesanwaltschaft und machte seine so genannte Lebensbeichte. Da hat er absolut schonungslos alles berichtet, woran er beteiligt war. Wenn Leute ihn den ,Karl May der RAF‘ nennen, kann ich nur sagen: Das ist wirklich falsch. Und ich finde, man kann nicht von den Tätern erwarten, dass sie Aussagen machen, sich und andere belasten – und wenn sie das dann tun, ihnen vorwerfen, dass sie es tun. Das geht nicht.“
Warum beschäftigt die RAF die Deutschen immer noch so? „Die Ereignisse im Zusammenhang mit der RAF sind mit die dramatischsten in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik, wenn nicht überhaupt die dramatischsten, wenn man jetzt mal von der positiven, der Wiedervereinigung, absieht. Es war das einzige Mal. dass der Staat von innen angegriffen wurde, seine Autorität, seine Macht, sein Gewaltmonopol in Frage gestellt wurde. Es hätte eine Regierung darüber kippen können, wenn das in Mogadischu schiefgegangen wäre, insofern ist es kein Wunder. Es ist auch etwas anderes als zum Beispiel eine Naturkatastrophe. An der Geschichte der RAF kann man viele Dinge ablesen über Widerstand, Gewalt, Schuld, Verantwortung, die Reaktion des Staates. In der Realität ist es gleichzeitig auch eine Parabel für vieles.“
Beschäftigt einen Terrorismus – mit seiner suizidalen Grundhaltung, der absoluten Selbstaufgabe – vielleicht auch deshalb so. weil man es einfach nicht verstehen kann? „Ich verstehe es bis heute nicht. Das liegt vielleicht daran, dass ich kein besonders religiöser Mensch bin und an das Leben nach dem Tode nicht so richtig glaube. Und auch kein Interesse daran habe, mir durch die eigenen Taten und den eigenen Tod ein Denkmal zu setzen. Das Ganze hat sehr viel mit märtyrerhafter Haltung zu tun und einem gewaltigen Narzissmus.
Es gibt ja ein paar Schlüsselerlebnisse, die man hat. wenn man einen solchen Stoff recherchiert. Das war bei mir unter anderem ein Interview, das ich gelesen habe, mit den Eltern Ensslin. Da spricht der Vater – zu einem sehr frühen Zeitpunkt, nach dem Brandstifter-Prozess – von einer ,ganz heiligen Selbstverwirklichung‘. Das müssen Sie sich mal vorstellen. Da zündet seine Tochter ein Kaufhaus an, und er spricht von einer heiligen Selbstverwirklichung. O-Ton Vater Ensslin, ich befürchte, das ist religiöser Wahn. Der findet sich in allen Religionen wieder, zu allen Zeiten, auf allen Kontinenten. Ich kann so was nicht nachvollziehen. Deshalb bin ich auch kein Terrorist, sondern Journalist geworden.“