Fritz Rudolf Fries – Bebop ins Paradies
Wie Fritz Rudolf Fries den wagemutigsten DDR-Roman schrieb und warum das Land der unbegrenzten Möglichkeiten in einem Jazzsong verborgen liegt. Ein Besuch
Die alte Menschheitsfrage, wie man denn bitte schön ins Paradies gelangt, wurde nicht im Vatikan beantwortet, sondern in der sowjetisch besetzten Zone. Nicht von einem Theologen oder Staatsphilosophen, sondern von Fritz Rudolf Fries, einem jungen Jazzfan, der Mitte der Sechziger an der Ostberliner Akademie der Wissenschaften arbeitete und heimlich unter dem Schreibtisch seinen ersten Roman verfasste. Das Paradies fand er in einem Song von Dizzy Gillespie: „In The Land Of Oo-Bla-Dee“. Sein Buch heißt folgerichtig „Der Weg nach Oobliadooh“ und ist gerade in einer schönen Neuauflage erschienen (Die Andere Bibliothek, 34 Euro).
Fries wurde 1935 in Bilbao geboren und wuchs in Leipzig auf, wo er auch bei Werner Krauss, Hans Mayer und Ernst Bloch studierte. Heute lebt er in Petershagen, einem kleinen Dorf östlich von Berlin. In einem Haus am Ende der Straße, versteckt hinter großen Bäumen. Nur ein in den unauffälligen Holzbriefkasten geritztes „Fries“ weist auf den Autor des vielleicht wagemutigsten und zugleich untypischsten Romans aus der DDR hin. Der 77-Jährige sitzt umgeben von Büchern im ersten Stock. Zerbrechlich sieht der kleinwüchsige Mann aus. Seit drei Jahren habe er das Grundstück nicht mehr verlassen. „Ich bin gefangen in meinem eigenen Haus“, sagt er und deutet auf seinen Rollstuhl.
Auf eine andere Art gefangen fühlte er sich wohl schon als junger Mann. Die Literatur und der Jazz waren damals mögliche Auswege aus dem grauen DDR-Alltag. In „Der Weg nach Oobliadooh“ spielte er mit der deutschen Sprache Bebop. Er entlockte ihr einen Sound, so dynamisch und unberechenbar, so berauschend und süchtigmachend, so entgrenzt und voller Möglichkeiten, dass man im jungen Arbeiter- und Bauernstaat Angst um die Arbeiter und Bauern bekam. Der Roman sei sein „On The Road“ gewesen, so Fries. „Kerouacs Typen haben allerdings eine geografische Weite, um sich auszubreiten, wir konnten nur von Leipzig bis zur Ostsee. Und bei Kerouac ging das Ganze noch mal in die Höhe – durch den Drogenkonsum. Die einzigen Drogen, die wir hatten, waren Alkohol und Jazz.“ Und die waren verpönt. Jazz galt im Osten nach alter Nazi-Diktion als „entartet“, und Rauschmittel hatten in Romanen nichts zu suchen. Die sozialistische Kulturpolitik forderte eine am harten Arbeiterleben geschulte Literatur, die von der Ankunft des neuen, sozialistischen Menschen handelte.
Fries ging scheinbar darauf ein. „Der Weg nach Oobliadooh“ spielt vor dem Mauerbau, 1957. Peter Arlecq und Klaus Paasch studieren in Leipzig. Der eine Romanistik, der andere Zahnmedizin. Ihr Lebensmittel ist der Jazz. Der in Spanien geborene Arlecq ist nie ganz angekommen in der DDR und hat sich in der Literatur seines Heimatlandes eingerichtet. Paasch ist einfacher gestrickt, braucht keinen psychologischen Überbau, um seinen Frust über die Strukturen, in denen er lebt, im Alkohol zu ersäufen. Dann wird er auch noch ungewollt Vater und muss als Zahnarzt in einer Industriesiedlung arbeiten. Arlecq jobbt als Übersetzer und Dolmetscher, verschmäht die Literatur und sucht sich eine gewöhnliche Liebe. Zwischendurch sind die beiden mal genervt vom „blöden Fortschrittsgequassel“ der SED, beschließen, sich nach einem Count-Basie-Konzert im Berliner Sportpalast in den Westen abzusetzen. Sie kehren dann aber doch wieder zurück, und kurz vor Ende des Romans sind sie fein sozialistisch im Alltag angekommen. Doch die Sehnsucht nach Oobliadooh bleibt.
Arlecq hat seinen Namen nicht umsonst von Arlecchino, dem Harlekin aus der Commedia dell’arte – einer Figur, die immer lieber zwischen den Stühlen zu sitzen scheint, als sich ganz auf eine Seite zu schlagen. „Die Commedia dell’arte schafft sich Freiräume durch Sarkasmus und Ironie“, erklärt Fries, „und nichts ist hämischer als das scheinbare Einverständnis mit der Gegenpartei.“
Das hatte wohl auch die Staatssicherheit gemerkt und erkannte in „Der Weg nach Oobliadooh“ „das Werk eines uns von Grund auf verachtenden Snobs“. Natürlich durfte der Roman nicht erscheinen. Ein kolumbianischer Freund des Autors schmuggelte das literarische Rauschmittel jedoch 1966 in den Westen, und Uwe Johnson setzte sich für ein Erscheinen beim Suhrkamp-Verlag ein. Daraufhin verlor Fries, Vater von drei Kindern, seinen Job. Nur der Erfolg des Romans im Ausland bewahrte ihn wohl vor dem Knast. Doch von da an war Fries‘ Schicksal als Autor und Übersetzer der Gunst des Ministeriums für Staatssicherheit ausgeliefert. Schließlich ließ er sich – wie er sagt – „mit dem Teufel ein“. Aus Not und Neugier. Im Ausland sollte er Informationen sammeln – und kaufte dabei Jazzplatten, die er ins Land schmuggelte und im DDR-Radio spielte. Bis Mitte der Achtziger war er der IM Pedro Hagen. Zwischen den Zeilen seiner Romane arbeitete er sich jedoch weiter am System ab. Auch er war ein Harlekin.
Sein Leben im Zwiespalt, zwischen Widerspruch und Affirmation hat er gleich zwei Mal beschrieben. Zunächst in seiner Autobiografie „Diogenes auf der Parkbank“, dann – überzeugender – in seinem letzten Roman „Alles eines Irrsinns Spiel“. Er ist halt kein Bewohner der durch Fakten definierten Historie, sondern des unbegrenzten Möglichkeitsraums der Literatur. Ein neuer Roman ist auch gerade fertig. „Es geht um einen alten bettlägerigen Mann, der einen Anruf bekommt., Herzlichen Glückwunsch, Sie haben eine Weltreise gewonnen.‘ Zuvor hat er seinem Enkel das Kunstmärchen, Die Bremer Stadtmusikanten‘ vorgelesen, wo es heißt:, Was Besseres als den Tod, findest du überall.‘ Da denkt er:, Dann kann ich die Reise ja vielleicht antreten.'“ Fries lacht, zieht am Zigarillo, keucht. Trotz seines schwachen Körpers findet er immer noch den Weg nach Oobliadooh.