Freund von vielen
Zwar hat Joe Henry zahllose Songs für andere geschrieben und produziert, doch auch seine eigenen Platten sind exzellent
Joe Henry hat keinen Grund zur Klage. Einen Tag lang I über die eigene Musik sprechen – es gibt Schlimmeres. Sicher: Zu viele Journalisten reduzieren ihn noch immer auf seine vor vielen Jahren eher zufällig gemachten Alben mit den Jayhawks und verorten ihn darüber fälschlich im Americana-Lager. Doch sie alle begegnen Henry mit Respekt und werden auch das neue Album, „Civilians“, mögen. Henry weiß, dass die Kenner ihn schätzen. Joe Henry, den Produzenten von Allen Toussaint und Elvis Costello, Aimee Mann, Solomon Burke und Loudon Wainwright. Der manchmal mit seiner Schwägerin Madonna Lieder schreibt – gerade gestern wieder, in London, beim Familienurlaub. Dessen vielseitige Diskografie nicht sehr öffentlich stattfindet, künstlerisch aber über jeden Zweifel erhaben ist. Joe Henry, Freund von hundert Persönlichkeiten wie Tom Waits, Van Dyke Parks. Billy Bragg und Rosanne Cash – man sagt, jeder Kalifornier brauche nur zwei Stationen, um zu Joe Henry zu gelangen. „Eine neue Platte kündigt sich mir an, wenn die Zeit reif ist, das kann man partout nicht beschleunigen“, sagt er, „ich schreibe regelmäßig, und irgendwann tauchen da zwei, drei Songs auf, die mir etwas sagen wollen. Der Rest des Albums entsteht dann ausgehend von diesen ersten Ideen. Das Aufnehmen geht danach sehr schnell; ich suche mir die Leute, die zu dem Repertoire passen, und lasse sie bei mir zu Hause spielen. Zwei, drei Tage, dann einige wenige Overdubs – Zeit ist eine Farbe auf der Palette, und man muss sie nutzen. Lang ist nicht besser.“
Henry denkt an Solomon Burke, der von der raschen Arbeitsweise seines Produzenten verunsichert war und die Platte erst gut fand, als alle sie lobten und er einen Grammy bekam. „Ich musste die Sessions im richtigen Moment abbrechen – er begann sich zu wohl zu fühlen, das hätte dem Album geschadet.“
Die Geschichte seiner eigenen neuen Platte beginnt vor ungefähr vier Jahren, mit Allen Toussaint. Henry hatte schon lange versucht, seinen Freund und Mentor zu einem Soloalbum zu bewegen, doch erst Hurrikan Katrina und der Vorstoß von Elvis Costello fürdas gemeinsame, der Katastrophe trotzende Album „The River In Reverse“ hatte die Zusammenarbeit tatsächlich geschehen lassen. Plötzlich war Henry der Produzent von zwei Produzenten und Großmogulen des Songwriting. „Es war einschüchternd, natürlich: Man steckt plötzlich mitten in der Synergie dieser beiden beeindruckenden Künstler, die eigentlich keine Hilfe brauchen. Vor allem aber war die Situation unglaublich bedeutsam und die Platte natürlich ein Manifest – ich fühlte eine enorme Verantwortung. Allen hatte so viel verloren, und er hätte jeden Grund gehabt, niedergeschmettert zu sein. Aber stattdessen war er unglaublich zuversichtlich und auf eine erschütternde, seltsam erhebende Weise voller Energie. Es ging um all diese grundsätzlichen Dinge – Sterblichkeit, den Sinn im Absurden. Für mich wurden die Sessions zu einer lebensverändernden Erfahrung.“ Joe Henry ist dankbar dafür, dass diese Erfahrung nun zu einer Platte geworden ist, und erinnert sich an viele intensive Momente, die ihn tief berührt haben. Vielleicht, denkt er, ist „Civilians“ sogar die beste Platte seiner Karriere. Die Aufnahmen entstanden diesmal mit den Session-Größen Greg Leisz und Bill Frisell sowie seiner langjährigen Band: auch Van Dyke Parks ist kurz dabei. Henry entwirft seine Songs mit einer nahbaren, direkten Emotionalität, die Lyrics sind von literarischer Präsenz. „Es geht um einen Optimismus im Angesicht eines furchtbaren Kampfes und darum, seine eigene Ohnmacht anzuerkennen; eine ernüchternde, aber auch befreiende Einsicht.“ „Civilians“ ist auch eine politische Platte, auf der Bürger zu Wort kommen und das verloren gegangene Amerika betrauern. „Ich bin ein großer Lügner, wenn ich sage, dass ich über andere schreibe; tatsächlich schreibe ich sehr genau über mich selbst.“