Frenetisch gefeiert: BRIAN WILSON reproduziert „“Pet Sounds“; die gnade der späten tournee
Früher war natürlich alles schöner, aber es gibt auch Gerechtigkeit im Leben. Und so bereist Brian Wilson – blinder Seher, kindliches Genie, Drogenproband und Gegenstand zahlloser Anekdoten – erstmals in seinem Leben die alte Welt, vier Jahrzehnte nach seinen größten Erfolgen mit den Beach Boys. Ein Beispiel für amerikanischen Protektionismus und die Hermetik von Wilsons Geisteszustand. Finanziert wurden die paar Konzerte nicht von den so genannten Musikjournalisten, obwohl die Gästeliste nimmer endet und die höheren Ränge leer bleiben.
Doch welche Euphorie! Kaum tapert Brian wie ferngesteuert an ein Kinder-Keyboard, das er nicht bedienen wird (der Film „“Zeit des Erwachens“ ohne Erwachen!), springen die ersten Aficionados von den Sitzen. Zehn Musiker stimmen das launige Lied „“Brian Wilson“ von den Barenaked Ladies an: „“Lying in bed/ Just like Brian Wilson did.“ Grotesk! Und wirklich, der grenzmalade Rekonvaleszent trägt eine graue Trainingsjacke über dem ausgezehrten Leib, er bewegt sich wie ein frisch Operierter, so als habe er eben mal Ausgang. Doch es brennt ein Feuer in der Ruine: Immer wieder schreit Brian „“Wow!“, „“Alright!“, „“Thank you“, gar „“Dankescheen!“ – „in English it’s Thank you, in German it’s Dankescheen!“ wiederholt er mehrfach fasziniert. Allerliebst amüsiert er sich auch über den Jokus, das Publikum die Feuerzeuge zücken zu lassen, um dann festzustellen: „“And no smoking!“ Brian gibt den Rocker: „“How loud can you scream?“ Man ist ein wenig befremdet.
Zumal der Sagenumwobene mit einem matten „‚Til I Die“ beginnt und so gewissermaßen das Ende vorwegnimmt. „“California Girls“, „“In My Room“, „“Add Some Music To Your Day“, „“Surf’s Up“ und „“Heroes And Villains“ werden von der Band lieblos heruntergenudelt, viel zu laut und ohne inneren Bezug zu dem Mann, der die Songs immerhin geschrieben hat und immer noch – oft brüchig – singt. Brian wedelt auf seinem Schemel mit den Händen und macht mechanische Ansagen („“For my late brother Dennis“), verweist auf „“poetic lyrics“ und führt überhaupt durch sein Werk wie durch ein fremdes Museum. Einmal fallt ihm sogar ein, das ein Song irgendwann Nummer eins der amerikanischen Charts war. Lange her. Das Schauspiel, längst wie bei Karl Moik, endet gnadenreich in der Pause.
Und dann reut uns der Defätismus. Denn jetzt verkündet Brian, man werde „“Pet Sounds“ komplett spielen, alle 13 Songs. Noch hält man die Ansage für einen besonders köstlichen Witz, da folgt auf „“Wouldn’t It Be Nice“ schon „“You Still Believe In Me“. Und je länger die Musiker das rätselhaft verzahnte Wunderwerk reproduzieren, desto mehr wächst wieder die Bewunderung für den Schöpfer dieser herzerwärmendsten Musik der Welt, dieser Harmonien, dieser unwahrscheinlichen Instrumentierung, dieser schieren Schönheit. Bei „“Caroline, No“, dem berückendsten Lied über verlorene Unschuld, rinnt die Träne – mit dem größten Recht. Standing ovations.
Und nun lässt Brian ohnehin alle aufstehen: „“Barbara Ann“, „“Help Me“, „Rhonda“, gar „“Surfin‘ U.S.A.“, „“Fun Fun Fun“ und „“Surfer Girl“ – alles tanzt. Nur Brian Wilson sitzt noch, lässt sich eine Bassgitarre bringen, steht ein bisschen herum, gibt das Instrument wieder ab. Zum letzten Mal kommt er zurück, frenetisch jetzt der Applaus, und singt ein Lied, „“so that you can drive home happily“: „“Love And Mercy“.
Man begreift, dass diesem Mann die Gnade schon zuteil wurde, aber mitteilen kann er sie nur über Musik. Der Rest ist das Unaussprechliche: die Mystik in Gestalt eines Mannes, der Stimmen im Kopf hört, der an Peter Seilers‘ einfältigen Gärtner Mr. Chance erinnert. So wird dereinst auch Brian Wilson übers Wasser gehen. Being there.