Freistoß-Hexer, Stil-Ikone, Sex-Idol, Geldmagnet, Religionsstifter: Das Gesamtkunstwerk David Beckham transzendiert Kulturen

Pater Ramos setzte sein gütigstes Lächeln auf, als er in den Abendnachrichten von seinem Coup berichtete. Zuerst sei er etwas verärgert gewesen, weil die David-David-Sprechchöre und das hysterische Kreischen vom Hotel gegenüber seine Predigt gestört hätten. Dann erst sei er sich, als Fan von Real Madrid, der ganzen Tragweite dieses Tumults bewusst geworden und habe gehandelt. Der Pater verließ seine Kirche, begab sich unter die läufigen Frauen und erklärte David Beckham zum „Gottesgeschenk“, für das man dankbar sein müsse. Danach, so der gewitzte Geistliche, sei das Gotteshaus so voll gewesen wie sonst nur an Ostern.

Voll war alles in Madrid, als Anfang Juli Becksmania dort Einzug hielt Die Medien mit allen erdenklichen Superlativen über „El Lord Ingles“, die bis spät in die Nacht hinein feiernden Anhänger der „Königlichen“, und natürlich die Basketball-Halle, in der die Präsentation der Lichtgestalt stattfinden musste, weil die fast 700 zu diesem Zweck akkreditierten Journalisten aus 78 Ländern die üblichen Lokalitäten gesprengt hätten. Beckham kam, ließ sich von Alfredo di Stefano das Real-Jersey mit der Nummer 23 überreichen, sagte ein paar Artigkeiten, jonglierte ein bisschen mit dem Ball und wurde von einem kleinen Jungen umarmt, den er mit seinem Trikot beglückte. Eine Geste, die allenthalben für Verzückung sorgte. Weil sie spontan war und also von Herzen kam, wie diverse Gazetten recherchiert haben wollten.

Der Begriff „Messias“ wurde bemüht, die katholische Kirche intervenierte.

Am Tag davor war Becks medizinisch durchgecheckt worden, drei Stunden lang, live übertragen von Real Madrid TV. Sechs Minuten lang fokussierte die Kamera auf jenen rechten Fuß, der in Gedichten und Songs verewigt wurde und für den derzeit eine Opernarie komponiert wird, als Teil einer Fußballoper, die in Rom zur Aufführung kommen soll. Beckham ließ alles mit der ihm eigenen, fast schüchternen Freundlichkeit über sich ergehen. „Englands Verlust ist Spaniens Gewinn“, jubelte die Schlagzeile eines Sport-Magazins, eine nüchterne Feststellung, legt man die ökonomische Messlatte an. Das dämmerte auch manchem Skeptiker, der die 40-Millionen-Dollar-Ablösesumme und das 8-Millionen-Dollar-Jahnesgehalt für überzogen hielt, als die ersten 8000 Becks-Shirts binnen Stunden vergriffen waren, Ronaldos Hemd war an dessen Vorstellungstag nur 2000-mal nachgefragt worden. Neue Dimensionen der Idolatrie, schier grenzenlose Möglichkeiten der Vermarktung.

Vor allem in Fernost Dort ist Beckham eine eingeführte Marke. In Japan erreicht er mit 92% einen höheren Bekanntheitsgrad als jeder andere Nicht-Japaner und einen vielfachen seiner künftigen Real-Kollegen zusammengenommen. Als Beckham im Juni für ein paar Tage durch Asien reiste, zur Ankurbelung der Beckham-Industrie, spielten sich seltsame Szenen ab. Zigtausende strömten in Stadien, um eine Viertelstunde lang einem einzelnen Mann dabei zuzusehen, wie er einen Ball mit dem Fuß traktiert und gewinnend in die Runde winkt. In Vietnam bekamen Kinder schulfrei, in Thailand mussten Massenaufläufe von der Polizei zerstreut werden, und in Malaysia beteten Mönche für die Gesundheit von Beckhams unteren Extremitäten. Derweil der zum Zen-Master ernannte „Bekkamu“ über mehr Fanclubs in Japan verfügt als die gesamte restliche Balltreter-Zunft Europas: 3000. Ob David Beckham einem Flugzeug in Bombay oder Kairo entsteigt, in Sydney oder Los Angeles, überall warten Fans, weibliche zumeist, um einen Blick auf den Glamour-Boy zu erhaschen.

Auf rund 400 Millionen Dollar wird die Marke Beckham geschätzt. Und ihr Marktwert wird sich, so die Londoner „Times“, in den nächsten Jahren „mindestens verdoppeln“. Weshalb sich Beckham um sein von der englischen Presse generell als nicht ausgereizt bezeichnetes Real-Salär nicht grämen muss. Von seinem Asien-Trip hat er Werbeverträge mitgebracht, die ein Mehrfaches einbringen werden. So lässt sich ä Konto ein wenig versüßen, was dem Kicker Beckham sauer aufstieß: Er wäre gerne bei Manchester United geblieben. „Für Man-U zu spielen ist alles, was ich jemals wollte“, sagte er noch nach seinem Real-DeaL Deshalb hatte es das aus Leytonstone im Osten Londons stammende, in eher ärmlichen Verhältnissen aufgewachsene Ausnahmetalent in Englands Norden verschlagen, wo Beckham 15 Jahre lang für seinen Traumclub Präzisionsflanken schlug, Freistöße ins Netz zirkelte und alles gewann, was es für einen Gub zu gewinnen gibt. Von Coach Alex Ferguson und Captain Roy Keane im Grunde aus dem Team gemobbt, ergriff der Gedemütigte nun die Gelegenheit zum Wechsel nach Madrid. Wobei die Sympathien der Engländer mehrheitlich dem ins Fußball-Exil getriebenen Helden gehören. „Beckham sets the nation’s emotional agenda“, schrieb dazu „The Observer“.

Das war schon so, unter negativen Vorzeichen, als der 23-Jährige bei der WM ’98 durch ein läppisches Revanche-Foul das Ausscheiden gegen Argentinien verschuldete und zum bestgehassten Mann Britanniens avancierte. „Die meisten anderen Spieler wären daran zerbrochen“, meint Sir Alex noch heute, „nicht so David, er biss sich durch, wuchs über sich hinaus.“ Worin ein Teil des Beckham-Mythos liegt Spottverse hin, Morddrohungen her, was zählt, ist auf dem Platz. Mal im Dummsprech der Sportreporter ausgedrückt. Der andere Teil ist sein Gesicht, sein Körper, sein Aussehen, sein Auftreten. Eine Projektionsfläche für Wunschträume, sodieWerbe-Tycoonsvon Saatchi 8C Saatchi, ein Anreiz für beinahe jedes Produkt. David Beckham ist der Welt höchstbezahlter Werbeträger. Weil er wirkt. Der Umsatz von Brylcreem stieg nach einer Becks-Kampagne um 50 Prozent, Vodafone verkaufte in einer Woche 90 000 Becks-Geräte, der Umsatz von Police-Sonnenbrillen verdoppelte sich nahezu. „God forgives even David Beckham“, hatte ein Vikar in Nottingham auf ein Schild vor seiner Kirche geschrieben, nach dem WM-Desaster vor fünf Jahren. So viel Gnade war nie.

Trotz jenes protzigen Lebenswandels zwischen Blattgold-Armaturen und Kristall-Kronleuchtern in „Beckingham Palace“, trotz der geringen Halbwertzeit seiner Frisuren und Klamotten. Oder vielleicht gerade deshalb. Die schwarzen Kids in England haben ihn jedenfalls aufs Schild gehoben. „Becks is an honorary brother“, sagen die Herausgeber von „Pride“. Ihnen imponiert, wie er sich mit Schmuck behängt und Bendey fahrt, wie er Modetrends setzt, die in Mailand kopiert werden, wie er einem ganzen Berufsstand erkleckliche Einnahmen garantiert, indem er alle paar Wochen mit einer neuen Haartracht aufläuft. In Manchester wurden derlei Extravaganzen nicht gern gesehen, schon gar nicht von Alex Ferguson, aber Manchester ist längst zu klein für David Beckham. Seine Autobiografie heißt, nicht übertrieben, „My World“.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates