Freischwimmer aus Camden
Graham Coxon traut sich auf seinem neuen Album in tiefere Gewässer und erforscht seine Emotionen
Ich habe mich schon darauf eingestellt, daß die Leute sagen: ,Das Album klingt ja genauso wie das letzte.‘ Aber das ist mir egal. Für mich war es ein großer Schritt“, gesteht Graham Coxon ganz, ganz leise und schaut dabei noch glubschäugiger als sonst hinter seiner Brille hervor, so daß man ihn am liebsten sofort aus den Armen der bösen Musikindustrie retten, ihn mit nach Hause nehmen und ihm eine große Kanne Kaffee kochen möchte.
Und da sind wir auch schon mitten drin, in seiner neuen Platte: Es ist das erste Soloalbum überhaupt, auf dem seine Lieblingsdroge Koffein (aufgelöst in einer möglichst großen Tasse mit brauner dampfender Flüssigkeit) überhaupt nicht vorkommt. Es geht auf den ersten Blick eher um Zwischenmenschliches dieses Mal, eine Art Konzeptalbum über die Liebe soll „Love Travels At Illegal Speeds“ angeblich sein. „Nicht wirklich“, widerspricht Graham dem Platteninfo, „ich habe einfach 30 Songs aufgenommen und die (zeigt den Gang hinunter in Richtung der Büros der Plattenfirma) wollten nicht, daß ich ein Doppelalbum mache.“ Komm, Graham, laß uns hier abhauen! „Da habe ich die Songs, in denen es um Liebe im entferntesten Sinne geht, für das Album ausgesucht. Ich hab es nämlich vorher nie geschafft, über solche Sachen zu schreiben. Über Emotionen und so. Deshalb bin ich auf diese Songs besonders stolz.
Das ist ehrlicher als alles, was ich früher geschrieben habe.“
Die Songs sind immerhin so ähnlich, daß man den Albumtitel beim Wort nehmen kann: Die Liebe ist so schnell, daß sie jedem einzelnen der Songs entwischt. Der erste Song heißt gleich „Standing On My Own Again“, und im schönsten Stück, „Just A State Of Mind“, singt Graham: „It’s so lonely to love someone“. Es geht also eigentlich wieder wie so oft darum, wie es ist, Graham Coxon zu sein. „Ja, es ist ein weiterer Schritt auf dem Weg, mich so zu akzeptieren, wie ich bin“, hadert er, als sei man ihm auf die Schliche gekommen. „Wenn ich über Liebe schreibe, dann halt darüber, wie es ist, wenn sie nicht da ist. Ich gehe ja nie raus, wie soll ich da jemanden kennenlernen?“ Wie vertreibt er sich denn dann die Zeit? Coffee and TV? Er nickt. „Und Zeichnen.“ Dann kramt er in seinem Rucksack, zieht ein dickes schwarzes Kalenderbuch hervor und blättert darin herum. Jede Seite ist mit kindlichen Bleistiftzeichnungen vollgekrakelt, und nach einigem Suchen findet er auch den Entwurf fürs Cover des neuen Albums: ein Komet mit einem langen, mit Filzer ausgemalten Schweif. Ich schaue ihn leicht amüsiert an. „Weißt du“, meint er, „die vielen Dinge, die ich an mir nicht ausstehen kann, sind vermutlich genau die, für die andere Leute mich mögen. Was wäre ich etwa ohne meine Schüchternheit? (Pause) Ich wäre David Hasselhoff.“