Frank Zappa, Meister vieler Klassen – 25 Jahre Zappanale
Zum 25. Mal treffen sich in diesem Jahr Fans aus aller Welt im beschaulichen Bad Doberan, um FRANK ZAPPA zu feiern. Aus diesem Anlass nähert sich der Schriftsteller Peter Wawerzinek poetisch und streng subjektiv dem Genie und dessen Anhängern – und würdigt seinen Schulfreund, den Zappanale-Initiator Wolfhard Kutz.
Frank Zappa steht für Wagemut, Verrücktheit, Klänge und Landschaft. Man sieht Frank Zappa seitlich von unten oder in der Draufsicht von oben auf dem Klo sitzen. Er blickt gezielt in die Kamera. Man sieht ihn mit einer ganzen Klorolle, den Papierstreifen wie einen weißen Schal um den Hals gelegt. Er steckt sich einen Mittelfinger in die Nase. Er hält eine Zigarette wie einen Stinkefinger senkrecht in die Höhe. Er lehnt die Stirn gegen den Steg seiner Gitarre. Eine schwarze Katze sitzt auf seiner Schulter, schmiegt sich an seine Wange. Er spreizt die Finger zu Teufelshörnern. Er lässt sich mit dreieckiger Papiermütze auf dem Kopf fotografieren. Er lugt unter einem Wüstenscheichtuch hervor. Und auch mit buschigen Zöpfen wie Pippi Frankzapp kennt man ihn. Er sagt, seine Mutter sei so unglaublich stolz darauf, ihren Jungen so oft im Fernseher zu sehen.
Frank Zappa hat mit Feuer und Ekstase, Komik und Tanz zu tun. So viel weiß ich auch von meiner künstlerischen Arbeit: Man ist allein. Man ist eine Raupe. Man umspinnt sich mit seiner Arbeit. Man glaubt an sich. Man lebt in einem Kokon. Und erst wenn die Show beginnt, wird der Gips weggesprengt und man muss als Schmetterling existieren. Humpelnd und schlurfend erobert der Künstler die störrische Bühne. Und entwickelt, wenn zuvor alles gut gearbeitet war, eine unglaubliche Bühnenpräsenz und Körperlichkeit, wie Frank Zappa zur geballten Faust der Antipose wurde. Pflicht des Künstlers sei es, jede noch so unterschwellige Erwartung zu unterlaufen. Höchstes Ziel der Kunst bleibe es, den klischeebehafteten Zuhörern neue, aus gewöhnlichen Worten und Tönen geformte Zeilen und Klänge anzubieten. Dieses nie zuvor Gehörte, von dem man denkt, dass so noch nie gespielt und dazu gesungen wurde. Es gehe stets um die positive Verunsicherung. Man müsse in sich nur diese schöne innere Unruhe spüren und zu der Erkenntnis gelangen, dass man es nicht mehr mit gewöhnlicher Kunst zu tun habe, sondern mit der eines Genies.
Beim Genie geht es, wie bei guten Weinen, nur um den Charakter. Und Charakter entwickelt das Genie nur in den Monaten der harten Arbeit. Ist der Charakter erarbeitet, wird er bühnentauglich. Mit einer bühnentauglichen Charakterkunst haben wir es zu tun, wenn die Leute bei der Erstbegegnung mit ihr fest davon überzeugt sind, sie schon zu kennen. Aus Büchern, von den Filmen, den frühen Erzählungen her, als Sage, Ballade, Geheimschrift.
Frank Zappa hat mit seiner Kunst stets den erdigen Braunton bei Rembrandt vor Augen, der in dessen Bildern steckt, ihn über dessen Tod hinaus allzeit als Rembrandt erkennen lässt. Um ähnlich Erdiges zu schaffen, quälten Frank Zappa seltsame Frühphantasien wie die, das Publikum mit aus stinkendem Fleisch geborenen Fliegenmassen zu traktieren. Später kommt er zu der Erkenntnis, dass es besser sei, sein Publikum mit den Mitteln der absoluten Kunst zu provozieren. Und ist dann der wahrhafte Frank Zappa. Verlässt das Stadium des gelangweilten Teenagers, der mit Sprengstoffen, Schießpulver experimentierte, nicht Ingenieur wurde, wie sein Vater es sich gewünscht hatte. Und erfährt, dass die Dinge, die ihn so sehr erregen, in anderen Menschen auch vorhanden sind, nur tiefer in ihnen schlafen. Es geht ihm also um die musikalische Erweckung. Er will Kunstwerke erschaffen, die erregende Neuigkeiten sind. Es sei wie mit der Liebe, sagt er: Man sieht eine tolle Frau. Man zieht mit ihr zusammen. Man heiratet sie im Zustand der ersten Erregung. Und wird dann Musiker. Und fühlt andere Erregungen als nur die der Liebe zu einer Frau. Die Erregung durch gezielte Arbeit. Mit welch leichter Hand einem dann so schöne Sätze gelingen wie diese hier: Leute, die nicht schreiben können, machen Interviews mit Leuten, die nicht denken können, und fabrizieren daraus Artikel für Leute, die nicht lesen können. Information ist nicht Wissen. Wissen ist nicht Weisheit. Weisheit ist nicht Wahrheit. Wahrheit ist nicht Schönheit. Schönheit ist nicht Liebe. Liebe ist nicht Musik. Musik ist das Beste.
Ich muss, wenn ich hier über Frank Zappa schreibe, vor allem über Wolfhard Kutz reden, der so ein guter Schüler war. Durchschnitt Eins Komma zwei eins null. Und dann ist er Zappanist geworden. Das kam nicht von ungefähr. Das war vorher schon in ihm angelegt gewesen. Wenn er nicht mehr laufen wollte, warf er sich zu Boden und zog sich am Kragen bäuchlings voran. Meinte er zu sehr von einer Sache erregt zu sein, begann er zu schreien. Und verfiel in Schock, der ihm den offenen Mund versteinerte. Zum Schulfasching kommt Kutz mit einer kupfernen Perücke. Die künstlichen Haare hängen ihm wie lange Spinngewebe ins Gesicht. Beim Anstecken einer Zigarette entzünden sie sich. Der falsche Pilzkopf brennt ratzfatz lichterloh. Kutz führt einen Feuertanz auf. Er zappelt, wirbelt, lacht und zuckt. Das Bild brennt sich mir fest ins Hirn ein. Dieses Zucken ist die perfekte Parodie auf das gesamte Werk von Frank Zappa.
Verschroben, verwegen und schlau war der Kutz. Wenn ihm die Schule nicht in den Kram passte, er krankgeschrieben werden wollte, duschte er kalt in Klamotten, setze sich pitschnass aufs Motorrad, fuhr ein paar kühle Runden, bis er sich die Erkältung holte, die es für den Krankenschein brauchte. Und nahm daraufhin ein heißes Bad. Und zog sich warme Sachen an. Und fuhr los. Die Eltern wollten nicht, dass der Kutz ein Motorrad hat. Er kaufte sich trotzdem eins. Und sagte seelenruhig am Abendbrottisch: „Und wo, bitte, soll ich die Maschine unterstellen? Es fängt gleich an zu regnen.“
Und dann scheuchte der Kutz die Hühner aus dem Stall, stellte das neue Motorrad dort unter. Denn es brauchte für das, was der Kutz an diesem Tag begann, ein Motorrad. Mit dem sauste er in die letzten Ecken des Landes, fuhr über Grenzen, um sich Schallplatten von Frank Zappa zu besorgen. Und spielte sie uns vor. Und erklärte uns die einzelnen Töne, Musikzitate, was der Text sagt und meint. Auf dass wir Zappa besser verstehen möchten. Und nannte dann seinen musikalischen Helden auch bald schon nur noch den „Meister“.
Was die zentrale Botschaft von Frank Zappa betrifft, stimmen wir alle Kutz ohne Einschränkung zu: sich nur nicht vom Staat verdummen lassen, nicht gleichgültig werden, nie die Bequemlichkeit suchen. Ich halte Zappa für einen guten Texter, einen humorvollen Musiker, einen schrägen Künstler, der mit Schroffheiten sein Publikum unterhält. Ja, doch, ja, sagt Kutz. Aber wie er seine Fans unterhalte, das mache den Unterschied zu anderen schrägen Typen aus. Er wisse, wie Zappa arbeite. Dass er in Abgeschiedenheit an seinem Bilde forme. Dass er zu niemandem Kontakt habe, die Welt um sich vergesse. Und sei die Arbeit getan, gehe der Künstler mit ihm hinaus. Und krempele die Ärmel hoch. Er werde zum Bühnenmenschen, zum Er-Eignis. Jedes Detail des Auftritts eine Belohnung für das lange Darben in der Schaffenszelle.
Für mich ist ein Musiker zuallererst ein Musiker und kein Philosoph. Das mit der Zappamanie bei meinem Freund Kutz ging mir auch zu weit. Ich stand auf The Who und meinte, man solle The Who als The Who sehen und einen Musiker nie zu etwas Überhimmlischem erhöhen. Kutz dagegen vertrat die Meinung, man habe sich so früh wie möglich an einem Meister seines Faches zu orientieren, müsse ihm so nahe wie möglich kommen, was äußerst schwierig sei, denn der Meister lebe sein eigenes Leben, und man selbst ja auch. Mühe sei es, ihm zu folgen und das eigene Leben zu leben. Um des Meisters Lebens willen müsse sein Jünger große Teile seines Lebens aufgeben. Und sei dann mit diesen beiden Leben doppelt gut beschäftigt. Und werde am Ende reichlicher beschenkt als jener Mensch, der keinem Frank Zappa folge. Man habe damit bis an sein Lebensende zu tun. Es sei eine Lebensentscheidung für ihn. Er werde Frank Zappa nie ganz ergründen, aber unterwegs zu ihm hin mehr über dessen Musik und Werk und dessen Kosmos erfahren.
Wir blickten zu Kutz hin und merkten, dass unser Freund sich unheilbar mit dem Frank-Zappa-Bazillus infiziert hatte. Wir suchten uns ja auch anzustecken und mit ihm zu fiebern. Allein wir hielten allesamt mit unserem Kutz nicht mit, so Fleisch und Blut, wie der in Person und Denken wie Fühlen bis in die intimsten Winkel seiner Seele hinein Frank Zappa wurde – so weit wollte und konnte keiner von uns gehen. An Zappa zu erkranken bedeutet vor allem Besitznahme zulassen. Du hast nur noch Zappa als Hirnwindungen im Kopf. Zappa steigt in dein Bewusstsein ein wie in einen Laden. Zappa ist ein Körperfresser und will in dir wohnen, sagten wir uns.
Wie ich widerstanden habe und davongekommen bin, weiß ich nicht zu sagen. Frank Zappa konnte mir einfach nichts anhaben. Ich hörte ihn. Ich fand manches ganz gut. Ich tauchte ein in sein Surren. Und doch verließ ich den Sinnraum, wie ich einem Swimmingpool entsteige, wenn ich nur genug in der Musik geschwommen bin. Kutz dagegen lieferte sich dem Zappasound aus. Er lebte in dem Pool. Es erwischte ihn allumfassend, zentral. Bis an sein Lebensende wird der sich nicht mehr vom Zappa erholen. Und will das auch gar nicht.
Mir war Frank Zappa so gleich lieb wie Bob Dylan, Mikis Theodorakis, Igor Strawinski. Strawinskis „Frühlingsopfer“ – oh ja, das mochte ich vom ersten Hören an. Dieses Stampfen! Der Kutz kriegte den Hinweis auf Strawinski von Frank Zappa und viel, viel später. Aber ich bewundere meinen Freund dafür, wie beharrlich er sich für den Meister begeistert. Es ist sehr viel schwerer, sich in einen Musiker hineinzuversetzen, als nur dessen Musik zu mögen. Das Hören von Musik ist das eine, bin ich. Was die Musik mit einem macht, ist der Kutz und etwas ganz entschieden anderes. Wenn der Zappa zum Beispiel erzählt, wie sehr ihn Menschen interessieren, die seine Musik als ein vegetarisches Wesen erleben, sozusagen als Mohrrübe in Kontakt zu seinen Stücken treten, glaubt der Kutz dem Zappa aufs Wort, folgt seinem Rat, lässt ab von den allgemeinen Hörgewohnheiten, will weg von seinem Ich zum neuen Er-und-Ich-Gefühl. Weg, wie man als Jugendlicher von seinen Eltern wegwill und Selbst sein, die Musik hörende Mohrrübe, und damit basta. Und macht aus der Rübe das Beste. Lebt abseits der Norm ein Rübendasein, das Frank Zappa als den Fortschritt schlechthin definiert. Hoch lebe die Abweichung!
Und wenn man sein leben generell als Abweichung sieht, dann darf man sich nicht darüber wundern, dass ausgerechnet ein Charakter wie Helge Schneider behauptet, Frank Zappa habe ihn auf den Weg in seine heutige Musik geführt. Und wenn der Helge Schneider beeinflusst hat, dann darf mein Freund Kutz auch vom Zappavirus befallen sein. Man muss nur einmal sehen, wie er eine Schallplatte von Zappa in seinen Händen hält. Wie ein Neugeborenes wiegt er sie. Weil die Scheibe so äußerst selten und aus Acetat besteht. Weil man sie nur zehnmal abspielen kann, dann ist sie hin und futschikato. Einer mit so viel Respekt und einem derart zarten Empfinden muss doch zwangsläufig die Zappanale ins Leben rufen, mitten in Mecklenburg. Und das doch nur um den großen Meister zu sich nach Hause, nach Bad Doberan, zu holen. Wo die Fans sich treffen und Zappa gespielt wird, immer und immer wieder. Musik verstehen heißt Musik wiederholen, nach den Nuancen verrückt sein, ein Nuancennuckler zu werden. Man findet zwischen nahezu identischen Konzerten den kleinsten Unterschied heraus. Und auf diese Unterschiede kommt es beim Musikerlebnis an. Die erste Schallplatte bleibt allzeit so erregend, wie die allererste Scheibe nur sein kann. Man kauft sie und wird mit einem Schlag erwachsen, mehr noch: Vater. Und geht mit zehn Zentimeter Luft unter den Sohlen durch die Welt.
Das ist wie mit dem Fall der Mauer: Endlich aufatmen. Heraus mit der Tonanlage. Und dann mit ein paar wenigen Zuhörern um den Traktorenanhänger gestanden. Zappa hören. Und später wird Zappa dann für Tausende Fans zur riesigen Bühne, vor der sie sich vereinen. Fahnen herunterreißen, Denkmäler umschmeißen, sagt Kutz, bringe gar nichts. Gefährlicher sei es, aufrührerische Musik zu verbreiten, die als provokant gelte. Bei ihm begann der Aufruhr mit der Platte „Burnt Weeny Sandwich“, die führte ihn direkt zur Zappanale vor der eigenen Haustür.
„Wir wollten alles anders machen als unsere Eltern“, sagt Kutz den Reportern. Und Zappa hat alles anders als alle anderen gemacht. Und also ist die Zappanale ein großes Vogelhaus. Und sie entlassen die musikalischen Flatterzappas jeden Sommer wieder in die Lüfte. Zappas Klänge sollen aufsteigen, kreisen und in alle Himmelsrichtungen fliegen. Zappas Musik, die wir vorher doch nur in dunklen Nischen und intimen Runden gehört haben, soll das All beschieden sein. Und habe ich nur genügend Zappa im Ohr und im Blut, beginne ich nach Zappas Klängen die Tänze der Welt zu tanzen. Mein Körper lässt sich leichter durch Klänge in Schwingung bringen als durch noch so feine Lektüre und Theorie. Für diese Erfahrung bin ich meinem alten Schulfreund Kutz so herzlich dankbar. Und mische mich deswegen schon gern unter all die anderen zappelnden Zappanisten.