Frank Turner: „Jeder glaubt, er hätte die Weisheit mit Löffeln gefressen“
Inspriert von der Popmusik der 80er-Jahre hat Frank Turner seinem rabulistischen Folk-Punk abgeschworen. Nicht aber seinem Furor und seiner Abneigung gegen Donald Trump.
Frank Turner hat etwas zu sagen. Jedenfalls sprudeln die Worte an diesem Vormittag nur so aus ihm heraus. Er habe gut geschlafen, sagt er, und man sieht es in seinen kristallklar leuchtenden Augen. Bevor ihn auch nur eine Frage aus der Reserve lockt, hat er bereits ein Glas Wasser für den Gast bereitgestellt. Als wollte Turner den Titel seiner neuen Platte, „Be More Kind“, augenblicklich mit Leben füllen.
Nach „Tape Deck Heart“ (2013) und „Positive Songs For Negative People“ (2015) wagt der Brite mit der vom Geist des Punk beseelten Stimme (die eigentlich so gar nicht zu seinen Folk-Kaskaden zu passen scheint) einen musikalischen Neuanfang. Dominierten zuletzt noch introspektive, nachdenkliche Lieder über die scheiternde Liebe und das richtungslos gewordene Leben, laufen die persönlichen Gedanken in den neuen Stücken nun mit politischen Ideen oder gar Statements zusammen, die ihre Initialzündung, ihren im Grunde bitteren Antrieb natürlich aus den Ereignissen des Jahres 2016 ziehen. „Jeder wusste, dass Donald Trump eine Katastrophe für die Menschheit ist“, so Turner. „Trotzdem wurde er von Millionen von Menschen gewählt, weil sie ihm zutrauen, etwas zu verändern.“Wut – das Thema unserer Zeit
Da sind diese Worte dann doch ausgesprochen, ohne die zurzeit eigentlich kaum ein Gespräch mit (Pop-)Musikern auskommt und die ganz selbstverständlich den Anfang für ein emotionales politisches Gespräch setzen. Frank Turner beginnt sich in Rage zu reden. Er spricht schnell, verschluckt einige Wörter, als wäre dies eine unbewusste Technik seines anscheinend gerade vor Gedanken berstenden Gehirns, bloß keine schlechte Laune aufkommen zu lassen. Eine durch und durch amerikanische Mentalstrategie des britischen Songschreibers. „Donald Trump hat keine andere Philosophie als seinen eigenen Erfolg“, ist sich Turner sicher. „Er ist ein stockkonservativer Kerl mit Vorstellungen, denen er bis heute keine Sekunde misstraut. Die einzige Erklärung, warum ihn so viele Menschen unterstützen, ist, dass er sich mit den Eliten angelegt hat und den Leuten das Gefühl gibt, dass es gut ist, auf die eigene Wut zu hören und andere Meinungen nicht zu akzeptieren.“
Turner behauptet, dass das selbstheilende Mantra seines neuen Albums, „Be More Kind“, vor allem an ihn selbst gerichtet sei. Es stammt aus einem Gedicht von Clive James: „I should have been more kind. It is my fate/ To find this out, but find it out too late.“ Worte, die ihn tief erschüttert haben, wie der Sänger zugibt. Weil er mit seinen Gedanken bis zuletzt viel zu sehr im eigenen Saft geschmort und die Gefühle und Handlungen anderer Menschen einfach ausklammert habe, vor allem wenn sie nicht zum eigenen Freundeskreis gehörten. Ein Fehler, so Turner.
Hier schließt sich wie von selbst der Kreis zu den politischen Grabenkämpfen, die Amerika und möglicherweise auch die meisten anderen Länder der westlichen Welt gerade so sehr spalten. „Es ist die Empathie, die uns heute abhandengekommen ist“, so der 36-Jährige, der diese Gewissheit auch, wie er zugibt, seiner eigenen persönlichen Reifung verdanke. „Es bedeutet zu verstehen, was uns Menschen zusammenhält. Alle Probleme, die wir haben, beruhen darauf, dass wir zu wenig miteinander reden. Vor allem zu wenig mit Menschen, die eine andere Meinung haben als wir. Ich kenne sogar Leute, die darauf richtig stolz sind, dass sie nichts mit Andersdenkenden zu tun haben müssen.“Kämpferischer Optimismus
Wieder heben sich Turners Augenbrauen, er wackelt auf seinem Stuhl hin und her. Privates und Politisches gehen bei ihm derzeit Hand in Hand, und das scheint ihn sehr zu erleichtern. Aufbruchstimmung prägt seine neue Studioeinspielung, wie in dem wunderbar abgeklärten „Little Changes“. Zeilen wie „So far from OK, tongue-tied and afraid/ The big things stay the same/ And you just say/ Little changes“ verdeutlichen, dass der Songwriter eigentlich nur noch einmal „Positive Songs For Negative People“ aufgenommen hat. Nur eben mit anderen Vorzeichen. Dieses für den Briten durchaus neue, um einen kämpferischen Optimismus angereicherte Konzept gibt auch „Don’t Worry“ vor, ein Song, der all jenen auf die Schulter klopfen will, die zweifeln, und ihnen Mut zuspricht, nicht immer Flagge zeigen zu müssen.
Änderungen, das will Turner genau so verstanden wissen, sind nur möglich, wenn man sich selbst infrage stellt und auch einmal sagen kann, dass man keine Ahnung hat. „Das ist etwas, das man heute nicht mehr hört“, sagt der Musiker. „Jeder glaubt, er hätte die Weisheit mit Löffeln gefressen und könnte zu allem etwas sagen. Aber das ist Bullshit. Wir sollten öfter mal zugeben, dass wir ahnungslos sind.“
Gefragt, warum Empathie inzwischen ein Fremdwort geworden ist und kaum einer noch mit seinem Unwissen kokettieren will (geschweige denn mit einer, na, sokratischen Einstellung in eine Diskussion einzusteigen bereit ist), ist sich Turner sicher, wer der Feind ist: Facebook, Twitter, all die sozialen Medien, die zu starken Meinungen verführten und nur das gelten ließen, was andere auch für gut befänden. „Ich habe Facebook abgeschworen und mich dort abgemeldet“, sagt der Musiker. „Es ging mir nach nur zwölf Stunden bedeutend besser. Facebook ist Gift für unser Selbstwertgefühl. Außerdem sprechen wir kaum noch von Angesicht zu Angesicht.“ Das sei für ihn aber elementar, um sich in andere Menschen einfühlen zu können.Empathielosigkeit ist pures gesellschaftliches Gift
Genau deshalb müsse man aber auch versuchen, sich mit Donald Trump zu beschäftigen, anstatt nur über ihn zu lachen. Turner: „Die Empathielosigkeit, aus der Donald Trumps Wahlkampf so viel Energie gezogen hat, ist grausam für den politischen Diskurs. Wir haben so lange mit den Privilegien des liberalen Westens gelebt, dass wir nicht mehr wissen, wie wir für sie einstehen können. Das hilft den Rechten überall auf der Welt, denn sie sehen sich selbst als Rebellen wider den Zeitgeist. So vermitteln sie das Gefühl, fortschrittlich und subversiv zu sein. Und das ist schon krank, wenn man bedenkt, dass sie am liebsten zurück in die Steinzeit wollen.“
Manchmal wirkt Frank Turner, der sich doch als Brite vornehm zurück auf die Insel wünschen könnte (wo aber der Brexit-Wahn erschreckend deutlich seine Thesen untermauert), so als würde er Wahlkampf machen, wenngleich sein immer noch bübischer Charme und seine von den üblichen Politikerfloskeln befreite Rhetorik deutlich dagegensprechen. Er legt sich mit seinem neuen Album, das scheint ihm klar zu sein, vielleicht auch mit einigen seiner Hörer in den USA an.
Am deutlichsten mit dem Lied „1933“, das den Geist von Bruce Springsteen atmet, aber eher nach der kanadischen Band Arkells klingt (mit denen Turner zuletzt auf Tour war und die er so sehr in sein Herz geschlossen hat, dass er am Tag des Interviews ein T‑Shirt von ihnen trägt). Darin skizziert Turner – bewusst auf die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland anspielend – eine Zeit, in der sich ein neuer radikaler Zeitgeist ausbreitet, der Freidenker und Intellektuelle ratlos macht und der Vorstellung verfallen ist, dass es selbst auf schwierige Fragen selbstverständlich leichte Antworten geben kann.
Make America Great Again
„Ich habe mir viel Ärger für die Nummer eingehandelt“, erzählt der Sänger. „In Amerika glauben sie, dass ich das Land zum Teufel wünsche und Trump für Hitler halte. Dabei liebe ich Amerika und glaube, dass es auf der Welt kein anderes Land gibt, das demokratische Werte und Menschenrechte derart hochhält und verteidigt. Ansonsten hätte ich den Song ja ‚1939‘ nennen können.“ Ein wenig scheint es so, als machte sich Turner aber auch über Trumps hurrapatriotische Formel „Make America Great Again“ lustig. Er hat sogar ein eigenes Stück daraus gemacht, in dem es heißt: „Let’s make America great again/ By making racists ashamed again.“ Aber das Gegenteil sei der Fall, versichert der 36-Jährige. Eher gehe es ihm darum auszudrücken, dass verkannt werde, was wirklich das Großartige an den USA sei. Amerika, das sei seiner Meinung nach eher Ellis Island oder der Marshallplan. Hoffnung für viele statt Egoismus und Protektion.
Die vorherrschende Atmosphäre auf „Be More Kind“, das ursprünglich mal ein weißes Soul-Album werden sollte, dann aber wegen seiner deutlichen politischen Stoßrichtung eine ganz andere musikalische Verpackung benötigte, ist kathartische Wut, aber auch eine Form von verwirrter Angst. Turner zog sich bewusst lange ins Studio zurück. Die Vorgängerplatte dagegen war in nur neun Tagen eingespielt worden. „Ich brauchte die Zeit, um mit Musik und Lyrics zu experimentieren“, sagt der Sänger durchaus stolz, als hätte er nun endlich sein „Born To Run“ vorgelegt.Musik von Soft Cell bis hin zu Scritti Politti hätten ihn beim Schreiben der neuen Stücke begleitet. Auch The Cure und Chumbawamba. Turner: „Ich habe mich daran erinnert, wie intelligent und kunstvoll Popmusik in den 80er-Jahren war – und wollte das auch mit meinen eigenen neuen Aufnahmen erreichen.“ Es sei schon eine politische Angelegenheit geworden, sagt er. Aber nicht wie bei Rage Against The Machine. „Es ist auch eine experimentelle Platte, aber eine aus meiner Welt und nicht wie bei Karlheinz Stockhausen“, sagt Turner und lacht. „Es hat mich ganz schön Kraft gekostet, diese Songs zu schreiben.“
Folgen Sie dem Autor, wenn Sie mögen, auf Twitter und auf seinem Blog („Melancholy Symphony“).