Fran Healy: Londoner Hysterie
Fran Healy, der Chef von Travis, blickt zurück auf frühe Britpop-Tage: auf London im Ausnahmezustand, den harten Kern der In-Crowd und das jähe Ende der Party.
Auch mal ganz nett: Fran Healy öffnet die Tür zu seiner ausnehmend hübschen Altbauwohnung selbst. Seit gut einem Jahr ist der Sänger der schottischen Popband Travis stolzer Berliner. Vor allem ist er aber einer, der Bescheid über die britische Musiklandschaft weiß: Die ungestüme Debütsingle „„All I Want To Do Is Rock“ (1996) war einer der schönsten Hits der ausgehenden Britpop-Zeit, das zwei Jahre später erschienene „„Why Does It Always Rain On Me“ das Ticket zum Mainstream-Erfolg und die erste einer ganzen Reihe von Hitsingles, von denen „Sing“, „„Coming Around“ und „„Flowers In The Window“ die schönsten waren. Zuletzt besannen sich Travis ihrer alten Tugenden und veröffentlichten mit „Ode To J. Smith“ ein Album, das am kräftigeren Sound der Anfangstage ansetzte. Ein guter Grund, um über eben diese Frühphase zu sprechen.
Mr. Healy, seit einiger Zeit leben Sie in Deutschland – eigentlich ganz gut, das gibt Ihnen einen unverstellten Blick auf die Dinge, die in Großbritannien passieren…
„Oh, diesen Außenseiterblick hatte ich schon damals. Travis sind schließlich eine schottische Band, die nach London gezogen ist. Und auch, wenn das vermutlich außerhalb Großbritanniens niemandem bewusst ist: Britpop war in erster Linie eine Londoner Angelegenheit und hat sich in einem relativ kleinen Kreis von Personen abgespielt. Eine große, alles umfassende Szene gab es gar nicht, und das, was wir Schotten machten, war übrigens wie das der Leute aus Wales – etwas eigener.“
Wann zogen Travis nach London?
„Am 1.Juni 1996-ziemlich genau zu der Zeit, als Britpop plötzlich nicht mehr in den Musikzeitungen, sondern in der Sun und so stattfand. Fünf Jahre lang hatten wir uns damals schon um einen Plattenvertrag bemüht. Es passierte ja so viel! 1991 oder 1992 wurden Blur groß. Die hatten diesen Song namens „„There’s No Other Way“, der sehr nach Manchester Rave klang. Zwei Jahre später, es muss Anfang 1994 gewesen sein, zogen dann Oasis in die Hauptstadt und brachten wieder eine ganz andere Klangfarbe ins Spiel. Das war der Punkt, an dem auch wir unsere Taschen packten.“
Auf wen trafen Sie da?
„Wir fanden dann rasch einen Proberaum in einem Komplex, in dem sehr viele der damals angesagten Bands probten. Oasis, Pulp, Sleeper – es war wirklich ein total runtergekommenes Loch, aber an den Wänden hingen schon goldene Schallplatten. Und dann war da eben auch dieses Cafe, in dem viele Musiker rumhingen.“
Die Bands, die damals in der „„zweiten Welle“ des Britpop Alben veröffentlichten, bekamen zum Teil extrem hoch dotierte Plattenverträge…
„…genau, und verkauften weit unter den Erwartungen ihrer Label. Das war dann auch einer der Gründe, weshalb sehr bald wieder alles zusammenkrachte. London ist die Stadt des Hypes und neigt immens dazu, sich selbst zu feiern. Und genau so war es damals. Da ging ja auch im Kunstbereich plötzlich so einiges – Damien Hirst etwa hatte seinen Durchbruch. Und die ganzen Bands hingen eben in den einschlägigen Kneipen rum, im „„Good Mixer“ oder im „Double Incasso“ in Camden. Damon Albarn, Noel, die Jungs von Menswear, Justine Frischman von Elastica, die liefen einem ständig über den Weg. Natürlich saßen wir da auch. Aber wie gesagt: eher als Beobachter.“
Gab es so etwas wie eine Aufbruchstimmung? Versuchten die Bands, diese Hysterie der Plattenfirmen für sich zu nutzen?
„Vielleicht. Ich erinnere mich zum Beispiel noch gut an Sleeper, bevor sie einen Plattenvertrag hatten. Sie hießen noch Surrender Dorothy und machten eher düsteren US-Rock. Sie wollten unbedingt einen Plattenvertrag – und voilä, waren sie eben die Popband Sleeper. Aber warum nicht, ihre Frontfrau Louise Wener schrieb wahnsinnig gute Songs, Stephen Street produzierte sie. Das war alles großartig – und hörte irgendwann ebenso plötzlich auf, wie es begonnen hatte. Wenn du Teil einer Bewegung bist, musst du vielleicht mehr darauf achten, dich von Zeit zu Zeit selbst neu zu erfinden. Das versäumten damals viele.“
Zeitgleich wurde Tony Blair Premierminister. Spielte das irgendeine Rolle?
„Vielleicht, die Leute waren am Ende der konservativen Ära irgendwie angepisst. Aber für uns war es nicht wichtig. Eigentlich äußerte sich nur Noel Gallagher so dezidiert zu der ganzen Sache. Und ich glaube, er machte das nur, weil er plötzlich die Gelegenheit hatte, ein politisches Sprachrohr zu sein. Labour, das war ja Blairs Kernbotschaft, war für die Menschen da. Also war Oasis auch für die Menschen da und hatte eine Bedeutung außerhalb der Musik. Taking Indie Music To The Masses, sozusagen. Das war ohnehin das, um was es Oasis ging. Vielleicht gingen Britpop und Blair ein paar Wochen Hand in Hand, aber mehr nicht.“
Oasis als Labour der Musiklandschaft, als wichtigste Repräsentanten der Arbeiterklasse im Popgeschäft?
„Sie waren sogar die einzigen. Dieser ganze Diskurs über Working-Class – auf der einen und Art-School-Bands auf der anderen Seite war eine Sache, die von der Presse hochgejazzt wurde. Rock’n’Roll ist einfach traditionell eine Angelegenheit der Mittelklasse. Das war immer so und wird immer so sein, weil man einfach am Anfang das Geld der Eltern braucht. So war es immer, schon bei David Bowie oder den Beatles und zuletzt bei Coldplay oder den Strokes. Das Ironische: Obwohl ich eher aus einfachen Verhältnissen stamme, dachten bei uns damals alle, dass wir Middle Class wären – vielleicht, weil unsere Musik ab „The Man Who“ so sanft war…“
…eine Platte, in die Sie anfangs nicht sehr große Hoffnungen setzten.
„Die Britpop-Sache war Ende der neunziger Jahre endgültig vorbei. Im Radio wurden plötzlich wieder Dance und Studio-Pop gespielt. Und im übrigen hatten wir damals auch nicht den Eindruck, dass die Plattenfirma uns sonderlich vertrauen würde. Wenn du eine Gitarre um den Hals hängen hattest, was noch eineinhalb Jahre zuvor als Voraussetzung für kommerziellen Erfolg gegolten hatte, war es auf einmal ganz, ganz schwierig. Und fast alle Reviews waren schlecht. Erst, als „„Why Does It Always Rain On Me“ durchstartete, änderte sich das plötzlich. Wir hatten damit einfach riesengroßes Glück. Im Nachhinein gesehen war „„The Man Who“ sicher die erste wichtige Post-Britpop-Platte.“
Könnte so etwas wie Britpop noch einmal passieren?
„Natürlich. Oasis brauchten damals nur acht Monate, um aus dem Nichts heraus die größte Band der Republik zu werden. England ist klein, und es ist eine Insel. Und der Brite liebt den Hype. Es passiert ja auch noch: Nimm eine Band wie die Arctic Monkeys, da ging das ebenso schnell. Und die kann man durchaus auch als Teil einer Bewegung sehen. Plötzlich gab es Abertausende Kids in engen Jeans, die auf Bands wie die Libertines oder Franz Ferdinand standen. Das war das Letzte, was mir auffiel. Aber stimmt, die letzte richtige Bewegung – ja, das war vermutlich die, von der wir ein Teil waren. Aber jeder sitzt da und wartet wieder, dass etwas voran geht, weil England brodelt, weil es wahnsinnig viele Bands gibt. Letztendlich sind die britischen Charts von so einer Pendelbewegung geprägt. Mal ist Popmusik aus der Retorte das dominierende Ding, mal sind es echte, authentische Künstler.“