Fran Healy im Interview: „Travis waren immer schon Punk“

Mit „10 Songs“ veröffentlichen Travis ihr neuntes Album. Fran Healy über das richtige Timing im Covid-Lockdown – und den härtesten Berliner Winter aller Zeiten

Mit Songs wie „Why Does It Always Rain On Me?“ und dem Album „The Man Who“ wurden Travis Ende der 1990er-Jahre die erfolgreichste Band Großbritanniens. Mitte der Nullerjahre ließ sich Fran Healy mit seiner deutschen Frau und dem Sohn in Berlin nieder, seit 2017 wohnen sie in Los Angeles. Nun erscheint das neunte Album „10 Songs“, das Healy mit seinen Kollegen gerade noch rechtzeitig vor dem weltweiten Corona-Lockdown fertigstellte. Ein Skype-Gespräch über Viren, Popmusik für ältere Liebende und den Berliner Hundehaufen.

Wie geht es Ihnen im Corona-Hotspot Los Angeles?
Man trägt einen Mund-Nasen-Schutz sogar auf der Straße. Wer mir noch vor sieben Monaten solche Fotos aus der Stadt gezeigt hätte, dem hätte ich den Vogel gezeigt.

Beeinflusst Sie Amerika?
Lustigerweise singe ich auf „10 Songs“ mit stärkerem schottischen Akzent. Die Lieder reflektieren weniger meinen geografischen als vielmehr spirituellen Standpunkt, auch das Bauchgefühl. Das Album ist das erste seit zehn Jahren, das ich allein komponierte, ohne Dougie (Payne, Bassist) und Andy (Dunlop, Gitarrist). Ich kann zurzeit nicht mehr die Lieder anderer singen. Ich will meine eigenen Wahrheiten besingen.

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Was vermissen Sie an Berlin?
Schwierige Frage, ich möchte niemanden auslassen. Ich vermisse meinen Freund, den Regisseur Wolfgang Becker, ich vermisse meinen Freund Daniel Brühl, ich vermisse meinen Freund Wolfgang Doebeling. Ich vermisse alle meine Freunde, und ich habe nicht viele, mit Absicht. Ich bin Einzelkind, meine Freunde sind wie Geschwister. Ich vermisse meine Freundin Marie Steinmann, die Filmproduzentin und Ehefrau von Tom Tykwer. Ich vermisse die Hansa-Studios und meine Nachbarn in der Marienburger Straße in Prenzlauer Berg. Was ich nicht vermisse? Berliner Winter. Die gab es in den letzten sieben Jahren zum Glück nicht. Vor zehn Jahren habe ich einen in der Stadt durchgemacht, der härteste. The Winter to end all winters. Fuckin‘ Ice Age. Ten Winters In One. Der dauerte sechs Monate. Die Hundehaufen gefroren im deutschen Permafrost.

„Falls wir nicht mehr touren können, sind Travis tot“

Warum haben Sie eigentlich nie Deutsch gelernt?
Ich fürchtete um mein Songwriting, um die Inspiration. Ich hatte Angst, meine innere Stimme könnte sich verändern. Taxifahrer-Deutsch beherrsche ich (spricht Deutsch) ein bisschen. Meine Wohnung in Berlin steht noch. Vielleicht komme ich wieder. Es ist die verrückteste Zeit, um in Amerika zu sein. Man durchlebt Zeiten, die in den Geschichtsbüchern stehen werden – leider.

Bands halten Alben zurück, weil sie nicht auftreten können.
Wir haben gezockt, es gibt kein zurück. „10 Songs“ könnte unser letztes sein. Falls wir nicht mehr touren können, sind Travis tot. So wie alle anderen Musiker – Stars wie Beyoncé oder Coldplay ausgenommen. Es geht nicht darum, mit Auftritten die Platte zu promoten. Konzerte sind unser täglich Brot. Wir verdienen nur durch Shows, wie alle, die in der Live-Industrie arbeiten. Wir alle gehen in die Knie. Kommen wir wieder hoch?

Travis, Pearl Jam und die Strokes sind als Rockbands mit neuen Platten fast allein auf weiter Flur.
The Gods were shining their lights upon this album. Alles hat gepasst. Die Strokes hatten das Pech, den Veröffentlichungstermin auf Anfang April gelegt zu haben, als die ganze Welt mit Covid zu kämpfen begann und keiner Zeit hatte für Musik. Wir buchten das Studio von Mitte Februar bis Anfang März, drei Wochen. Hätten wir es Anfang März für drei Wochen gebucht, gäbe es jetzt kein Album – der Lockdown in Großbritannien kam Mitte des Monats. Als es eng wurde, buchte ich einen früheren Flug, um am 13. März meinen letzten Gesang aufzunehmen. Dann buchte ich nochmal um, auf den 12. März. Ich verließ die Insel am 14., und das war’s. Die Platte mischte ich in Quarantäne ab, Album-Fotos schoss ich in Quarantäne, das Video zur Single „A Ghost“ zeichnete ich auf meinem iPad. Ich will ganz ehrlich sein …

Gerne!
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass in den letzten Jahren überhaupt irgendjemand mehr Aufwand in ein Musikvideo gesteckt hat. Ich machte mich ans digitale Zeichnen, 17 Stunden pro Tag, 30 Tage lang. Ich war in meiner Arbeit versunken wie der „Rain Man“.

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Sie verwendeten Rotoskopie, legten 2500 Zeichnungen über Film. Das A-ha-Video „Take On Me“ wurde durch das Verfahren legendär.
Alles von mir per Hand gemacht. „10 Songs“ ist eines unserer besten Alben, und dann sollte uns Corona dazwischenfahren?  Ich musste etwas dagegen tun, denn ich habe mit Schicksalsschlägen Erfahrung. Unser Album von 2001, „The Invisible Band“, wäre erfolgreicher geworden, hätte es wenig später kein Nine-Eleven gegeben. It totally fucked up that album. Danach ging sechs Monate nichts mehr. Nun Covid-19. Sofortmaßnahme: die besten Videos drehen, dies es von Travis geben würde.

In „The Only Thing“ begleitet Sie Susanna Hoffs.
Ein Anti-Liebeslied für Paare, die zu lange zusammen sind. Kinder sind schon lange da, jetzt geht in der Liebe das Leiden los. Ganz klar ein Song für Leute ab Mitte 40. Das ist kein „I got you, Babe“ mehr, in dem man sich höchstens für ein Jahr kannte, kein „Summer Wine“, kein Turteln, kein look at me on my horse. Bei meinem Song hat man eine Hand bereits an der Türklinke. Aber mit Humor: „You are the record in the record shop nobody wants to buy.“

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Und damit wollten Sie Hoffs für den Song gewinnen?
Als ich Jugendlicher war, liebten wir die Bangles, alle Jungs waren in Susanna verknallt. Ich lernte sie per Twitter kennen, wurde ihr Follower. Als sie eine neue Aufnahme von „Eternal Flame“ teilte, war es wieder um mich geschehen. Sie antwortete meiner Fan-Mail: „Ich liebe Deine Stimme auch!“. Weibliche Stimmen tun Travis-Alben gut.

Im „Valentine“-Video liegen Sie auf einer Kreisleinwand, wie man sie von Pink-Floyd-Bühnen kennt, illuminiert von einer Laser-Light-Show wie von Jean-Michel Jarre. So teuer sahen Travis noch nie aus.
Die Plattenfirma wollte nur eines dieser neuartigen „Lyric Videos“ haben. Nicht mit mir. Ich singe „If I lie here“, das gab den Anstoß. Mein Sohn hat eine Drohne, er nahm von oben auf, wie ich auf dem Rücken liege. Schauen Sie: All die Lichtanlagen für die großen Konzerte, die liegen während Corona doch eh nur in den Lagern herum. Die kann man doch jetzt prima nutzen. Nicht, dass ich viel Geld hätte. Ich fragte nett an, oder war vielleicht mutig genug – und bekam die Lichtanlage von Queens of the Stone Age. Der Kameramann war der des Queen-Films „Bohemian Rhapsody“.

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Nun liegen Sie still – die Antwort auf Ihren Hit „Turn“ von 1999, in dessen Video Sie schwitzend Liegestütze machten.
Exakt. Ich schickte dem Regisseur von „Valentine“ Stills aus dem alten Clip. Jetzt habe mich auf dem Rücken gedreht – „Valentine“ ist als Video „Turn, Part 2“.

„10 Songs“, „The Invisible Band“ – warum eigentlich immer dieses Understatement?
Travis ist eine der radikalsten Bands überhaupt! Warum schreibt heute keiner mehr echte Songs? Weil es verdammt schwer ist. Wie stundenlang im Boot zu sitzen, dann ist was an der Angel – und man zieht Müll aus dem Meer. Heute gibt es Song-Fabriken, darin werden keine Lieder erschaffen, sondern gerade mal Produktionen. Deshalb unser Albumtitel: Lieber zehn Songs präsentieren, die von einem Menschen geschrieben werden – als ein Song, an dem zehn Menschen arbeiteten. „10 Songs“ ist ein radikales Statement. Nicht zehn Beats. Was wir machen, ist schwer. Es ist Punk.

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