Folklore cum laude
Für ihre eklektischen Weltmusik-Pop-Spielereien haben sich Pink Martini mit einem Harvard-Studium überqualifiziert
Es ist wieder eine schwindelerregende Tour de Force durch die Stile, die Pink Martini auf ihrem dritten, mit „Hey Eugene.'“erneut lapidar betitelten Album veranstalten. Das zwölf köpfige Ensemble aus Portland, Oregon kann – selbst geschriebene wie nachgespielte – Showtunes, japanische Klassik sowie russische und ägyptische Folklore, aber auch intimen Jazz, französischen Schlager und viel afrokubanische Rhythmik. Thomas Lauderdale (Piano, musikalische Leitung) und China Forbes (Gesang), die sich aus gemeinsamen Harvard-Zeiten kennen, betreiben ihr ultragediegenes, wunderbar elitäres und an Virtuosität kaum zu übertreffendes Vehikel seit zehn Jahren. Und spielen – nachdem zunächst nur Europa zuhören wollte – in den USA vor bis zu 15 000 Menschen pro Abend, gern auch mit dem jeweils ortsansässigen Sinfonieorchester. „Das neue Album ist unsere Pop-Platte“, sagt Lauderdale, der genauso gewählt spricht. wie man es sich gewünscht hat, „die ersten beiden Platten waren eher atmosphärisch. Diesmal haben wir schöne Melodien gesucht, wie Irving Berlin, Robert Schumann oder Kurt Weill sie schrieben. Manchmal kamen wir uns vor wie in einem alten Hollywood-Film, einfach großartig.“ Die stilistische Bandbreite sei noch größer als bisher, weil dieses Mal praktisch alle Musiker am Songwriting beteiligt gewesen seien, sagt Lauderdale weiter. Und da bei Pink Martini ungefähr die ganze Welt genetisch vertreten ist, käme am Ende eben etwas Entsprechendes heraus.
Damit ist man beim Punkt. Denn Pink Martini, die in der Anfangszeit nur bei Benefizveranstaltungen auftraten undJohn Kerry bei dessen Kampagne kräftig unterstützten, sind eine politische Band. „Wir haben hier eine Möglichkeit, etwas zu demonstrieren“, diktiert Lauderdale, „wir können zeigen, was die wahre Identität Amerikas ist – indem wir all die Dinge zum Vorschein bringen, die in unserer musikalischen und kulturellen Geschichte liegen. Tatsächlich repräsentieren wir ein weitaus größeres, wesentlich umfassenderes Amerika als das Formatradio. Schließlich gibt es – mit Ausnahme der Ureinwohner – doch eigentlich gar keine Amerikaner. Wir alle sind von irgendwo aus der Welt dazu gekommen und haben unsere Geschichte und kulturelle Identität mitgebracht.“
Und so ist es kein beliebiger Stilgriff, wenn Pink Martini auf ihrer Platte das besagte ägyptische Lied („Bukra wba’do“) in der Originalsprache singen, sondern ein politisches Statement. „Wir hatten diese Idee von einem Lied zwischen ,Lawrence von Arabien‘ und einem Bollywood-Musical in Technicolor“, erzählt Lauderdale. „In unserer Vorstellung ist der Schauplatz des Liedes ein Marktplatz in Amerika, auf dem Amerikaner plötzlich gemeinsam ein ägyptisches Volkslied singen.“ Die Partituren hatte Lauderdale bei einem Besuch in Ägypten besorgt, und bei der korrekten Aussprache half ein befreundeter Professor. „Unser Publikum versteht, was wir sagen wollen, ohne dass wir jeden Abend eine Brandrede halten müssten. So ist das eben im Moment – die Grenzen zwischen Politik und Entertainment verschwimmen in den USA. Und so sehr ich mit den Dixie Chicks gelitten haben: Wenn man seine Botschaften subtil verpackt, wirken sie besser.“
Im Oktober kommen Pink Martini nach Deutschland. Vielleicht wird Thomas Lauderdale dann noch mehr erzählen, etwa von seiner Begeisterung für den Kinderstar Heintje oder davon, dass sein Hund Heinz – Namensgeber des Band-eigenen Labels – unlängst nach einem langen, erfüllten Leben verstarb. Wahrscheinlich aber gibt es nur Musik, von der ganzen Welt und aus allen Zeiten.