Flüssigere Demokratie
Der Dauerstreit über die Reform des Urheberrechts wird zur ersten wirklichen Bewährungsprobe für die boomende Piratenpartei. Bleiben sie treu an der Seite der Netzaktivisten, die ein Ende aller Kontrollideen fordern, oder kommt es zu einem echten Dialog mit Autoren und Verlegern?
Freitagabend am Checkpoint Charlie. Der Hanser Verlag hat zur Eröffnung seiner neuen Dependance in Berlin geladen. Ein lauschiges Beisammensein im Innenhof mit Weiswein und Stullen. T. C. Boyle schaut vorbei, Jana Hensel plaudert am Stehtisch. Oben, in der überfüllten Büroetage steigt Verlagschef Michael Krüger auf einen Schreibtisch und begrüßt seine Gäste. Schnell ist er bei einem leidenschaftlichen Plädoyer angekommen. Und klar, es geht um das Urheberrecht, das gerade in der Literaturszene vehement verteidigt wird. Später macht eine neue Initiative die Runde, mit der sich prominente Autoren und Autorinnen gegen ein Auseinanderdividieren ihrer Zunft aussprechen. Hier die hehren Urheber, dort die bösen Verwerter – von diesem angeblichen Gegensatz will hier niemand etwas wissen.
Am gleichen Tag im Alten Postbahnhof. Die Netzkonferenz re:publica tagt. 4.000 Teilnehmer, 200 Vorträge, eine Denkmaschine der digitalen Zukunft. Der Medienjurist Till Kreutzer, der bereits 2008 ein 528 Seiten dickes Buch, „Das Modell des deutschen Urheberrechts und Regelungsalternativen“, veröffentlicht hat, wagt eine „Vision 2037“: In 25 Jahren herrscht eine florierende Cyber-Kreativität, während Abkommen wie Sopa, Pipa oder Acta längst zu Fußnoten der Geschichte geworden sind. Gut 90 % der kreativen Güter werden frei erhältlich sein. Die berühmte „normative Kraft des Faktischen“ hat gesiegt, die Kontrollidee ausgedient. Allein der Generationswandel wird das bisherige Urheberrecht aushebeln, wenn es nicht mit Nachdruck modernisiert wird. So lauten nur einige von Kreutzers Thesen. Und nichts werde diesen Wandel aufhalten …
Die Gegensätze könnten kaum größer sein. Hier die Alltagspraxis der Kulturbetriebs mit ihren wackligen Margen für eine Risikobereitschaft, einen Roman oder auch eine Band bekannt zu machen. Dort die vorwärts stürmenden Netzaktivisten mit ihrer tief empfundenen Gewissheit, dass die Geschäftsmodelle dieses Systems weitgehend obsolet geworden sind. Von diesem unversöhnlichen Dualismus ist auch die heftige Debatte geprägt, die in den vergangenen Wochen mit einem enormen Tempo durch alle Medien fegte. Während Vorzeige-Piratin Marina Weisband den Verwertern weiterhin „aufs Dach steigen“ will, trifft sich die Krimi-Autoren-Vereinigung „Das Syndikat“ zu einer Fotosession in der Kölner Pathologie, um ein Motiv für einen Aktionsflyer zu fotografieren: Eine Figur mit Anonymous-Maske und Hackebeil metzelt das dahingestreckte Schreibervolk. Die Kampfparole lautet: „Kulturfledderer“. Die verschiedenen Freiheits- und Kampfbegriffe in der Internetnutzung sind formuliert. Auf beiden Seiten herrscht mittlerweile ein Alarmismus-Level, bei dem komplexe Sachverhalte zu Slogans geronnen sind. Auch bei den Diskussionsrunden der re:publica wollte der konstruktive Austausch zwischen den verschiedenen Kulturen kaum gelingen. Doch wie geht es nun weiter?
Mit der Piratenpartei hat das Umsonst-Verhalten der User, das ja seit über einem Jahrzehnt im Netz kultiviert wird, einen institutionellen Ausleger bekommen. Was lange weitgehend anonym vor sich hin brodelte, ist nun über Personen und Programme angreifbar. Anders gesagt: Wer die Piratenpartei in dieser Causa attackiert, wendet sich auch gegen einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung. Menschen wie du und ich, die nonchalant Dateien saugen. Dieses Herausreissen aus der anonymen Grauzone führt im bes-ten Falle zu jenem Effekt, den die Demokratie in solchen Fällen irgendwann bereithält: einen neuen gesellschaftlichen Grundkonsens. „Wir sagen lediglich, dass es nichts bringt, an der ganzen Internetstruktur herumzuschrauben; mit Three-Strikes-Regelungen oder Netzsperren“, betont der kulturpolitische Sprecher der Berliner Piratenpartei Christopher Lauer angesichts der massiven Anfeindungen von Musikern, Autoren und Verlegern. Nach seinem Streitgespräch mit Jan Delay im „Spiegel“ sah er sich unversehens in der Rolle des Urheber-Kombattanten seiner Partei. „Diese Debatte dreht sich im Kreis, und wir bekommen dafür die Prügel“, klagt er. „Als würde unter der geltenden Rechtsprechung für die Künstler alles bestens laufen. Und sobald sich daran etwas ändert, geht alles den Bach runter. So ein Quatsch. Mir wäre es viel wichtiger, ernsthaft bei der Frage zu vermitteln, wie sich diese Zukunft neu organisieren lässt.“
Die 51 Tatort-Autoren, die eine auch an die Piraten gerichtete Protestnote verfassten, die eine „millionenfache illegale Nutzung von urheberrechtlich geschützten Inhalten“ beklagt, hatte Lauer zu einem Treffen eingeladen. „Einen Effekt hat diese Debatte bereits jetzt. Die Leute überprüfen ihr Nutzungsverhalten und zumindest ich kenne wirklich niemanden, der sagt, dass Musiker und Kulturschaffende kein Geld mehr verdienen sollen. In meinem gesamten Umfeld kaufen sich die Leute eBooks, Filme, mp3 auf iTunes, die Leute gehen ins Kino. Ich gehe ins Theater. Ich gebe Geld dafür aus und mein Bekanntenkreis auch“, beteuert er. Darüber hinaus propagiert Lauer die technische Machbarkeit von alternativen Modellen jenseits der Abmahnungslogik. „Warum gibt es kein peer-to-peer-Network mit filesharing-client, der dir sagt, dass du gerade dieses oder jenes Album hörst? Jetzt mal ganz egal, woher es stammt. Und wenn du es bezahlen möchtest, dann kannst du auf diesen Knopf drücken. Deine Abrechnungsdaten sind bereits hier drin. Mit Informationen, dass dieser Betrag zu einem bestimmten Prozentsatz an die Künstler geht. Den Leuten ist es wichtig zu wissen, wer was davon bekommt.“ Dabei hat er das Bild eines Users vor Augen, der ein faires und durchaus emotionales Verhältnis zu Musikern und Autoren pflegt. „Ich habe mir ein Album zwar jetzt über einen torrent runtergeladen; doch mir gefällt es so gut, dass ich einen Preis bezahle. Oder ich bin gerade auf einer Party, der Sound ist geil und ich freue mich darüber so sehr, dass ich bei der Bezahlung etwas nachlege. Zwischen Künstlern und Fans besteht doch ein enges und inniges Verhältnis. So ein System könnte man doch durchaus programmieren: Warum kommt niemand damit um die Ecke?“
Lauer spricht in der Rolle eines Regionalpolitikers, der nicht nur im vielstimmigen Chor seiner Partei für Anstöße im festgefahrenen Streit sorgen könnte. Dafür treibt er den Diskussionsprozess auf parlamentarischer Ebene voran. Die Offenbacher Beschlüsse der Partei vom Dezember 2011, aus denen sich die präzisierten Positionen vom April 2012 speisen, enthalten neben allerlei geänderten Laufzeiten für Schutzrechte und einer Stärkung der Urheber gegenüber den Rechteverwertern auch das unbedingte Recht auf Privatkopie. Entkriminalisierung des filesharing, lautet eine zentrale Forderung. Und genau hier liegt der Knackpunkt mit dem meisten Vermittlungsbedarf. Während Verlage, Label und auch der sogenannte „3. Korb“ der Gesetzesnovelle des Justizministeriums diesen Austausch bremsen wollen, sehen die Piraten keinerlei Beleg dafür, dass bei Freigabe ein Kollaps in den kreativen Branchen stattfindet. „Die Verbreitung von Tauschbörsen ist bereits jetzt so hoch, dass ein solcher Einbruch schon hätte stattfinden müssen, was jedoch ausgeblieben ist. Im Gegenteil wächst der Kulturgütermarkt beständig, lediglich der Absatz unzeitgemäßer Medien wie Musik-Kassetten oder -CDs wurde schwieriger“, heißt es im Piraten-Papier. Vom immer mal wieder gehandelten Modell einer Kulturflatrate, wie sie etwa die netzpolitische Abteilung der Grünen propagiert, hält der erklärte Fan der Band Muse nur wenig. Zu kompliziert, zu bürokratisch. Ein Verwaltungsmonster von Ausmaßen einer GEZ-GEMA. Schon die Frage, welche Inhalte daraus vergütet werden sollen, lässt ihn zurückschrecken. Ganz zu schweigen von der Gewichtung des Verteilungsschlüssels, der bereits im analogen Bereich für allerlei Ärger sorgte.
Als konkrete Maßnahme kündigt Lauer eine Bundesratsinitiative der Berliner zur Urheberrechtsreform an, die aber erst mal den SPD/CDU-geführten Senat passieren muss, um überhaupt in die Länderkammer zu geraten. Parlamentarisches Kleinklein für ein epochales Thema. „Das ist die Sache wert“, sagt Lauer. „Dann haben wir endlich einen Vorschlag, an dem sich alle abarbeiten können. Dann wird das Thema konkret.“ Es sind die ersten Schritte eines langen Weges, der schon bald zu internationalen Vereinbarungen führen soll, die im EU-Recht verankert sind. Bis zur Sommerpause soll ein Entwurf des Papieres vorliegen. Ende offen.
Was Piraten (gratis) hören
1. Was sind Ihre drei Lieblingsalben?
2. Was haben Sie sich zuletzt kostenfrei im Netz besorgt?
3. Für welche CD/DVD haben Sie zuletzt bezahlt? Umfrage: Manuel Bewarder
Julia Schramm, Berlin
1. Iron Maiden: „Live In Rio“
Die Ärzte: „Auch“
WDR 3
2. Hedwig Dohm: „Die Antifeministen“ (Kostenloser Buchdownload bei Amazon)
3. Die Ärzte: „Auch“
Lukas Lamla, NRW
1. Daft Punk: „Homework“
Die Ärzte: „Planet Punk“
Nirvana: „Nevermind“
2. Deichkind: „Befehl von ganz unten“ (anschließend acht (!) Freunde zum Konzert nach Düsseldorf geschleppt und abgefeiert)
3. Fiva & Das Phantom Orchester
Matthias Schrade, BW
1. Renaud: „Paris-Provinces“
Filmmusik von „Walk the Line“
„Best of Roxette“
2. Tomte: „Der letzte große Wal“
3. Musik: muss Jahre her sein.
Film: „Shopaholic“ (ein Fehlkauf im Supermarkt, veranlasst durch positive Kenntnis des Buches und der Schauspielerin)
Bernd Schlömer, **
1. Tom Waits: „Orphans:
Brawlers, Bawlers & Bastards“
KLF: „Chill Out“
Kraftwerk: „The Man Machine“
2. Einen FC St. Pauli-Song (legale Freeware)
3. Tom Waits: „Orphans:
Brawlers, Bawlers & Bastards“
Stephan Urbach, Berlin
1. Sisters of Mercy: „A Slight Case …“
Samsas Traum: „Tineoidea …“
Janus: „Nachtmahr“
2. Filmstream Percy Jackson: „Diebe im Olymp“ (der am Abend im free-TV lief)
3. CD: Weena Morloch: „Terror über Alles – Das W.M. Manifest“; DVD: „Apokalypse Now Redux“
Christopher Lauer, Berlin
1. Muse: „Origin Of Symmetry“
Die Ärzte: „Planet Punk“
Tenacious D: „Tenacious D“
2. „Family Guy“, aktuelle Folge der aktuell im US-TV laufenden Staffel
3. Alex Clare: „The Lateness Of The Hour“; Die Ärzte: „Rock’n’Roll Realschule“
Torge Schmidt, SH
1. Joy Division: „Unknown Pleasures“
Amanda Palmer: „Who Killed Amanda Palmer“
Agent Fresco: „A Long Time Listening“
2. http://superlevel.de/audio/da-chip-volume-2
3. „Scott Pilgrim vs. the World“
Sebastian Nerz, BW
1. Ich glaube nicht, dass mein Musikgeschmack relevant ist.
2. Diverse Webcomics (zum großen Teil kaufe ich auch die Printausgaben) sowie gelegentlich Spotify
3. David Garrett: „Encore“ (im Zuge der BBC-Verfilmung von „Going Postal“)