Flow aus Sounds und Images
Nein, ich habe damit nicht angefangen. Aber irgendwann waren wir auf dem Weg ins Kino, um uns „Mars Attacks!“ anzuschauen, und Ira Kaplan kam dann, da man schon mal beim Thema war, von allein auf „I Shot Andy Warhol“ zu sprechen, jenem vieldiskutierten, aber gefloppten Doku-Drama über Warhols Factory, in dem seine Band b La Tengo die Velvet Underground imitiert hat. Eine reizende Szene ist das, in der Schlagzeugerin Georgia Hubley souverän die Tucker gibt und Kaplan den Reed.
„Du magst diesen Film?“, fragt er erstaunt. „Ich kenne nur Leute, die ihn nicht gesehen haben oder hassen. Wir haben mitgemacht, da wir die Perspektive interessant fanden. Man rückt all diesen Legenden nicht direkt auf die Pelle, sondern sieht sie mit den Augen einer außenstehenden Person.“
Alles eine Frage der Perspektive. Kaplan ist ein Beobachter, der schon früh das Kunst-lreiben in seiner Heimatstadt aufgesogen hat Geboren und aufgewachsen ist er in New x>rk – „das erkennst Du an meinen großen Schritten“. Heute wohnt er mit Gattin Georgia Hubley im beschaulichen Hoboken vor den Toren der Metropole, doch er verbringt noch viel Zeit dort, er muß ja nur unter dem Hudson River durchdusen.
Man braucht Kaplan nicht auszuquetschen, um herauszufinden, welcher Star in welche Kinos geht, und welche seiner alten Helden aufweicher Party gesehen wurden. Darüber berichtet er mit dem Eifer eines Fans. Daß er inzwischen selber eines der bekannteren Gesichter der Stadt ist, vergißt Kaplan gern maL b La Tengo interessieren sich für alles, was im New Yorker Art-Circle passiert. Filme, Pop und Kunst sind hier Teile eines festen Koordinatensystems. Das ist nicht die Grundlage für ein Crossover der Genres oder ein Zitat-Puzzle – das Trio entwikkelt vielmehr einen Flow aus Feedbacks und Akkorden, aus Noise und Country, aus Images und Sounds. In dem gibt es zwar enorme emotionale Dichte, aber keine emotionale Rhetorik. Frei von Klischees ist dieser sich weich, aber unnachgiebig in die Weite tastende Strom, der höchstens mal im Titel ihrer Platten gefühlig auftrumpft.
J. Can Hear The Heart Beating As One“ heißt das neue Album. New York und Nashville liegen hier auf einer Achse, denn produziert wurde das Werk in der Country-Kapitale. So war es für den Pedal-Steel-Gitarristen AI Perkins, einst bei den Flying Burrito Brothers dabei, kein weiter Weg ins Studio. Country kommt bei dieser Band allerdings nur als einer von vielen möglichen Stoffen von den sie auf seine Konsistenz abgetastet haben. Wie der Jazz. Vollkommen unakademisch lassen Yo La Tengo, die unlängst für eine Single zwei Sun-Ra-Kompositionen interpretiert haben, ein paar freie Riff-Stakkati in ihre Stücke plumpsen. Und obwohl sie sich aus dem derzeitigen Clash von Techno und Rock raushalten, testen sie in dem Track „Autumn Sweater“, wie es sich anfühlt, wenn man die Drum’n’Bass-Beats gedrosselt auf einem Schlagzeug spielt. Das sind keine Fluchtbewegungen aus dem Rock – sowas käme Yo La Tengo nicht in den Sinn, die von sich behaupten: „Wir sind nur eine kleine amerikanische Band.“ Vfon wegen klein. Als Live-Ensemble sind b La Tengo bestens eingeführt. In Hamburg beispielsweise haben sie in den vergangenen zehn Jahren unermüdlich jeden Hangout, in dem eine halbwegs funktionierende P. A. rumsteht, beschallt Und als sie kürzlich in Austin/Texas auf einer Leistungsschau ihres Labels Matador auftraten, spielten sie alle anderen Akteure an die Wand. Kaplan ist ein verrückter Gitarrenheini, und trotzdem schüttelt er am Anfang nur die Rasseln. Wie unter Strom. Elektrizität entsteht durch Reibung, und die schafft er mit ganz unterschiedlichen Mitteln. Ein Kraftwerk, dieser Schluffi.
Bei „Mars Attacks!“ ist Ira Kaplan trotzdem irgendwann eingeschlafen. Erst am Ende wurde er wach: Daß die Welt durch einen Country-Song gerettet wurde, fand er super.