Fleetwood Mac: „„Mehr Drama, Baby“
Fleetwood Mac hätten über Bruce Darnells Bonmot kaum lachen können, als sie 1976 mit der Arbeit an ihrem neuen Album begannen: Bandinterne Liebesbeziehungen zerbrachen, und der Drogenkonsum war selbst für Rockstar-Verhältnisse exorbitant. Trotzdem - oder vielleicht gerade deshalb - wurde "Rumours" zum Megaseller und künstlerischen Höhepunkt der Band.
Winter 1976, Sausalito, nördlich der Golden Gate Bridge an der Frisco Bay gelegen. Im Record Plant Studio haben sich Fleetwood Mac eingefunden, um ein neues Album aufzunehmen. Die Umstände allerdings könnten schwieriger nicht sein: Gitarrist Lindsey Buckingham und Sängerin Stevie Nicks trennen sich gerade nach langjähriger Beziehung; Bassist John McVie und Ehefrau Christine (Keyboards, Gesang) lassen sich scheiden; und Mick Fleetwood, Drummer und Bandgründer, sieht seine Ehe mit Jenny (Schwester von Partie Boyd, Ex-Ehefrau von George Harrison und Eric Clapton, Anm. d. Red.) ebenfalls am Ende – die Gemahlin ist nun mit einem seiner besten Freunde liiert. Aus dem Weg gehen können sich die Beteiligten im Studio kaum, denn das Record Plant bietet lediglich einen winzigen Aufenthaltsraum mit einem Sofa und drei Stühlen. Während sich die McVies bei der Arbeit mit eisigem Schweigen begegnen, fliegen zwischen Buckingham und Nicks täglich die Fetzen. Fleetwood sucht, wie die anderen, Zuflucht in Kokain und reichlich Alkohol. Eine Praxis, die in den siebziger Jahren selbstverständlich zum Rock’n’Roll-Lifestyle gehört, zumal in Kalifornien, dem Wilden Westen des Anti-Establishments, nichtsdestotrotz aber verheerende Auswirkungen auf die Verfassung der Beteiligten hat. Wie soll man so gemeinsam Musik machen?
Im Frühling 1977 haben Fleetwood Mac schon zehn Jahre hinter sich. 1967 in England gegründet, hatten sie sich zunächst dem Chicago Blues verschrieben und galten bald als Bannerträger des Brit Blues. Klassiker wie „Albatross“, „„The Green Manalishi“, „Black Magic Woman“ und „Oh Well“, allesamt aus der Feder von Gitarrist Peter Green, versprachen eine große Zukunft. Die aber war 1970 vorbei, als Green wegen psychischer Probleme ausstieg und die Band allein zurückließ. Mac experimentierten fortan mit verschiedenen Gitarristen, die Alben waren von durchwachsener Qualität und allenfalls mäßig erfolgreich. Ende 1974 siedelte die Gruppe nach Kalifornien über, wo der damalige Gitarrist Bob Welch seinen Abschied nahm. Fleetwood Mac bestanden nun nur noch aus Fleetwood und den beiden McVies. Durch Vermittlung eines Toningenieurs stieß der Drummer auf Lindsey Buckingham, einen Songwriter und Gitarristen aus Palo Alto, Kalifornien. Buckingham heuerte an und brachte seine Freundin, die Singer/Songwriterin Stevie Nicks, mit.
Eine Personalie mit Folgen, denn die Umbesetzung brachte einen Kurswechsel zu Westcoast-gefärbtem Softrock mit deutlich stärkerem Pop-Appeal. In nur drei Monaten nahm die neue Mannschaft ihr erstes Album auf und landete einen Volltreffer: „Fleetwood Mac“ (1975) warf drei Top-Ten-Singles („„Rhiannon“, „„Say You Love Me“, „Over My Head“) ab und katapultierte die Band überraschend in die erste Rock-Liga.
Als Fleetwood Mac sich im Februar’76 in Sausalito treffen, macht sich das Album gerade daran, Peter Framptons Millionenseller „„Frampton Comes Alive“ von der Spitze der US-Charts zu verdrängen. Eine Situation, die den Druck auf die Band verschärft. Plötzlich ist nicht nur ein neues Album gefragt, sondern eines, das den frischen Star-Status der Band konsolidieren und am besten noch eins draufsetzen kann. Die neuen Songs jedoch, geschrieben von Buckingham, McVie und Nicks, handeln nur von den jeweils anderen, stecken voller Bitterkeit, Trauer und Resignation. Oder sie rühmen den neuen Lover, wie „„You Make Loving Fun“, das Christine McVie über den Chef-Lichttechniker der Band geschrieben hat. Zur beklemmenden Atmosphäre trägt obendrein bei, dass das Studio kein Fenster hat und Mick Fleetwood in der lauteren Absicht, allen Druck von der Band zu nehmen, sämtliche Uhren aus dem Gebäude hat entfernen lassen. Da sitzen sie nun also – vor den rauchenden Trümmern ihrer privaten Beziehungen, ohne Tageslicht, ohne Zeitgefühl. Und dauerbedröhnt. Fleetwood später im Rückblick: „„Es war die verrückteste Zeit in unserem Leben. Vier, fünf Wochen praktisch ohne Schlaf, immer nur Drogen. Kokain in solchen Mengen, dass ich irgendwann wirklich glaubte, durchzudrehen.“
Immerhin können sich in der studiofreien Zeit alle ungestört die Wunden lecken. Stevie Nicks und Christine McVie, zu engen Freundinnen geworden, haben sich am Hafen von Sausalito zwei Appartements im selben Block gemietet, während die Jungs in einem Häuschen in den Hügeln, nahe beim Studio, leben. Bei der Arbeit beißt jeder die Zähne zusammen. Nicks wird es später so ausdrücken: „„Wir stellten die Gefühle in einer Ecke des Raumes ab und machten einfach Musik.“ Das ist es schließlich, was alle verbindet, allen gleichermaßen am Herzen liegt. Auch wenn Nicks gallige Songs aus der Feder ihres Ex wie „Go Your Own Way“ und „Second Hand News“ auf sich beziehen muss und John McVie sich nur im äußersten Notfall bei seiner geschiedenen Gattin nach der angesagten Tonart erkundigt.
Das Psychogefängnis verlangt allen, auch den Toningenieuren, das Äußerste an Disziplin und Diplomatie ab. Eine bizarre Situation, die Mick Fleetwood später so schildert: „Wir versuchten die Basic Tracks aufzunehmen, obwohl wir alle verzweifelt und unglücklich waren. Wir sprachen miteinander in knappem, zivilisiertem Ton, während wir in diesem kleinen, stickigen Studio hockten und uns die Songs der anderen über unsere kaputten Beziehungen anhörten.“ John McVie erinnert sich: „Ich saß im Studio, als wir ‚Don’t Stop‘ mischten. Jedes Wort darin handelte nur von mir. Dann drehte ich mich um, und da saß die, die’s geschrieben hatte.“
Über ein halbes Jahr zieht sich der Entstehungsprozess des Albums hin. Trotz der belastenden Situation aber gelingt es vor allem Christine McVie, so etwas wie Hoffnung und Zuversicht in ihre Songs zu bringen. „„Don’t Stop“ sprüht vor Optimismus, „„Songbird“ spendet universellen Trost, und „Oh Daddy“ ist eine Hommage an Mick Fleetwood, tatsächlich den einzigen Vater in der Band, der unter den schwierigen Umständen versucht alle(s) zusammenzuhalten (was ihn nicht daran hindert, eine Liaison mit Stevie Nicks zu beginnen).
Als „„Rumours“ endlich fertig ist und am 4. Februar 1977 veröffentlicht wird, spüren Millionen von Käufern, dass die Emotionen auf diesem Album echt sind. Kein Wunder, Stevie Nicks erklärte zwanzig Jahre später in der TV-Dokumentation „Classic Albums: Rumours“ (siehe Kasten): „„Wenn man solche Probleme hat wie wir damals, geht man zu Freunden und spricht mit ihnen. Wir konnten das nicht. Wir hatten nur die Musik, und dort steckten wir alle Gefühle hinein.“