Fleetwood Mac: Alle Alben im ROLLING-STONE-Check
Der komplette Output von Fleetwood Mac im Überblick und mit Bewertung.
Britanniens erfolgreichste Bluesband formierte sich erst im Sommer 1967, als der Blues-Boom bereits der Vergangenheit anzugehören schien. London war Pop-vernarrt, Musik und Modewaren schreiend bunt, das Passepartout hieß Psychedelia. So mächtig war der Sog der neuen Sounds, dass auch die wichtigsten Protagonisten der britischen R&B-Szene längst dem Blues-Schwarzweiß abgeschworen und die Farbenpalette des Pop für sich entdeckt hatten.
Die Rolling Stones, Manfred Mann, Pretty Things, Animals, Moody Blues, Yardbirds und Zombies waren Pop-infiziert, als immun erwiesen sich nur wenige Bands, allen voran John Mayall’s Bluesbreakers. Mehr Blues-Schule als festes Gruppengefüge, diente Mayells fluktuierender Haufen als Talentschmiede und Durchlauferhitzer für höhere Weihen. Hier lernten Eric CIapton und Mick Taylor, hier spielten erstmals Mick Fleetwood, John McVie und Peter Green gemeinsam, wenn auch nur ein paar Monate lang.
Mayalls striktes Regiment – Alkohol war verpönter noch als Pop – führte zur Abspaltung, nachdem Fleetwood und McVie von Mayall gefeuert wurden, weil sie beduselt zum Dienst angetreten waren. Zur selben Zeit gründete Decca-Hausproduzent Mike Vernon sein eigenes Label, Blue Horizon, und stellte die Gitarristen Peter Green und Jeremy Spencer einander vor. Man verstand sich auf Anhieb, tat sich zusammen und nannte die neue Formation Fleetwood Mac.
Im November erscheint als erste Single das wenig zukunftsträchtige „I Believe My Time Ain’t Long“ aus der Feder von Elmore James, Spencers großem Vorbild. Ein auch auf der Debüt-LP kaum zu überhörender Einfluss. Die heißt schlicht „Peter Green’s Fleetwood Mac“ (★★★★), erscheint im Februar 1968 und kontrastiert Spencers agile Läufe mit Greens ruhigeren, lyrischeren Licks. Das Material stammt mehrheitlich aus alten, fast versiegten Quellen wie Robert Johnson und Howlin‘ Wolf.
Dennoch wird das Album ein Bestseller und erreicht Platz 4 in den UK-Charts. Schon im August ’68 wird die zweite Mac-LP nachgeschoben, hart auf den Fersen von zwei kleinen Single-Hits: „Black Magic Woman“ und „Need Your Love So Bad“, ersteres die Vorlage für spätere Santana-Gniedelei, letzteres das Blueprint für gefühligere Blues-Derivate. Das Album „Mr. Wonderful“ (★★★1/2) erreicht abermals die Top Ten und offeriert neben Spencers Delta-Slide und Greens mal poetischem, mal sinistrem Spiel auch Bläser sowie eine Tasten-Lady namens Christine Perfect.
„Albatross“ brachte den ersten Mega-Erfolg für Fleetwood Mac
Ende 1968 erklimmen Mac einen Gipfel, den ihnen niemand zugetraut hatte: „Albatross“ führt die Singles-Charts an und geht weltweit vier Millionen Mal über die Ladentheken, im April’69 gefolgt von einem noch schöneren, kaum weniger erfolgreichen Hit: „Man Of The World“. Inzwischen war mit Danny Kirwan ein dritter Lead-Gitarrist rekrutiert und das Ensemble-Spiel so noch facettenreicher gestaltet worden.
Fleetwood Mac wechseln zu Reprise, während Blue Horizon mit „Pious Bird Of Good Omen“ (★★★) eine Patchwork-LP in die Läden drückt, ähnlich überflüssig wie die für den US-Markt konzipierte „English Rose“ (★★★). Das erste Reprise-Album ist „Then Play On“(★★★★), erscheint im Herbst ’69 und markiert einen kreativen Schub, inventiv, introspektiv vielschichtig und kulminierend im durchaus progressiv gefärbten Rock-Epos „Oh Well“.
Im Mai 1970 verlässt Peter Green seine Band, seelisch böse geknickt. Die Single „The Green Manalishi“ ist ein letzter Leistungsnachweis der alten Mac-Besetzung, indes die LP „Kiln House“ (★★★1/2 ) bereits ohne Green aufgenommen wird und zwar stilistisch kohärent gerät, jedoch kommerziell auf der Strecke bleibt.
Jeremy Spencer steigt aus und wird durch den Amerikaner Bob Welch ersetzt, Christine McVie rückt in eine zentralere, Song-liefernde Position und die folgenden Alben „Future Games“ (1971, ★★1/2) und „Bare Trees“ (1972, ★★★) helfen mit ihrem West-Coast-Feel und Soft-Rock-Flair, die Band endlich in den USA zu etablieren, indessen die Platten im UK beinahe komplett ignoriert werden. Ein Prozess, der durch den Hinauswurf von Danny Kirwan und die vorübergehende Beschäftigung des Rock-Vokalisten Dave Walker beschleunigt wird.
Die resultierenden Alben „Penguin“ (1973, ★★) und „Mystery To Me“ (1973, ★★) zeitigen passable Verkäufe in Amerika, zeigen die Band aber auf dem künstlerischen Tiefpunkt. Leidlich besser gelingt „Heroes Are Hard To Find“ (1974, ★★1/2), danach verlässt Bob Welch nach vier Jahren die durch private Notstände und melodramatische Zerwürfnisse demoralisierte Band, Fleetwood Mac liegen auf Eis. Bis Mick Fleetwood eine LP titels „Buckingham Nicks“ hört und das Kapitel Kalifornien aufgeschlagen wird…
Wohin ging der Blues? Wurde er wie eine tote Packratte rausgekehrt, bevor der Albatross in den warmen Westen flog und Fleetwood Mac nach Los Angeles umzogen? Allzu schön wäre diese Trivialgleichung, die freilich nicht stimmt, denn – wie gesagt – schon in London war nach Peter Greens Abschied nach und nach der Pop gekommen.
Für das Künstlerpaar, die Einsteiger Nicks und Buckingham, war Blues höchstens ein cooles Wort, und nur manchmal glaubt man später noch, ihn hören zu können, aus weiter Ferne: in Christine Mc Vies Liedbeiträgen wie „Sugar Daddy“ und „Don’t Stop“, in den Texten („Been down one time/ Been down two times“), in Stevie Nicks‘ „Gold Dust Woman“, in der einen, trademarkigen Gitarren-Picking-Figur von Lindsey Buckingham, die er bis zum heutigen Tag immer wieder standhaft in seine Stücke einbaut (am unverschnittensten zu hören in der Live-Performance von „Big Love“ auf „The Dance“).
Ein über den Daumen gepeilter, ein Kuschel-Blues. Der Blues, den sich jede Popgruppe ab und zu leistet. Wenn man heute sagt, die Post-Green-Fleetwood Mac seien die Band mit dem größten Drama gewesen, muss man auch fragen: Warum hat dieses Drama nie einen Weg in die Musik gefunden?
Schon im pastoralen „Landslide“ von „Fleetwood Mac“ (1975, ★★★1/2), dem ersten Album ohne Welch, mit Nicks und Buckingham, singt Stevie Nicks von ihrem Liebesproblem: „I’ve been afraid of changin’/ ‚Cause l’ve built my life around you/ But time makes you bolder/ And children grow older/ And I’m getting older, too.“ Und klingt trotzdem so weise und strahlend schön und unverletzt dabei.
Ihr „Rhiannon“ war der Blueprint für das verkühlt Sinnliche, das sie in die Band einbrachte, vom Noch-Freund Lindsey bestens in Szene gesetzt mit einem leicht nachvollziehbaren Gitarren-Hook. Das erste Ko-Produkt der Songwriter Nicks, Buckingham und Christine McVie, einer zu diesem Zeitpunkt beispiellosen Gilde, wirkt wie eine Singles-Collection aus Westcoast-Boogie und Sixties-Sonnigkeit, mit unaussprechlichen Hits, auch mit Rhodes-Piano-Kitsch („Crystal“) und einem Solo für twin guitars („I’m So Afraid“). Ein homogenes Album, eine echte Gruppenarbeit ist Fleetwood Mac Mark II nicht einmal zu der Zeit geglückt, als sie noch eine echte Gruppe waren.
„Rumours“ (1977, ★★★★1/2) kann man trotzdem nicht erklären. Eine Platte, auf die sich so unvorstellbar viele Leute einigen können wie sonst nur auf Softdrinks oder Einbauregale. Feelgood-Musik, die ihren qualvollen Entstehungsprozess nur in den Songtexten dokumentiert und die beim zweiten wie beim fünfzigsten Wiederhören – trotz der erwähnten Einschränkung – so einleuchtend komponiert klingt, mit der aufwühlenden ersten und der verkaterten zweiten Seite und nur ausgesucht fantastischen Melodien.
Es gibt kein Gedudel hier, selbst Buckinghams Solo am Schluss von „Go Your Own Way“ ist unausweichlich und der emotional unmittelbarste Moment der Platte. Wundervoll: wie nach dem retardierenden „You Make Loving Fun“ in „I Don’t Wanna Know“ der Harmonie-Gesang hereinplatzt, wie „Don’t Stop“ kurz vor dem Ende wirklich kurz stoppt und doch weitergeht. Der gespannte Bass im Break von „The Chain“. Die Zeile „Pick up the pieces and go home!“ in „Gold Dust Woman“. Ein einsamer Höhepunkt der Pop-Trivialliteratur.
Das einzige Fleetwood Mac-Werk, in dem der Irrsinn andeutungsweise zu seinem Recht kam, ist „Tusk“ (1979, ★★★★), später von Camper Van Beethoven komplett gecovert und mit der Credit-Stilblüte „Produced by Fleetwood Mac (special thanks from the band to Lindsey Buckingham)“ gezeichnet. Dass der als Musikdirektor allein gelassene Buckingham nur seine eigenen Stücke (9 von 20) als rauschfreien Edel-Lo-Fi und psychedelische, kokainweiße Home-Recordings mit manipulierten Gitarren und selbstgemachten Trommel-Sounds realisierte, darf man als Geste der Höflichkeit werten, gerne auch als Anbiederung an die New-Waver.
Für einen reichen Sack hatte er jedenfalls ungeheuer viel verstanden. Dass auch McVie und Nicks es bei den damaligen Zuständen noch schafften, so hervorragende Songs fertig zu bekommen, lässt einen staunen. Durch den Umfang und die Zerfahrenheit natürlich schwergängiger als“Rumours“. Muss unbedingt wiederentdeckt werden.
„Fleetwood Mac Live“(1980, ★★1/2) nicht. Nach dem kommerziell enttäuschenden „Tusk“ sollten dann Produkte her, die auch Idioten kaufen konnten. Mit „Mirage“ (1982, ★★) und „Tango In The Night“ (1987, ★★) gelang das vorzüglich, künstlerisch war es aber der Schritt in genau den Abgrund, an dem Fleetwood Mac so lange elegant entlanggetänzelt waren: Was an den Songs eh schon schnulzig war, wurde nun auch gottergeben schmalzig arrangiert, mit den Synthesizern des Tages, die seit Anfang der Achtziger im Adult-Oriented Rock auf dem Rezeptkärtchen standen.
Es ist rätselhaft, aber eine schlichte Tatsache, dass alles Reizende so schnell und unwiderruflich aus dem Werk der Band verschwand. „Gypsy“ war auf dem“Mirage“-Album Stevie Nicks‘ letzter Samt-und-Seide-Auftritt, bevor sie in die Umnachtung ging. Auf „Behind The Mask“ (1990, ★1/2), war sie (im Gegensatz zu Buckingham) noch körperlich anwesend, nicht mehr auf „Time“(1995, ★), das die Band sogar aus ihrer offiziellen Discografie entfernt hat.
Die ungebetene Reunion in den Grenzen von 1975 brachte auf dem Live-Unplugged-Album „The Dance“ (1997, ★★1/2) ebenso viele bessere wie schlechtere Interpretationen alter Favoriten und einige halbgare Neuvorstellungen, das bislang letzte Studioalbum „Say You Will“ (2003, ★★) mit allen außer Christine McVie ist mit seinen 76 Minuten länger als „Tusk“, hat nicht halb so viele erwähnenswerte Songs, bemüht geistlose Sound-Klischees, bei denen sich alle Körperhaare aufstellen, und klingt zumindest in einigen von Produzent Buckinghams besten Momenten wie die Art Radio-Wegwerf-Stoff, der einen wenigstens noch an den richtigen Stellen einseift.
Wenn einem das als Trost genügt.
Ein Artikel aus dem RS-Archiv