Fest für Bessergucker
Was ist los in den deutschen Feuilletons und Quatschbuden? Seit Monaten herrscht ein Bekennerwahn, wie man ihn sonst nur unter Fußball-Fans findet: Kunstsinnige Chefredakteure schwärmen von Wochenenden, an denen der Fernsehapparat nicht kalt wurde, weil sie die neueste Staffel von, sagen wir: „Dr. House“ auf einen Rutsch weggeguckt haben. Auch im eigenen Freundeskreis trifft man auf Szenen, wie man sie vorher nur aus Filmen wie „Bridget Jones“ kannte: Gut ausgebildete, lebenslustige Frauen und Männer kleben in Jogging-Anzügen auf der Couch, umgeben von Pizza-Resten, Schokoriegeln und längst nicht mehr kalten Getränken. Was einst ein guilty pleasure war, dem man privat und im Stillen gerne frönte, wurde im Lauf des letzten Jahres ein Top-Thema für Party-Plaudereien: TV-Serien. Der moderne Connaisseur sieht sie nicht mehr, wie früher, umsonst im Fernsehen an, sondern kostenpflichtig auf DVD.
Bisher waren Serien eher ein Thema für stilbewusste Nostalgiker: „The Avengers“, „Raumpatrouille Orion“ oder „Twin Peaks“ wurden vor allem deshalb gekauft und archiviert, weil sie Erinnerungen an die eigene Jugend weckten und obendrein noch als Pop-Klassiker galten. Bei „Jason King“, „Die Zwei“ oder den vielen anderen alten Obskuritäten, die inzwischen in jedem Mediamarkt und jeder Videothek stehen, rätselt man dann aber doch schon ein wenig über die Zielgruppe. Andererseits – noch die doofste Serie hat ihre Fans: Schon vor 20 Jahren baute Barry Levinson in seine wunderbare Komödie „Tin Men“ Dialoge ein, die immer wieder um den Uralt-Klassiker „Bonanza“ kreisten und vor Witz nur so sprühten. Die Vorlage war aber auch zu schön: ein Vater, dessen drei Söhne von drei verschiedenen Frauen stammen, von denen keine mehr lebt – tun sich hier nicht wahre Abgründe auf? Auch „Dallas“ lässt die alten Verehrer noch heute vor Begeisterung stammeln. Beim Bekenntnis zu Fassbinders „Berlin Alexanderplatz“ erntet man dagegen eher mitleidige Blicke, weil diese TV-Saga ja schließlich als anstrengende Kunst gut – und da will ja heute keiner ran: zu düster, zu grüblerisch, zu deutsch, zu avantgardistisch.
Doch es hat sich tatsächlich etwas geändert im Reich der Unterhaltungsserien. Die Zeiten, wo jede Folge ein abgeschlossenes Ende hatte, sind selbst bei vielen schlichter gestrickten Produktionen vorbei. Drehbuchautoren lösen altbekannte Erzählstrukturen auf und entwickeln Charaktere, die von Folge zu Folge komplexer werden, um dann – wenn der Zuschauer bereits an jedem Atemzug teilnimmt – womöglich überraschend zu sterben. Die Figuren eines normalen Kinofilms wirken dagegen wie Holzschnitte. Vor allem der amerikanische Bezahlsender HBO hat mit „The Sopranos“, „Six Feet linder“ oder dem in Deutschland nie gezeigten „Deadwood“ die Messlatte in atemberaubende Höhen geschoben. „The Sopranos“ wirkt über weite Strecken, als hätte man Shakespeares Dramen nach New Jersey verlegt und Martin Scorsese als Drehbuchschreiber verpflichtet. Und hat man je zwei Männer einander so schön küssen gesehen wie David und Keith, das Paar aus „Six Feet Under“?
Vor den Augen stinknormaler deutscher TV-Glotzer finden solche intelligenten Produktionen allerdings wenig Gnade. Vieles, was in den USA Preise gewinnt, wird hierzulande gar nicht erst gesendet. Selbst der atemberaubende Action-Kracher „24“ leidet unter mageren Einschaltquoten – was natürlich auch an den vielen Erzählsträngen und der komplexen Handlung liegt: Wer ein paar Folgen verpasst, schafft nur schwer wieder den Anschluss ans Geschehen. Die im 20-Minuten-Takt dazwischenfunkende Werbung tut ein Übriges. Und eine Folge pro Woche, come on! Das ist für Süchtige ein Witz.
In den USA verlieren fast alle TV-Serien gerade an Zuschauern, und man ahnt, was die Konsequenz daraus sein wird – nämlich die Rückkehr zu schlichteren Formaten, für eine dementsprechend schlichtere Zielgruppe. Die vielzitierte Schere klafft auch hier immer weiter auseinander.
Die Bessergucker haben am Fernsehen längst das Interesse verloren. Geduldig warten sie, bis die Serie ihrer Wahl auf DVD erscheint. Und wenn es dann soweit ist, bestimmt kein Sender mehr, wann sie läuft, stört keine Werbung beim Genuss. Die DVD-Serien-Begeisterung zeigt, wie es weitergehen könnte in einer Zeit, in der immer weniger Menschen ins Kino gehen und immer mehr die Breitband-Connection besitzen: Schon bald könnten 20-stündige Blockbuster-Serien auf dem heimischen Flachbildschirm Premiere feiern. Und glauben Sie mir: Man wird jede einzelne Folge bezahlen müssen.