Fehlfarben: Bier im Spiel
Überqualifiziert und untermotiviert in Düsseldorf: Bei den Fehlfarben regiert wieder der aufrechte Zorn. Und viel Humor. Heute erscheint ihr neues Album "Xenophonie". Eric Pfeil hat sie zum Interview getroffen.
Jetzt haben wir die Berliner Mauer“ – die Titelgeschichte des „Düsseldorfer Express“ prangert einen üblen Skandal an: Im Stadtteil Ratingen wurde den Anwohnern im Zuge einer „Gebietsoptimierung“ ein sieben Meter hoher Lärmschutzwall vor die Nase gesetzt. Das dazugehörige Foto zeigt eine Handvoll Moserbürger, die mit verschränkten Armen und anklagendem Blick vor der Wand stehen. Peter Hein klappt seine getigerte Lesebrille zusammen und streicht die Zeitung glatt. Der 54-jährige Sänger – heute in roter Röhrenhose, zerbeulter Secondhand-Lederjacke mit herunterbaumelnden Knöpfen und einem offensichtlich selbstgestalteten gelb-weißen Hemd mit der Aufschrift „Polychemie“ – schüttelt kurz den Kopf und konstatiert dann knapp: „Das ist ja nur so’n Scheiß-Holzzaun. Die Idee hatten wir schon 1977. Da wollten wir hier auch ein Stück Berliner Mauer aufbauen.“ Hein bestellt sich den ersten Weißwein, sein alter Weggefährte Frank Fenstermacher, ein sympathischer Sanftmann mit blauer Künstlerbrille, schaut auf die Uhr: Es ist elf Uhr vormittags.
Das Mauer-Statement veranschaulicht zwei bedeutsame Fakten über die Fehlfarben. Erstens: Sie waren tatsächlich in fast allem die Ersten. Zweitens: Mindestens so sehr wie von aufrechtem Zorn und Daseinsekel war ihr Schaffen immer schon von einem krawalligen Humor geprägt. Heute mehr denn je: Auf dem neuen Album „Xenophonie“ zeigt sich Hein in seinen gewohnt sloganstarken Texten so komisch wie nie zuvor. „Wir werden eben immer alberner, das finde ich sehr wichtig“, sagt er todernst. Irgendwo zwischen puppenlustiger Provokation, polternder Medienschelte, Mike-Krüger-Gags und schnell zusammengekritzeltem Festredengedicht bewegen sich seine Lyrics. Vor Plumpheiten ist man in diesem genialischen Wortgepolter nie sicher: „Ihr seid ARGE Scheiße“, heißt es in „Bundesagentur“. Im selben Song etikettiert sich Hein als „… für’n Bewerbungskurs zu alt, überqualifiziert, untermotiviert“. Und wenn das Wort „Revolution“ mal nicht ins Versmaß passt, kürzt er es als „Revu“ ab. Punk eben. Es sei ja auch oft Bier im Spiel, lässt Hein wissen. Wobei, so betont Fenstermacher, die Band ihrem Sänger nicht alles durchgehen lässt. „Aber was durch muss, kommt auch durch.“
Die Texte hat Hein wie immer erst auf den letzten Drücker im Studio von Moses Schneider (Ja, Panik, Tocotronic) geschrieben. „Ich bin keiner, der grundlos rumsitzt und Texte schreibt“, erzählt er, das grenze ja an Gedankenverschwendung. Zudem habe das Schreiben so kurz vor der Fertigstellung einer Plattenproduktion den Vorteil, dass man einigermaßen aktuelle Phänomene benennen könne. „Aber du schreibst ja schon regelmäßig“, wirft Fenstermacher ein. „Ja“, antwortet Hein, „aber keine Songtexte, nur Prosa.“ Prosa, wie er sie in dem vor fünf Jahren erschienenen Buch „Geht so“ veröffentlicht hat, das überraschend ruhige und präzise Deutschlandbeobachtungen und geradezu slapstickartige Geschichten der Kategorie „Aus dem Leben einer selten dysfunktionalen Band“ versammelt.
Was aber sagt es eigentlich über die Fehlfarben aus, dass die Band seit ihrer Wiedervereinigung vor zehn Jahren länger zusammen ist als in ihrer Sturm-und-Drang-Phase in den Achtzigern? Fenstermacher: „Das liegt daran, dass wir eine junge Schlagzeugerin haben.“ Gemeint ist Saskia von Klitzing, die seit gut zehn Jahren bei den Fehlfarben spielt und die Ü-50-Truppe ordentlich auf Trab hält. Ohne die neue Trommlerin, so die beiden Musiker, wären die Fehlfarben womöglich nur eine Schluffi-Truppe. Fenstermacher: „Wir bekämen ja gar nichts auf die Reihe. Wir üben ja nicht mal.“