Feenstaub gesucht
Wer von uns hat sich denn früher ernsthaft für Kunst interessiert, Herrschaften? Das war doch „Aspekte“-Terrain, eine von Langweilern kontaminierte und kontrollierte No-go-Area. Sicher, ohne den Pop-Papst mit der weißen Perücke wären Velvet Underground heute vielleicht nur eine Fußnote der Rock-Geschichte. Aber schon Albert Oehlen und Martin Kippenberger kannte man doch hauptsächlich deswegen, weil sie auch noch als Musiker und Geschäftsführer eines legendären Punk-Ladens auf sich aufmerksam machten. Rock war Leitkultur.
Und heute? Ist es genau umgekehrt. Nehmen wir Pete Doherty, einen der anerkannt wahnsinnigsten Popmusiker mit allseits attestiertem Unterhaltungswert. Jedes Käseblatt hat in den letzten zwei, drei Jahren regelmäßig über ihn, seine Drogen und die Liaison mit Kate berichtet. Und hat es geholfen, sind die Babyshambles in die Top Ten gekommen, waren die Tourneen ausverkauft? Nein! Weil Doherty ein trauriger Medienkasper ist, dessen Musik lediglich alte Libertines-Fans interessiert.
Ein Künstler wie Jonathan Meese kann Doherty in Wahnsinn und Unterhaltungswert jederzeit das Wasser reichen – und setzt noch einen drauf: Unvergessen ist die Premiere von Meeses erstem Theaterstück, „De Frau“, Anfang dieses Jahres, als der Künstler sich zum Schluss halbnackt in einem Gitterkäfig einschloss und so lange sein Lieblingslied „Griechischer Wein“ grölte, bis endlich der letzte Zuschauer gegangen war. Doch auch Meeses bildende Kunst steckt voller Humor und Überraschungen: Da gibt es Räuberhöhlen voller Trivialmythenschätze und ein anarchisches Wühlen in wagnerianischen Walhalla-Gewölben. „Die Preise sind noch fünfstellig, aber nur, weil Meese so wahnsinnig viel produziert“, schrieb „Die Zeit“ schon letztes Jahr über den bärtigen Mattenträger.
Kunst boomt, feiert und glänzt also, während die Musikindustrie zur gleichen Zeit tränenreich ihr Schicksal bejammert. Malerei wird zur Geldanlage, das zeigen auch neue Zeitschriften wie „Art Investor“, die wie ein Börsenblatt Kunst-Anlagetipps geben. Plattensammler gelten dagegen als schrullige Spinner, die einer vergangenen Technologie nachweinen. Musik ist virtuell geworden. Unsichtbar landet sie auf unseren Festplatten, ein Hintergrundrauschen wie der Verkehrslärm, den sie mittels iPod ausblendet.
Kein Plattenlabel kann sich heute noch so glänzende Partys leisten wie der Maler Daniel Richter – der übrigens mit seiner ersten Kunst-Million das traditionsreiche Buback-Label rettete. Nach seiner Vernissage in der Hamburger Kunsthalle rockten in der Rossi Bar die famosen 3Normal Beatles das Dach weg, und Jochen Distelmeyer sprach den in Strömen fließenden Freigetränken ebenso zu wie manch alter Hausbesetzer. Türsteher gab es nicht, jeder war willkommen. Richter kann es sich leisten – neben Meese und Neo Rauch ist er der bestverkaufende deutsche Künstler seiner Generation. Wir könnten jetzt noch stundenlang so weitermachen, von all den Dash Snows und Matthew Barneys reden, die schon optisch jeden Mucker blass aussehen lassen. Nebenbei gesagt: Künstler und Musiker sind oft so miteinander verbandelt wie Björk und Barney.
Deshalb müssen wir weiter der Frage nachgehen, welchen Glamour die zeitgenössische Kunst hat und warum er der Popmusik immer mehr abhanden kommt. Jac Holzman, Produzent und Gründer des Elektra-Labels, hat einmal gesagt, dass ein wirklich gutes Album aus Kontext, Content und „einem Hauch Feenstaub“ besteht. Ob man bei den großen Unterhaltungskonzernen über so etwas noch nachdenkt? „Feenstaub“, wird der allgegenwärtige Controller schnauben, „bringt mir keine besseren Bilanzen.“ Und da irrt er sich. Denn wer den Back-Katalog von Elektra kennt, die Alben von den Doors, Love, Incredible String Band, Nico oder Tim Buckley -, der weiß: „Feenstaub“ ist das allerwichtigste und keinesfalls mit anderen Pulvern zu verwechseln.
Galeristen hätscheln darum ihre Künstler, machen sich zum Affen, damit ihre Schützlinge in aller Ruhe neue Werte schöpfen können. Weil sie genau wissen, wer hier das Geld verdient. In der Musikbranche sieht man das natürlich ganz anders, dort wird eher über Leibeigenschaft nachgedacht: Komplettverträge – Tonträger, Tourneen, Merchandise und Song-Rechte, alles in den Händen der Labels – gelten als der Rettungsring der Stunde. Doch damit fängt man bestenfalls Dumpfbacken. Clevere Stars wie Madonna drehen den Spieß einfach um.
Und dann müssen wir natürlich auch noch ans Publikum denken. Kunst schmeichelt dem Intellekt. Welch ein Distinktionsgewinn, wenn man auf einer Party sagen kann: Hab‘ gestern eine tolle Ausstellung gesehen!