Festivalbericht

Feel The Love: So war das Berlin Festival 2015

Das Berlin Festival ist im zehnten Jahr seines Bestehens endgültig zum Elektro-Musik-Event mutiert. Das hat gute und schlechte Seiten.

Die Ausgangslage:

Zum zehnten Jubiläum des Berlin Festivals sollte noch einmal aller Welt klar gemacht werden: Die Hauptstadt kann auch Festival. Die Macher werben seit Jahren dafür, dass man ein Programm auf die Beine stellen wolle, das der Partymetropole mit ihrem zuweilen raubeinigen und multikulturellen Charme gerecht wird. Dafür sollen dann auch möglichst viele Genres abgedeckt werden und große Acts wie Newcomer aus allen Bereichen auf der Bühne stehen.

Wie so oft liegen in Berlin zwischen Anspruch und Realität Welten. Und so wird nach einer Dekade recht deutlich, dass sich das Festival vor allem an Technojünger und ein internationales Feierpublikum richtet. Eine gute Wahl der Veranstalter (oder anders ausgedrückt: eine sichere Bank), denn das Publikum hatte auf dem Arena-Gelände am Treptower Park bei recht gutem und beständigem Wetter vom ersten bis zum letzten Tag sichtbar eine Menge Spaß und ließ sich vom mitunter durchwachsenen Line-Up mit wenigen erlesenen Elektro-Headlinern mitreißen.

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Die Stimmung:
Das Berlin Festival richtete sich nicht nur an die vielen Hauptstädter, denen das großzügige Party-Programm am Wochenende längst nicht mehr genügt, sondern auch an die vielen Millionen Touristen, die inzwischen tagtäglich nach Berlin strömen, um einfach eine gute Zeit zu haben. Dementsprechend war der vorherrschende Sound vor Ort ein babylonisches Sprachgewirr, das von einer global verständlichen Redbull-Duftnote umwölkt wurde.

Auf dem so genannten Badeschiff machten es sich einige Sonnenanbeter gemütlich, rundherum wurde fast schon etwas zu penetrant Kirmes-Stimmung (mit Ganzkörperartisten und Hau-den-Lukas) verbreitet. Für das leibliche Wohl war sowieso gesorgt – mit Edel-Burger-Buden, Slow-Food und Currywurstständen (zu freilich völlig überteuerten Preisen) war für jeden Geschmack etwas dabei. Bezahlt werden konnte diesmal mit dem Festival-Bändchen, allerdings nahmen die Schlangen vor den Ständen, an denen man Bares auf die Chips laden konnte, mit der Zeit eher zu als ab.

Höhepunkte:
Róisín Murphy legte am Sonntag den wohl exzentrischsten Auftritt hin. Nach jedem Song verschwand die ehemalige Moloko-Sängerin hinter der Bühne und holte einen neuen Glitzerfummel hervor. Fast meinte man einer Show von Lady Gaga beizuwohnen. Der eigentümliche Stilmix aus House, Country und Jazz, den Murphy auf ihrer dritten Solo-Scheibe „Hairless Toys“ etwas gemächlich zurechtmischte, hat live eine gute Portion mehr Feuer unter dem Hintern. Da passte es fast, dass nur wenige Meter weiter eine Munitionsbox explodierte und einen Feuerwehreinsatz auf dem Festival-Gelände erzwang.

Rudimental sorgten am Sonntag sicherlich für die beste Stimmung auf dem Festival, wenn man einmal die Party-Anheizer Fritz Kalkbrenner oder Chet Faker außen vor lässt, die eher als Bestätigung für das musikalische Mittelmaß des diesjährigen Line-Ups herhalten können. Die Londoner Musikkapelle verausgabte sich mit Liebesbotschaften ans Publikum, coverte furchtlos Ed Sheeran („Bloodstream“) und forderte mit einer ausufernden Version von „Feel The Love“ zum Tanzen auf.

Natürlich überzeugte auch Dubstep-Wunderkind James Blake am Samstag auf ganzer Linie mit seinen vielschichtigen Sound-Ungetümen – vor allem weil er eine Menge neue Songs im Gepäck hatte. Doch der britische Eigenbrötler verströmte hinter seinen Reglern ein merkwürdiges Phlegma, das seinen energetischen Sounds vollkommen zuwiderlief. Als die Technik für einen Moment versagte, rührte er kurz die Augenbrauen, bedankte sich aber später freundlich bei der ausgelassen tanzenden Menge.

Ganz anders WestBam, der nicht nur aus seiner Biographie vorlas („Die Macht der Nacht“), sondern auch hibbelig und gutgelaunt mit seinem DJ-Set die Nacht zum Samstag einleitete.

Entdeckungen:
Das australische Elektro-Duo Panama, das am Samstag mit zackigen Rhythmen und herrlichem Pathos den Sommer willkommen hieß, darf als vielversprechender Newcomer gelten – auch wenn die Band bereits seit 2010 Musik macht. Songs wie „Always“ sind der Soundtrack für eine Autofahrt in den Sonnenuntergang.

Eigenartig mutet der Stilmix von DJ Bootsie aus Budapest an: Flöte und Saxophon werden hier mit dunklen, jazzigen Balkan-Klängen verquirlt, die durchaus auch mal härter ausfielen. In ihrem Heimatland ist das Trio ein absoluter Top-Act und an den Turntables mit flirrendem Körpereinsatz unschlagbar.

Und sonst?
Vor allem in den Nebensektionen bot das Berlin Festival in diesem Jahr eine Menge Schauwerte. Im Our/Berlin – einer etwas besseren Kneipe – wurden stündlich Newcomer auf einen Hocker neben ein Facebook-Verweisschild drapiert, um ihre Musik zu präsentieren.

Im Art-Village-Bereich versuchten Dutzende Literaten mit Poetry Slams das von der Musik müde gewordene Publikum von den Hockern zu reißen (auffällig talentiert: Max Gebhardt, der eine Ode an eine Pipeline und eine geniale Grimm-Hommage zum Besten gab) und im White Trash Fast Food, auch sonst ein Ort für die eher rustikalen Genüsse, gab es mit Trashité ein Best-Of der schrägen Berliner Nachtkultur, die zwischen Varieté und hübsch angereichertem Unsinn hin und her pendelte.

Äußerst vielfältig erwies sich auch in diesem Jahr die Präsentation vieler kleiner Perlen des Fantasy- X-Posed- und Porno-Filmfestivals, die im abgeschotteten Arena Club gezeigt wurden (einer der Höhepunkte: „Hole“ von Martin Edralin). Mit vielen witzigen, aber auch nachdenklichen Kurzfilm-Beiträgen zeigte sich hier einmal mehr, dass gerade in solchen Underground-Kategorien wesentlich fruchtbringender mit dem narrativen Potential moderner Geschlechterverwirrung umgegangen wird.

Andreas Meixensberger
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