Faust im Samthandschuh
Im Alter von 77 Jahren ventiliert Burt Bacharach, Grandseigneur des galanten Liebeslieds, erstmals Ärger über politische Zustände
Er spüre bereits den Gegenwind, sagt Burt Bacharach zwischen zwei Löffeln Heidelbeeren zufrieden und nicht ohne Stolz, seine Botschaft komme offenbar an. Gerade sei er von irgendwelchen reichen Leuten ausgeladen worden. „Die hatten mich für viel Geld gebucht, um bei einer privaten Festivität aufzutreten“, lächelt er, „now they cancelled it.“ So wohl habe er sich schon lange nicht mehr gefühlt. „Ich mußte meinem Ärger Luft verschaffen, das ist mir mit den Songs auf diesem Album gut gelungen. Anders lassen sich solche Reaktionen kaum interpretieren.“ Bacharach nimmt sich noch ein hauchdünn geschnittenes Honigmelonenscheibchen. „Nun weiß ich, wie sich das anfühlt, dieses Sicheinmischen und Stellungbeziehen. Völlig neu für mich.“ Er schluckt eine Pille. „Vitamine“, sagt er wie Zu sich selbst, „nur Vitamine“.
Was an frischen Früchten und Präparaten auf dem Tisch ausgebreitet ist, würde den täglichen Vitaminbedarf eines Seniorenheims decken. Eine mögliche Erklärung für die lässig demonstrierte Spannkraft des 77jährigen Komponisten. Körperlich wie geistig. Ersteres erkenntlich am federnden Schritt, letzteres am Mitteilungsdrang, gepaart mit Gedächtnisleistung. So erinnert sich Burt Bacharach noch genau an unser letztes Gespräch vor sieben Jahren, dessen letzter Teil in einer Limousine stattfand, auf dem Weg zum Bahnhof in Los Angeles. „Es war ein wenig hektisch“, sagt er entschuldigend, „aber ich mußte doch diesen Zug kriegen. Heute muß ich nirgendwohin.“
Eigentlich sei er nach London gekommen, um in der Jools-Holland-TV-Show aufzutreten, da habe Sony gleich noch ein paar Interviews anberaumt. „Und ich habe sofort zugesagt. Sonst bin ich Presseterminen gern ausgewichen, diesmal ist das anders. Es besteht, fürchte ich, Veranlassung, diverse Dinge zu erklären. ‚At This Time‘ habe ich das Album ja deshalb genannt, weil ich zu früheren Zeiten anders gedacht habe.“ Überhaupt müsse er gestehen, daß ihn soziale und politische Probleme nie sonderlich beschäftigt hätten. „Ich habe nicht einmal gegen den Vietnamkrieg protestiert. Was in Washington entschieden wurde, schien mir plausibel. Ich machte meinen Job, die ihren. Aber diese Administration hat an so vielen Stellen versagt, daß es eine Schande ist. Dem Krieg in Irak wird alles untergeordnet, die desaströse Versorgungslage nach dem Hurrikan Katrina entstand auch, weil die Mittel für vorbeugende Maßnahmen und Hilfsprogramme vorab gekürzt worden waren.“ Das Geld sei natürlich anderswo benötigt worden: „to fight this stupid, ugly war“.
George W. Bush, sagt Burt Bacharach, sei „der schlechteste Präsident, den wir je hatten. Das erkennen immer mehr Amerikaner.“ Nachdem sie ihn wiedergewählt haben, wende ich ein. „Genau“, seufzt er, „das ist der ¿wunde Punkt. Ich habe ihn auch gewählt, damals, unter dem Eindruck der Anschläge in New York. Was Colin Powell in der UN ausführte, habe ich ihm abgenommen. Nun schämt er sich dafür. Das nötigt mir Respekt ab. Die Leute, die jetzt die Regierung bilden, kennen keine Scham, haben offenbar kein Gewissen. At this time in my life, I basically think we’re all screwed.“
Ruhig und gefaßt sagt Bacharach das, beinahe resignativ. Wir sitzen in der Suite eines Hotels in Knightsbridge, so vornehm, daß sein Name nur in kleinen, diskreten Goldlettern neben dem Eingang zu finden ist. Ein passendes Ambiente für den Hitverwöhnten, Grammy-beladenen Großmeister des Song-Schachs, der es wie kaum ein anderer verstand, seine Hörer mit klugen, komplexen Melodiezügen mattzusetzen. „Make It Easy On Yourself“, „Close To You“, „I Say A Little Prayer“. Und nun Zeilen wie „Who are these people that destroy everything/And sell off the future for whatever it brings/ And what kind of leaders can’t admit when they’re wrong?/ Make ‚em stop!“ Elvis Costello singt diesen Schlüsseltrack mit jener ihm eigenen Herz-auf-der-Zunge-Expressivität, stets einen Tick zu aufgedreht. „Elvis hat sich richtig reingehängt, er haßt Bush ja noch mehr als ich. ,We’re all fucked‘ hängte er noch hintendran, das haben wir aber gelöscht. Immerhin soll das ja im Radio laufen und helfen, das Album zu verkaufen. Ich möchte Hits, gerade weil mir die Aussagen dieser Songs so wichtig sind.“
Deshalb habe er erstmals die Texte selbst geschrieben, einige davon gemeinsam mit Tonio K, selten konkret, indes oft anklagend. „The sun and the moon are crying/ The stars and our hearts/ Crying/ Please explain“: So vage und verzagt klingt vieles. Fragezeichen überall. Warum hat er denn nicht Hal David reaktiviert, seinen kongenialen Partner, den Wortmagier? „Weil ich
nicht wußte, wie Hal zu diesen Dingen steht, die ich in den Songs anspreche. Vermutlich sieht er sie anders. Ich selbst würde wahrscheinlich auch weiter wegsehen, wenn ich nicht Kinder hätte, zwei kleine und einen 19jährigen Sohn. Es ist nicht meine, sondern ihre Zukunft, um die ich Angst habe.“
Wobei nicht alle Ängste begründet scheinen. Mit der New Yorker U-Bahn ist Bacharach offenkundig schon lange nicht mehr gefahren, sonst könnte er in „Where Did It Go?“ nicht fragen: „When I was a young boy, twelve years old/ Growing up in New York City/ I could ride the subway by myself/ And never, ever be afraid… what happened to that world I knew/ Is it really gone?“ Ein Text, der besser in die 70er Jahre gepaßt hätte, denn seither ist NYC doch immer sicherer geworden. „Das Gefühl habe ich nicht, nach allem, was man so hört“, widerspricht Bacharach, räumt aber ein, daß die Sorgen, die sich ein Vater um seine Kinder mache, nicht immer einen realen Hintergrund haben müssen. „Der letzte Song ist ja auch der hoffnungsvollste.“ Ein Kontrapunkt, keine Frage. „No world to save“, trällert ein Chor und Burt, als Sänger eine Art Lee Marvin mit Melodiegefühl, intoniert den Epilog zu einer Cliffhanger-Coda am Klavier: „Things will stay the same/ But I know love is never far away/ Always taking aim.“
Eher ein Instrumental mit Vokaleinlagen als ein Song, illustriert der Track auch eine atypische Arbeitsweise, der Bacharach zunächst skeptisch begegnete, von der er nun aber schwärmt. Zum Beispiel, was Dr. Dres Input angeht. „Dre gave me these loops“, erläutert er, „und ich baute Strukturen darauf, spielte Keyboards, arrangierte Streicher, Chris Botti legte eine Trompete darüber, die rhythmische Konstanz der Loops wurde durch richtige Drums aufgelockert, so nahmen die Tracks Gestalt an. Eine neue Herausforderung für mich, befriedigend gelöst.“
Elvis Costello und Rufus Wainwright gastieren vokalistisch, doch ist das abgeklärteste Protest-Album aller Zeiten trotz aseptischer Synths, Lounge-Beats und Cocktail-Chören vor allem eins: uneasy listening. „Yeah“, nickt Burt Bacharach, „someone called it ,a clenched fist in a velvet glove'“. Der Meister lächelt versonnen: „Das paßt.“