Fauler Zauber?
Seit Jahren gilt das Konzertgeschäft als einzige Boombranche der Musikwirtschaft - wie krisenfest ist es wirklich?
Dass die Wirtschaftskrise das bis dato boomende Live-Geschäft bereits 2008 erreicht haben könnte, scheint eine in diesen Tagen erscheinende GfK-Studie nahezulegen. Das im Auftrag des Bundesverbandes der Veranstaltungswirtschaft (idkv) und der Branchenzeitschrift „Der Musikmarkt“ erstellte Papier rechnet 18,7 Millionen verkaufte Tickets aus, knapp neun Millionen weniger als im Jahr zuvor. Die entsprechenden Meldungen sorgten Anfang August für Unruhe bei Bookern und Agenten. Die Branche, so hieß es immer, trotze jeder Krise. Jetzt nicht mehr?
Bis auf Weiteres schon: In die genannten rückläufigen Zahlen sind auch die Verkäufe aus den Segmenten Comedy und Musical eingerechnet. „Die Umsätze im Rock-Pop-Bereich sind 2008 gegenüber 2007 annähernd gleich geblieben“, lässt idkv-Präsident Jens Michow durchblicken, will aber die Studie vor Veröffentlichung nicht rausrücken. Wer hat denn aber so viel Verlust eingefahren, dass das Gesamtergebnis um 7 % schrumpft? Sagen wir mal so: Der Comedy-Sektor ist es wohl nicht.
„Der typische Konzertbesucher ist einigermaßen wohlsituiert“, sagt Konzertveranstalter Berthold Seliger, in Deutschland unter anderem für Calexico verantwortlich, „die gehen auch weiterhin zu den Bands. Trotzdem würde ich sagen, dass die Leute genauer aufs Geld gucken. Lambchop etwa halten die Preise niedrig. Das ist ein Signal, das ankommt.“
„Die Begehrlichkeit stößt in Hinblick auf die Eintrittspreise an eine Grenze“, analysiert Marek Lieberberg, Urgestein der Branche und gemeinsam mit seinen Söhnen Chef der größten Agentur des Landes. Vielleicht denkt er an Madonna – die hat für ihre letzten Tourneen Preise aufgerufen, die so obszön sind wie früher ihre Bühnenshow. „Das Geschäft ist erstaunlich robust“, erklärt Lieberberg weiter, „Coldplay, Depeche Mode, Rock am Ring, all das läuft fabelhaft.“
Selbst den Umstand, dass die GfK-Studie wohl erstmals kein Wachstum aufweist, will Lieberberg nicht als Krisen-Indikator gelten lassen. „Mag sein, dass die Branche nicht unbedingt büht. Aber der Umsatz hat nicht zuletzt damit zu tun, wer gerade zur Verfügung steht. Wenn ein, zwei große Tourneen weniger stattfinden, macht sich das bemerkbar. Wer aus solchen Zahlen etwas ablesen will, macht das Würfelspiel zum Maßstab.“ Klaus-Peter Schulenberg, CEO des Ticket-Riesen CTS Eventim, sieht es genauso. „Tatsächlich gehen trotz Wirtschaftskrise die Menschen immer noch gerne ins Konzert und sind bereit, dafür gutes Geld zu bezahlen“, kommt es schriftlich aus Bremen. „Von Krise kann bei uns keine Rede sein.“
Scumeck Sabottka, Geschäftsführer von MCT, sieht selbst im Internet keine Gefahr. „Das gemeinsame Erlebnis scheint unersetzbar zu sein. Nach wie vor gilt: Wenn etwas heiß ist, ist es heiß. Wir nehmen bei Pearl Jam 50 Euro, weil wir es können. Das ist es den Leuten wert.“ Günther Linnartz von Karsten Jahnke bestätigt das, berichtet allerdings von Sorgfalt in der Zusammensetzung seines Portfolios. „Ich muss nicht mehr jede Sau durchs Dorf treiben, nehme nur noch wenige neue Künstler pro Jahr. Man kann ja kaum etwas entwickeln – statt die Bands kontinuierlich aufzubauen, stellt man sie gleich in die große Halle. Mit dem dritten Album ist dann alles vorbei.“
Ein bedenkliches Signal, ähnliche Versäumnisse tragen schließlich eine Teilschuld an der Misere der Plattenindustrie. .Ja, es gibt ein Problem mit der Durchsetzung neuer Künstler“, bestätigt Lieberberg. „Ich nehme zudem eine bedenkliche Auslöschung der Expertise bei den Promotern wahr. Da ist ganz grundsätzlich ein Gespür für Musik und aktuelle Kulturtendenzen verloren gegangen. Früher haben wir gesagt:
,You throw some shit to the wall and see what sticks.‘ Geht heute nicht mehr. Die Analyse muss stimmen. Alles andere ist der sichere Tod.“ Ein Tod, der regelmäßig Promoter ereilt und vermutlich ein Faktor für die Konzentration der Branche auf wenige große Anbieter ist.
Die regelmäßigen Flopps kann man selbst beobachten. Wir alle stehen bisweilen in halbleeren Hallen und fragen uns, woher all die Leute hätten kommen sollen, als Neil Young neulich schon wieder da war. Oder wer geglaubt hat, Faith No More würden sich plötzlich zu einem Massenphänomen entwickeln. Noch öfter stehen wir in kleinen Kaschemmen und grübeln, wie sich dieses oder jenes Konzert einer unbekannten Band vor 30 Zahlenden finanziert. Wir hören von Mischkalkulationen, Aufbauthemen – und bewundern unbekannte Songwriter auf selbst gebastelten Tourneen, die mit zehn verkauften CDs pro Abend klarkommen müssen – und sich trotzdem im siebten Himmel wähnen, einfach, weil sie spielen können.