ROLLING-STONE-Interview

Father John Misty: „Was bringen uns Handys, wenn wir sie nur für Pornos und Wut nutzen?“

Father John Misty hat die beste politischePlatte des Jahres aufgenommen. Ein Gespräch über Trump, Sheeran, moderne Technik und guten 70er-Sound.

Ist Ed Sheeran der beste Songschreiber der Welt? Sind die entfesselten freien Märkte die beste Wirtschaftsform seit Anbeginn der Menschheit? Joshua Tillman alias Father John Misty sagt: Ja. Aber bleiben Sie gelassen, ihr Blutdruck wird sich gleich wieder auf den von gebildeten Mitteleuropäern senken. Denn wer schon mal einen Song des bärtigen Amerikaners gehört hat, weiß, dass er das nicht so meint. Er ist sich für das Offensichtliche, Oberflächliche einfach zu schade. Wenn man mit ihm also beispielsweise über langweilige Liedermacher plaudert, die trotz oder wegen ihrer langweiligen Liedermacherei absurde Erfolge einfahren, pariert er die billige Kritik mit Hohn.

Wie kann es sein, dass jemand wie Ed Sheeran mit seiner braven Musik Stadien füllt?

Antwort: Weil er die besten Songs der Welt hat, das ist doch ganz klar! Wenn man ein Stadion füllen kann, muss die Musik einfach unglaublich sein. Das ist die einzige Erklärung. Der freie Markt fördert die beste Kunst zutage, und die beste Kunst schafft es bekanntlich nach ganz oben. So funktioniert das nun mal.

Und dann schimmert einen winzigen Moment lang Sarkasmus in seinen von der erschöpfenden Promotiontour geröteten Pupillen – ein Funke, der sogleich in einem Meer der Müdigkeit erlischt.

Wenn die erfolgreichsten Musiker die besten sind, müsste Ihr neues Album Sie zum Superstar machen. Halten Sie das für möglich?

Antwort: Wenn die Platte was taugt, wird sie die Spitze der „Billboard“-Charts erreichen.

So weit, so komisch. „Pure Comedy“ eben. Obwohl Tillmans drittes Soloalbum auch „Pure Tragedy“ hätte heißen können. Inszenierte er sich auf „I Love You, Honeybear“ in Stücken wie „Bored In The USA“ noch als lässig abgehangenen, unverschämt gut aussehenden Hipster-Posterboy, der an Hotelpools in L.A. schwadronierte und der verschwenderisch-­verführerischen Lebensart Kaliforniens überdrüssig schien, vibriert auf „­Pure Comedy“ eine Vorahnung von der Apokalypse. Der Vollbart ist ab, der Ton – dem Jahr 2017 angemessen – existenzialistisch. Ein aktuelles Foto zeigt Father John Misty in düsterer Atmosphäre mit kurzem Schnauzer und ehrfurchtgebietend finsterer Miene. Er wirkt unnahbar wie ein russischer Dichter auf einer Schwarz-Weiß-Fotografie. Doch Tillman spielt natürlich auch mit diesem Image, balanciert meisterlich zwischen heiligem Ernst, Größenwahn und Schreckensgelächter, besingt in süffisanten, ausladenden, elegischen Westcoast-Balladen Geburt und Tod, Geldgeilheit und Politik, Gott und Revolution, Pop und Postmoderne, Macht und Ideologie, Sex und soziale Medien. Mit anderen Worten, Tillman versucht nicht weniger, als die ganze verdammte menschliche Komödie in ein Album zu pressen.

Father John Misty live
Father John Misty live

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„Die Grenze zwischen Komödie und Tragödie ist sehr schmal. We laugh at very tragic shit“, erklärt er. Und wenn Ihnen bei „tragic“ und „shit“ blitzartig der Name Donald Trump durch den Kopf geschossen ist, sollten Sie unbedingt ein Konzert oder eine Messe oder ein Seminar von Father John Misty, diesem Noam Chomsky mit Street Credibility, besuchen. „Sieh dir Trump an“, sagt er. „Entertainment ist zu einem dauerhaften Bewusstseinszustand geworden. Das Fernsehen hat sich dramatisch verändert. Als der Vietnamkrieg im Fernsehen gezeigt wurde, trug das dazu bei, den Krieg zu beenden, weil die Leute das nicht sehen wollten. Heute zeigen sie diesen pig man, und die Leute sagen: Das ist furchtbar, ich will mehr davon! So wurde er Präsident. Er bekam zig Millionen Werbeunterstützung, weil das Publikum nicht genug von ihm kriegen konnte.“

„Oh great, that’s just what they all need/ Another white guy in 2017/ Who takes himself so goddamn seriously“

Ja, es ist schwer, in diesen Tagen ein Interview mit einem US-Künstler zu führen, ohne dass das Gespräch auf den neuen Mann im Weißen Haus kommt. Das ist nicht nur verständlich, sondern vielleicht sogar notwendig. Trotzdem geht es selten über die medialen Allgemeinplätze oder pseudokämpferisches Stammtischdampfgeplauder hin­aus. Nicht so bei Tillman – er scheint über die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in seiner Heimat äußerst gründlich nachgedacht zu haben. Und auch wenn „Pure Comedy“ nicht mit ätzender Satire spart, lebt die Platte mehr noch von diesen Reflexionen. Das Herzstück bildet das 13-minütige „Leaving LA“, das sich zu den Streicherarrangements des britischen Komponisten Gavin Bryars durch majestätische zehn Strophen wälzt. Der Erzähler fährt mit dem Van von Kalifornien nach New Orleans, verabschiedet „LA phonies and their bullshit bands“, die wie „dollar signs“ klingen, ahnt die moralische Überheblichkeit der Künstler gegenüber dem Heartland und lässt sich von einer Freundin die Leviten lesen, was in dem denkwürdigen Satz gipfelt: „Oh great, that’s just what they all need/ Another white guy in 2017/ Who takes himself so goddamn seriously.“

Father John Misty beim ROLLING STONE Weekender
Father John Misty beim ROLLING STONE Weekender

Was in all diesen neuen Songs mitschwingt, sind die Fragen: Welche Form von Sozialkritik ist überhaupt noch möglich und angebracht? Wie kann ich ein Protestlied schreiben, das keine politischen Lager mehr bedient? Wann erreiche ich mit meiner öffentlichen Haltung die Leute, die ihre Wählerstimme rechten Populisten schenken? Und wann ist eine öffentliche Haltung pure Selbstdarstellung? Manchen Stars und Celebritys wie Madonna, die sich jetzt dazu berufen fühlen, auf Bühnen zu klettern und vor Gleichgesinnten markige Sprüche abzusondern, möchte man ein vor Intelligenz schwitzendes Wort wie „Wohlstandsarroganz“ um die Ohren hauen. Aber vorher müsste man es sich erst mal selbst um die Ohren hauen, um die in einfachen Wahrheiten dümpelnden Meinungen trockenzulegen.

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Genau das hat Tillman erkannt: „Der Unterschied zwischen den Leuten, zu denen Madonna spricht, ist viel geringer als der Unterschied zwischen den Leuten, zu denen sie spricht, und denen, die am Rand der Gesellschaft stehen.“ Und: „Der Unterschied zwischen mir und Warren Buffett ist viel kleiner als der zwischen mir und einem Kind in Kambodscha.“ Umso wichtiger, gegen diese Ungleichheit auf die Straße zu gehen, oder? „Es ist schwer, in den USA eine authentische Form von Protest aufzubauen, weil amerikanischer Protest von der Polizei beschützt wird. Das ist ein Witz! Nur Gewalt ist noch wirklicher ziviler Unge­horsam.“ Also keine Hoffnung mehr? „Wir sind das eine Prozent! Die unteren Schichten haben nichts zu verlieren. Sie werden uns irgendwann alle töten.“

Ende einer Ära

Die Schuld daran, dass es so weit gekommen ist, sieht Tillman jedoch nicht nur bei den üblichen Verdächtigen, bei den Republikanern und dem Investment­banking. Auch Obama bekommt sein Fett weg. „Er steht für das Ende einer Ära. Als Symbol war er wirklich wichtig, eine kraftvolle Figur. Aber seine Politik unterschied sich nicht sehr von der anderer US-Präsidenten. In mancherlei Hinsicht war Oba­ma der liberale Trump – mit dem Unterschied, dass er der Populist für die Liberalen war. Er war der Regenschirm, unter den sie sich stellen konnten. Trotzdem ist der Rassismus schlimmer denn je. Das ist die verrückte Ironie dar­an. Wenn ein schwarzer Präsident das nicht hinkriegt – wer zur Hölle dann?“

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Das Dilemma seines von Gewalt zerrissenen Landes schrumpft Tillman in dem Song „Two Wildly Different Perspectives“ auf die Formel „One side says: ‚Kill ’em all‘/ The other says: ‚Line those killers up against the wall.‘ “ Im Gespräch holt er weiter aus, referiert über blinden Fortschrittsoptimismus und Globalisierung, wirft sein Mobiltelefon auf den Tisch und fragt verächtlich: „Wofür brauchen wir diese tolle Erfindung? Wir nutzen sie für Pornografie und Wut. Wieso glauben wir, dass wir uns stetig weiterent­wickeln? Das ist eine lächerliche Hegelsche Weltsicht: It’s getting better all the time.“

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Philosoph Tillman kennt aber auch einen Ausweg aus dieser Misere, und der heißt Liebe – nicht im romantischen oder poetischen Sinne, sondern als Überlebensstrategie. „Ohne Liebe sterben wir. Und die Ursache für all die Gewalt ist die Abwesenheit von Liebe.“ Die Bevölkerung, die hart arbeitende Masse richte den Blick jedoch nur nach innen, auf die eigenen Sorgen. So kämen die lauten Rufe nach einem starken Staat zustande, auch auf liberaler Seite. „Der Staat soll dafür sorgen, dass es weniger rassistisch und misogyn zugeht. Und wer soll das vor allem gewährleisten? Die Polizei. Das ist doch Wahnsinn! Das ist Mao. Das ist Stalin“, meint Tillman und überlässt es wieder­um seinem Gesprächspartner, abzuschätzen, wie viel Ironie in seiner Aussage steckt.

Endlich ist der Erfolg da

Dass er vom Kommunismus ebenso weit entfernt ist wie vom pig man Trump und Geld auch gar nicht so schlecht findet, begreift man, wenn er von der Arbeit mit seinem Freund und Produzenten, Jonathan Wilson, berichtet. Nachdem Tillman als Drummer der gefeierten Folkpop-Band Fleet Foxes hingeworfen und sich zu Father John Misty gewandelt hatte, stellte sich nämlich mit jedem Album zunehmend Erfolg ein. Das Schöne daran: Tillman kann es sich jetzt leisten, ein großes Studio zu buchen, ein Streichquartett und einen Chor zu dirigieren und mit Wilson stundenlang zu experimentieren. Das sei zu Beginn seiner Solokarriere (noch als J. Tillman) undenkbar gewesen, sagt der Mittdreißiger.

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Wilson hat seinem neuen Album einen unwiderstehlichen Sound eingerichtet. „Es ist keine Wissenschaft, einen alten Sound wie in den Siebzigern zu erzeugen“, erklärt Tillman lässig. „Man muss nur ein altes Mikrofon vor ein Piano stellen und mit Bandmaschine aufnehmen, anstatt Zeit mit Pro Tools zu vergeuden. Anstrengen muss man sich, damit es am Ende modern klingt.“

In einem Film, über die Entstehung von „­Pure Comedy“ in den legendären Ocean Way Studios, wo auch Frank Sinatra und die Beach Boys Platten aufnahmen, sieht man das Großstadtgewimmel von L.A. bedrohlich aufflackern. Die Message scheint klar: Die Rückbesinnung aufs Wesentliche, die Natur. Und Tillman wäre nicht Father John Misty, wenn er einem nicht noch einen erstaunlichen letzten Rat mit auf den Weg gäbe: „Wir alle sollten dankbar sein für jeden Tag, an dem wir nicht von Bären gefressen werden.“ Denn: „Wenn die Klimaerwärmung weiter fortschreitet, wird das Königreich der Tiere wieder die Macht übernehmen. Tiere haben wenigstens einen guten Grund zu töten: nämlich weil sie Hunger haben.“

David Wolff - Patrick Redferns
Martin Tege
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