Familienbande am Elektro Rande
Mit wachsendem kommerziellen Erfolg kristallisiert sich zunehmend heraus, daß die Schwarze Szene keine ist
Spätestens seit Bands wie Deine Lakaien oder Project Pitchfork regelmäßig in die deutschen Album-Charts einziehen, stellt sich die Frage, um welche Musik es sich hierbei eigentlich handelt Etiketten wie „Darkwave“, „Gothic“ oder gar das mittlerweile völlig sinnentleerte, hilflose Attribut „Independent“ scheinen nicht mehr zu greifen.
Wie könnten sie auch? Wer sich heute ein Konzert von „Deine Lakaien“ anschaut, erlebt das Endprodukt einer extrem gewachsenen Underground-Szene, die sich jahrelang – von den großen Medien nahezu unbeachtet – einen eigenen Stil und Sprachkodex schaffen konnte. Die Einflüsse sind vielfältig, der stilistische Unterbau aber recht genau zu definieren: Die Wurzeln sind einerseits bei den Urvätern der britischen „Gothic“-Szene zu suchen (bei Bands wie den Sisters Of Mercy oder Bauhaus), andererseits bei Atonal-Avantgardisten wie Throbbing Gristle oder Cabaret Voltaire. Und nicht zuletzt in der kontinentalen Elektro-Tradition, die gerade von deutschen Bands wie Kraftwerk, Neu oder Tangerine Dream Anfang der 70er Jahre begründet wurde.
Das eigentlich Faszinierende an der „schwarzen“ Szene ist, daß ihr zwar das Geschichtsbewußtsein für die Pop-Historie fehlt, sie aber nicht müde wird, in der eigenen deutschen und kontinentalen Geschichte zu forschen und sich ihrer Stil- und Spielarten zu bedienen.
Vor allen Dingen ist das Mittelalter ein beliebtes Sujet. Nicht nur die ostinaten Strukturen dieser Musik, die in den repetitiven Klängen diverser Elektro-Bands ihre Entsprechung finden, sind eine Parallele: Eine Mischung aus Realitätsflucht, das Liebäugeln mit modischen Accessoires dieser Zeit sowie immer wiederkehrende Themen wie die Endzeitstimmung des Mittelalters die Parallelität von Geißeln wie Pest und AIDS – sind bezeichnend für den Stil vieler Bands. Dabei sind Herangehensweise und künstlerische Grundhaltung fast mit dem Punk der 70er Jahre vergleichbar: Das vorzugsweise elektronische Instrumentarium befreit vom Band-Zwang, und es bedarf keiner sonderlichen handwerklichen Qualifikation, um mit einem Sampler und einem Computer eine marktgerechte CD ganz allein im Wohnzimmer zu produzieren. Das ruft natürlich viele Dilettanten auf den Plan – einige geniale und viele pure Copy-Cats, die mit ausschließlich abgesampelten Klängen ihrer Vorbilder arbeiten. Die Schwemme der Elektro/Gothic-Underground-Produktionen, die Vielzahl der Labels ist nur noch schwer zu durchschauen; nur wenige Bands können von ihrer Musik leben.
Die derzeit kommerziell erfolgreichste Formation ist zweifellos Project Pitchfork, der es unbewußt gelang, alle stilistischen Attribute der Elektronik/Gothic-Szene zu verdichten und mit ihren parolenhaften Texten zu den „Grönemeyers“ der Szene zu mutieren. Wesentlich interessanter und substanzieller dagegen sind Deine Lakaien. Gegründet bereits Mitte der 80er Jahre, sind sie nicht nur eine der dienstältesten Bands des Genres, sondern auch die, die mit ihrer melancholischen, aus klassischen und mittelalterlichen Stilelementen kreierten Musik neue Maßstäbe setzen konnte. Die Konzerte von Deine Lakaien sind ein guter Spiegel für die Akzeptanz „dunkler“ Klänge auch außerhalb der Szene – das „schwarz-berockte“ Publikum vermischt sich mehr und mehr mit aufgeschlossenen anderen Fans, die sich hauptsächlich aus dem alternativen, „grünen“ Lager rekrutieren. Was so verwunderlich gar nicht ist, betrachtet man einmal den Wertekodex der „schwarzen Szene“ genauer: eine große Familie, die über ihre Zentralorgane, die Magazine „Zillo“ und „New Life“, im ständigen Kontakt und Diskurs steht; die beherrschenden Themen sind Esoterik, Umweltzerstörung, aber auch exotische Religionen und „bewußtseinserweiternde“ Kulte. Die Parallelen zur Hippie-Generation der 60er Jahre sind unübersehbar; in dieses Bild paßt auch die lammfromme Gewaltfreiheit der „schwarzen Szene“. Doch die Popularisierung und damit einhergehende Öffnung dieser Szene birgt natürlich wie immer Gefahren: Schon jetzt erzeugt der große Erfolg von Bands wie Project Pitchfork, Deine Lakaien oder Das Ich Neid; der Vorwurf lautet: „Ausverkauf“. Eine natürliche Reaktion, die sich allerdings weniger auf eventuelle musikalische Kompromisse bezieht, sondern darauf, daß eine bislang autarke Szene nun zu sehr „von außen“ beeinflußt wird.
Zu einem Strohfeuer aber wie beim Ausverkauf des Punk wird es kaum kommen, dafür ist diese Szene in ihren Ausdrucksformen zu diffizil, zu schwer zu vereinnahmen. Sie hat ja noch nicht mal einen Namen.