Fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn
„Go out and rock the youth of Hamburg!“, ruft ein fröhlicher Ben Folds seinem Kollegen Cliffjones im Backstage-Bereich des Hamburger Docks hinterher. Ein nicht ganz überzeugtes „V«ah“ kommt zurück, immerhin begleitet von einem zaghaften Lächeln. Man versteht sich, auch wenn der Gay Dad-Sänger weiß, dass seine Band wenig Chancen auf den Publikumspreis hat. Die „ROLLING STONE ROADSHOW“ ist schließlich schon ein paar Tage lang unterwegs, die Lieblinge der Zuschauer sind ausgemacht: Ben Folds Five und natürlich Travis. Gay Dad? Nett, aber nicht gerade umjubelt Trotzdem findet Cliffjones „die Idee, drei unterschiedliche und doch kompatible Bands gemeinsam auf Tour zu schicken, brillant“. Und fügt hinzu: „Ich wünschte, wir hätten sowas in England. Dann musste man sich nicht mehr in shitty little clubs abquälen.“
Bei der Reise durch Deutschland hat Jones nicht nur entdeckt, dass Leipzig schön ist und die beste Sauna der Welt in Münster steht, sondern auch, dass es kaum Möglichkeiten gibt, gute Musik zu hören: „Das Radio hier ist so wie überall: afucking travesty.“ So weit, so deutlich. Bedenkt man, dass Gay Dad kurz vor der Tour noch der Gitarrist weglief- zu Oasis, wer kann es ihm verdenken? -, gingen die Konzerte erstaunlich reibungslos vonstatten. Jones engagierte flugs die Sängerin Denise Johnson, um nicht alles auf einmal sein zu müssen: Sänger, Gitarrist und Mittelpunkt der Show. War er natürlich trotzdem, mit all seinen Glam-Posen, hautengem Shirt und Lidschatten. Zum nächsten Marc Bolan macht ihn das zwar noch nicht gerade, aber Potenzial ist eindeutig vorhanden. Doch zwischen Ben Folds Five und Travis, da hat es selbst eine gute Popband schwer. Folds, der Schelm, tat ja sein Bestes, um das Publikum auf Gay Dad einzustimmen. „Ungefähr 82 Mal“, so seine Schätzung, schrie er „Gay Dad!“ ins Mikro, bevor er verschwand. Davor: ein Set, der einen am Sinn der Gitarre ernsthaft zweifeln ließ. Beim Trio aus North Carolina fehlt sie jedenfalls gar nicht, sobald sich Ben Folds ans Piano setzt, von der Liebe erzählt, über Schlafkrankheit referiert oder auch mal Lyle Lovett nachahmt: „Long Tall Texan“. Oder mit grandios gespielter Wut auf das Klavier einhämmert und „give me my money back, you bitch!“ schreit.
Sein „Song For The Dumped“ bleibt ein Hit, auch wenn die neueren Stücke von dem Album „The Unatühorv&d Biography Of Reinhold Messner“ doch etwas subtiler und ausgefeilter klingen.
Über mangelnde Begeisterung kann sich das Trio nicht beklagen. Folds ist nur traurig, dass er nicht allzu viel mit den anderen Bands unternehmen konnte: „Ich blieb meistens allein zurück, um an den Streicher- und Bläser-Arrangements für unseren Auftritt in der Royal Albert Hall zu feilen.“ Das Pech des Tüchtigen. Folds, immer für einen Scherz zu haben, engagierte bereits in Stuttgart die Freundin des Tour-Busfahrers, die spontan auf seinem Flügel tanzte. Nach dieser Performance wurde die Frau als Köchin für den Rest der Roadshow engagiert. Ben Folds, der regelmäßig nach Gusto das Programm änderte und einmal sogar zur Hälfte den Set umstellte, konnte bei aller Harmonie beobachten, dass einige der Mitwirkenden noch besser miteinander auskamen als andere: „Cliff und Travis-Fran verschwanden verdächtig oft miteinander in der Dusche. Nein, mal im Ernst: Warum sollten wir uns nicht vertragen? Wir sind alle weiß, nicht ganz bei Trost und haben ungefähr dasselbe Gewicht.“ Wobei er bei Fran Healy etwas großzügig aufgerechnet haben muss – der Mann ist ja kaum größer als seine Gitarre.
Und trotzdem hatten Travis kein Problem, die Bühne zu füllen; auf einige rockige Luftsprünge und Turnereien des lustigen Gitarristen Andy Dunlop hätte man gar verzichten können. Dies hier sind schließlich keine Brit-Prolls, sondern eine Band, die es schafft, dass selbst den ganz Hartgesottenen das Herz aufgeht, bei Liedern wie „As You Are“ und „Slide Show“. Ja, so viel Melancholie, so wenig Zeit: Eine Stunde ist freilich viel zu kurz, und die ursprünglich geplante Zugabe mit Britney Spears‘ Teen-Ode „…Baby One More Time“ musste entfallen.
Dafür schaute sich zumindest Dunlop gerne die anderen Bands an: „Ben Folds Five bei der Arbeit zuzusehen ist sehr lehrreich, und Gay Dad fand ich auf der Bühne höchst unterhaltsam – und auch privat ganz prima.“ Healy stimmt zu: „Die Stimmung war durchweg gut bis ausgelassen. Selbst im Tourbus, obwohl wir da kaum zum Schlafen kamen.“ Groupies wurden, dem feierlichen Anlass entsprechend, nicht vorgelassen. Allerdings versammelte nicht nur Cliff Jones weibliche Verehrerinnen: In Hamburg grüßten zwei Mädchen mit einem Banner den süßen Franny von der Galerie.
No sleep auch für die geladenen Gäste, für Redakteure und Mitarbeiter des ROLLING STONE, die sich in Hamburg nach den Auftritten in der Prinzenbar trafen. Wolfgang Doebeling, Travis-Hymniker der ersten Stunde, mäanderte wie das HB-Männchen zwischen Garderobe und Schänke herum und brachte schließlich Fran Healy zur Party, während Ben Folds frühzeitig verschwunden war. Benjamin „Folds“ von Stuckrad-Barre, auf dem Sprung von einer Lesung mit dem Autorenzirkel „Tristesse Royale“, kam im Anzug, entwendete frech die VIP-Pässe der Redakteure und verschwand mit unbekanntem Ziel durch einen Hinterausgang. Redakteur Oliver Hüttmann, ehemals Hamburger Meister im Kickboxen und Träger eines Ledermantels, nahm die Verfolgung auf, konnte den Schlingel aber nicht mehr stellen. Grafiker Ulli Pfleger, aus Wien gebürtig, unterhielt die Versammelten an der Theke mit der Wahrheit über die Befähigung der Redakteure am Mundsburger Damm: Alle haben keine Ahnung. Erschüttert ging man um fünf Uhr morgens auseinander.
Auch das Publikum war angenehm berauscht von dem Trunk des Sponsors Glen Grant, einer Mischung aus mildem Malt Whisky und Sprite, die von zwei mobilen Abfüllstationen aus dem Schlauch eingeschenkt wurde. Derweil wunderte sich ein Sicherheitsmann backstage, welcher Schurke die RS-Reporter hinter die Bühne schleuste. „Wer ist der verdammte Typ?“ fragte er kess und erbleichte bei der Antwort: Es handelte sich um den Verleger und Veranstalter Werner KuhLs, der vor Ort eigenhändig für Ordnung sorgte.
So hat wiederum Ben Folds das letzte Wort: „Die Organisation? Wie ein Uhrwerk. Es lief alles so smooth, dass es manchmal schon langweilig war.“ An Folds selbst lag es nicht. Zum Abschluss der Tournee, in Münster, stapfte der Humorist zu den verblüfften Travis auf die Bühne – nur bekleidet mit Schuhen und einem Cowboyhut.