Interview

Eyelar: „Man baut in seinen Zwanzigern Scheiße und lernt hoffentlich daraus“

ROLLING STONE hat mit der iranisch-niederländischen Singer-Songwriterin über ihre Debüt-EP „Mistakes & Contradictions“, ihre iranischen Wurzeln, Lektionen aus toxischen Beziehungen und ihre musikalischen Anfänge gesprochen.

Die Musik von Eyelar ist irgendwo zwischen Indie, Pop sowie Rock abgesiedelt und verbindet Elemente des US-amerikanischen Grunge und der europäischen Dance-Music-Szene. Und das aus gutem Grund. Denn genauso bunt wie ihr musikalischer Style und ihr eigenwilliger Modestil ist auch der kulturelle Hintergrund der jungen Musikerin.

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Eyelar Mirzazadeh wurde am 16. Dezember 1993 in Amsterdam geboren. Ihre Eltern stammen aus dem Iran und sind kurz vor Eyelars Geburt, zusammen mit ihrem gemeinsamen Sohn, in die Niederlande ausgewandert. Schon als Kind interessierte sie sich für Musik und das Schreiben. Im Alter von sechs Jahren begann sie, Gedichte zu verfassen. Mit elf schrieb sie ihren ersten Song. Als 18-Jährige meldete sie sich bei der holländischen Ausgabe von „The Voice“ an und schaffte es bis ins Halbfinale.

Auch wenn sie die Casting-Show damals nicht gewann, legte dies den Grundstein für ihre musikalische Laufbahn. Ab 2013 begann Eyelar Songtexte für verschiedene Musiker und DJs aus dem Dance-Bereich zu schreiben und zu singen. Was folgte, war ihre erste Veröffentlichung mit dem belgischen DJ Peter Luts „Turn Up The Love“ und der Umzug nach London.

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Musikalisch lässt sich Eyelar von Madonna, Nirvana, Hole und Paramore inspirieren. Seit ihrer Zeit in London arbeitete sie mit einigen der angesagtesten Namen der Musikbranche zusammen, darunter Camila Cabello, Charlie XCX und Demi Lovato, für die sie den Song „Anyone“ verfasste. Privat ist die Sängerin-Songwriterin mit Fred Again liiert, mit dem sie auch beruflich zusammenarbeitet. Sie lieh ihre Stimme für zahlreiche Gesangseinlagen und war kürzlich in dem gemeinsamen Song von Fred Again und Brian Eno („Radio“) zu hören.

2021 gelang Eyelar mit der Single „Dopamine“ an der Seite des mit dem Grammy Award ausgezeichneten Produzenten Purple Disco Machine der Durchbruch. Der Track erreichte über 150 Millionen Streams und führte die Hitlisten in Österreich, Belgien, Holland, Polen und Deutschland an, wo er auch vier Wochen lang auf Platz 1 der Airplay-Charts war. In der Vergangenheit unterstützte sie L Devine und Upsahl auf ihren jeweiligen Europa-Tourneen.

Anfang Juli erschien Eyelars Debütalbum „Mistakes & Contradictions“. Die sechs Tracks umfassende Platte enthält die kürzlich veröffentlichten Singles „Care Like You“ (produziert von Fred Again) und „Obsessed With Your Ex“ sowie vier neue Tracks. „Diese EP ist mein erstes Gesamtwerk. Sie spiegelt eine Zeit des persönlichen Wachstums und der Heilung wider, in der sich mein Blick auf die Liebe und das Leben verändert hat“, sagt Eyelar.

2012: Musikalische Anfänge & „The Voice of Holland“

Wie und wann hast du mit der Musik angefangen?

Eyelar: Als ich klein war, hatte ich im Haus meiner Mutter eine große Mappe mit Gedichten und Songtexten, die ich geschrieben hatte. Ich habe damit angefangen, als ich sechs, sieben Jahre alt war. Dann habe ich meinen ersten englischen Song geschrieben, als ich 11 war. Danach ging ich auf die Highschool, und weil ich aus einem sehr kleinen Dorf komme, hat dort niemand etwas Kreatives gemacht, also habe ich einfach das gemacht, was alle anderen auch gemacht haben. Dann, 2012, als ich 18 wurde, habe ich bei „The Voice of Holland“ mitgemacht. Nach „The Voice“ habe ich angefangen, Songs zu schreiben und ins Studio zu gehen. Das war der Zeitpunkt, an dem ich professionell in die Musikbranche einstieg, aber ich habe schon immer Gedichte, Kurzgeschichten und Songs geschrieben.

2012 warst du im Finale von „The Voice of Holland“ und hattest die Gelegenheit, live mit Ed Sheeran zu spielen. Wie aufgeregt warst du damals?

Oh mein Gott, diese drei Minuten, die wir zusammen gesungen haben, waren für mich die besten drei Minuten der ganzen „The Voice“-Reise, weil das der einzige Moment war, in dem ich wirklich an nichts anderes gedacht habe, als den Song zu singen. Ich war so in dem Augenblick. Es war wirklich witzig, weil ich eigentlich nicht mit ihm zur Eröffnung singen sollte. Er sollte mit jemand anderem auftreten, weil der Produzent es so geplant hatte. Aber dann hat Ed mich getroffen und wollte unbedingt mit mir singen. Wir haben uns eine Woche vorher getroffen, und wenn ich an diesem Freitagabend zur nächsten Show durchgekommen wäre, hätte ich mit ihm singen können. Und als ich durchkam, war ich so glücklich, weil ich auch unbedingt mit Ed Sheeran singen wollte. Das war für mich der schönste Moment dieser ganzen Reise.

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2022 wurde die Show aufgrund des #MeToo-Skandals unter anderem gegen John de Mol abgesetzt. Wie hast du auf die Anschuldigungen reagiert?

Ja, mein damaliger Kollege hat mich sogar angerufen und wollte sich vergewissern, dass es mir gut geht und dass ich die Möglichkeit habe, über alles zu reden, was ich erlebt habe. Das fand ich wirklich gut durchdacht. Aber ja, ich bin nicht sehr überrascht, denn ich denke, dass es in der Musikindustrie und wahrscheinlich in vielen anderen Branchen schon vorher viel Wissen und Informationen über das Thema Einwilligung gab, und dass dort vorher schon viele schlimme Dinge passiert sind. Ich war also nicht sehr überrascht, um ehrlich zu sein.

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Hast du jemals irgendetwas Merkwürdiges am Set der Sendung erlebt?

Ich persönlich habe nie etwas Seltsames erlebt, aber ich war immer sehr aufmerksam, weil meine Mutter mir von klein auf beigebracht hat, dass man als Frau vorsichtiger sein muss. Deshalb habe ich mich immer zurückgehalten. Ich habe immer auf meine Körpersprache geachtet und darauf, dass etwas passieren könnte. Ich war immer sehr vorsichtig. Und während „The Voice“, aber auch als ich danach in die Musikindustrie einstieg und anfing, Sessions zu machen, bei denen meist nur Männer anwesend waren, habe ich immer sehr auf meine Kleidung geachtet. Deshalb habe ich immer weite Kleidung getragen. Ich habe immer weite T-Shirts angezogen, weil ich keine zweideutige Energie oder Stimmung verbreiten wollte, was irgendwie unfair ist. Erst in letzter Zeit habe ich angefangen, mich mit meiner Weiblichkeit und meinem weiblichen Körper wohler zu fühlen und Kleidung zu tragen, die ich damals niemals angezogen hätte.

2014: Umzug nach London & Stilfindung

Nach „The Voice“ hast du also deine Heimatstadt verlassen und bist nach London gezogen. Wie alt warst du damals?

„The Voice“ war 2012, da war ich 18. Danach habe ich in Amsterdam offiziell angefangen zu schreiben. Damals habe ich viel für DJs geschrieben, und nach einem Jahr habe ich beschlossen, dass ich eher in der Pop-Branche arbeiten möchte. Das war im Jahr 2014. Ich kannte zwar niemanden in London, aber ich wollte das unbedingt machen. Ich wollte nicht studieren oder so etwas, aber meine Eltern sind Iraner, also habe ich mich mit ihnen zusammengesetzt, um ihnen meinen Plan zu erklären und sie davon zu überzeugen, dass dies das Richtige für mich ist. Also bin ich 2014 nach London gezogen. Dann fing ich an, Leute zu treffen und von Montag bis Sonntag Sessions zu spielen. Ich hatte wirklich Glück, denn ich hatte damals eine Freundin, die mich sozusagen bei sich aufnahm, weil ich kein Geld hatte. Sie kochte manchmal Abendessen und ließ mich ihre Kleider tragen.

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Meine Eltern wussten zu diesem Zeitpunkt nicht, wie sehr ich mich abmühte. Ich hatte zu viel Angst, es ihnen zu sagen. Meistens erzählte ich ihnen, wie toll alles lief, weil ich dachte, sie würden mir sagen, ich solle zurückkommen, wenn ich die Wahrheit sagte. Ich lebte von 40 Pfund die Woche und aß Fertigsuppe aus dem Supermarkt zum Abendessen. Jetzt schaue ich zurück und denke: Oh mein Gott, wie habe ich das nur gemacht? Aber ich wollte es wirklich. Ich wollte unbedingt in London sein und Musik machen.

Hat London dich verändert? Lebst du lieber in Großbritannien oder den Niederlanden? Wo fühlst du dich eher zu Hause?

Ich glaube, London hat mich in gewisser Weise geformt. Ich komme aus einem sehr kleinen Dorf mit 5000 Einwohnern. Die meisten Leute waren Holländer, also war ich die Einzige mit einem komischen Namen. Ich war die einzige Person mit iranischen Wurzeln, mit einem anderen Haushalt, und ich war mir dessen sehr bewusst. Oberflächlich passte ich immer dazu, denn ich bin ein sehr umgänglicher und geselliger Mensch. Ich hatte viele Freunde, aber innerlich hatte ich nie das Gefühl, dass ich wirklich irgendwo dazugehörte. Ich stand immer sozusagen zwischen zwei Freundeskreisen. Dann habe ich angefangen, meinen Sinn für Mode um einige skurrile Dinge und Accessoires zu erweitern.

Ich erinnere mich, dass ich einmal diese Clutch in der Schule trug, die meine Mutter vor 20 Jahren gekauft hatte. Und meine Freunde sagten: „OMG, was trägst du denn da?“ Und ich sagte: „Das ist fantastisch. Ihr versteht das nicht.“ Und dann hat mir meine Mutter, die sich sehr für Mode interessiert und eine sehr glamouröse Frau ist, einmal diese Pelzstiefel geschenkt. Das war vor etwa 15 Jahren. Ich weiß noch, wie ich einmal mit ihnen in mein Klassenzimmer ging und alle anfingen zu lachen, das ganze Klassenzimmer. Ich sah sie an und sagte: „Ihr versteht einfach nicht, was gut aussieht. Das hier sieht gut aus.“

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Ich hatte also schon immer ein bisschen Individualität, aber ich habe sie in Holland nicht besonders zum Ausdruck gebracht. Als ich nach London zog, war das eine ganz neue Welt. Ich dachte: ‚Wow, hier wird man nicht verurteilt. Du kannst alles tragen, was du willst.‘ Und erst da fing ich an, wirklich ich selbst zu werden. Jetzt bin ich so selbstbewusst. Ich liebe meine Garderobe und dass ich ein bisschen anders aussehe. Und ich liebe es, Dinge zu finden, die man sonst nicht findet und nicht jeder trägt. Jetzt könnte ich zurück nach Holland gehen und mich selbstbewusst fühlen und ich selbst sein, aber zu der Zeit war London der Ort, an dem ich mich wirklich entwickeln konnte.

Du hast einen sehr speziellen Sinn für Mode. Woher nimmst du deine Fashion-Inspiration? 

Zu der Zeit, als ich nach London zog, wollte ich nur schräge, laute und bunte Klamotten tragen. Ich hatte nicht wirklich einen Sinn für Mode, ich liebte es einfach, in Vintage-Läden einzukaufen und ich mochte schon immer schräge Kleidung. Aber ich glaube, jetzt, wo ich etwas älter bin, gefällt mir die Mode der 90er und 2000er Jahre sehr gut, aber ich habe auch ein bisschen was aus den 60ern. Ich liebe es einfach, Mode zu recyceln und ihr meine eigene Note zu geben. Gerne schaue ich mir auch die Laufstegmode von vor Jahren an. Mein Modegeschmack ändert sich ziemlich oft. Es gibt Jahreszeiten, in denen ich so etwas wie Phasen durchmache, weil ich ein so breites Spektrum an Dingen habe, die ich liebe, nicht nur in Bezug auf Mode, sondern auch musikalisch. Solange es ein bisschen anders ist und man es nirgendwo anders bekommt. Und solange ich die Straße entlang gehe und die Leute mich ansehen wie: „Was ist hier los?“ ist das mein Sweetspot.

Du würdest dich also in Berlin sehr wohl fühlen. Das ist so etwas wie die Hauptstadt der Individualität und der verrückten Mode.

100 Prozent. Ich liebe Berlin wirklich und werde in ein paar Wochen wiederkommen. Ich war vor einigen Wochen dort. Es ist eine erstaunliche Stadt.

2021: Eyelars Durchbruch mit Purple Disco Machine

Im Jahr 2021 hattest du mit „Dopamine“ und dem deutschen DJ Purple Disco Machine deinen bisher größten Hit. Wie kam es zu dieser Kooperation?

Das war ganz witzig, denn dieser Song wurde während des Corona-Lockdowns geschrieben. Während dieser Zeit habe ich so viele Songs geschrieben. Dann wurde das Stück zuerst einem K-Pop-Künstler vorgeschlagen, und eine Woche bevor wir den Vertrag unterschreiben sollten, kam Purple Disco Machine ins Spiel. Also nahmen wir den Song zurück und gaben ihn an Purple Disco Machine. Die Produktion war zu der Zeit etwas anders. Er machte sein eigenes Ding und machte es mehr zu Purple Disco Machine. Dann versuchten sie, einen anderen Sänger für den Song zu gewinnen, und schließlich stellte sich heraus, dass mein Gesang besser zu dem Lied passte. Ich und Tino unterhielten uns über SMS und Instagram, aber wir lernten uns erst beim Videodreh bei 41 Grad in Montenegro persönlich kennen, wo ich eine Lederjacke, einen Lederrock und Lederstiefel tragen musste. Das war hart.

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Als Singer-Songwriterin hast du dich vor allem auf Dance- und Popmusik konzentriert. Als Solokünstlerin Eyelar fühlt sich deine Musik mehr nach Indie-Rock und Grunge an. Wie sieht dein wahres Ich tief im Inneren aus? Pop-Queen, Raver oder Grunge-Kid?

In Glastonbury war ich definitiv das Rave-Girl. Aber im Inneren ist mein authentisches Ich zu 100 Prozent im Indie-Bereich angesiedelt. Ich bin nicht in einem sehr musikalischen Haushalt aufgewachsen und komme aus einem sehr kleinen Dorf. Ich habe nie CDs oder Alben gekauft, weil wir uns das nicht leisten konnten und es auch nicht wirklich etwas war, was die Leute gemacht haben. Die einzige Musik, die ich hörte, kam aus dem Fernsehen und dem Radio und die iranische Musik in unserem Haushalt, denn zu dieser Zeit gab es viele iranische Partys. Jedes Wochenende waren wir auf einer iranischen Feier und haben getanzt. Diese drei waren die einzigen Plattformen, auf denen ich Musik hörte. Ich glaube, von dort habe ich meine Pop-Sensibilität bekommen. Meine Melodien sind natürlich sehr poppig, aber meine Texte und der Sound werden immer ein bisschen mehr nach links tendieren, weil mir das am meisten Spaß macht. Ich habe das Gefühl, dass ich mich in der Mitte der Indie-Pop-Melodien befinde.

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Ich habe angefangen, Dance-Musik zu schreiben, weil das die einzige internationale Sache in den Niederlanden war, und ich habe nur darüber nachgedacht, wie ich Karriere machen kann und wie ich aus diesem kleinen Dorf, in dem ich lebte, herauskommen kann. Als ich in Amsterdam arbeitete, pendelte ich zwischen meinem Dorf und der Hauptstadt. Der Grund, warum ich das gemacht habe, war, dass ich mich bewegen und etwas tun wollte. Ich schätze, das mit der Dancemusik hat sich einfach so ergeben, weil ich wirklich gut darin wurde, da ich es oft gemacht habe. Als ich anfing, meine eigene Musik zu veröffentlichen, habe ich viel experimentiert und wusste nicht wirklich, was ich da tat. Da ich noch nicht unter Vertrag war, war also alles unabhängig. Ich habe so viele verschiedene Songs geschrieben, schrieb Popmusik und Dancemusik. Ich habe alles für jeden gemacht, und als es um mein eigenes Künstlerprojekt ging, hat es einen kleinen Moment gedauert, bis ich wirklich meinen Weg gefunden habe. Erst jetzt, seit ein paar Monaten, habe ich das Gefühl, dass ich weiß, wo ich hin will. Ich weiß, wohin ich gehe und welche Wege ich einschlagen muss. Vorher hatte ich das einfach nicht.

Iranische Wurzeln und Einflüsse

Deine Single „Think Like A Man“ wurde im März veröffentlicht. In dem Video geht es um deine Wurzeln, die iranische Kultur und Traditionen. Es ist auch ein Lied über Emanzipation von nicht-zeitgemäßen Traditionen. Wie wichtig sind Traditionen für dich?

Ich war immer sehr stolz darauf, Iranerin zu sein. Ich weiß noch, als ich zur Schule ging, lebten wir in einem sehr kleinen Haus, während einige meiner Freunde in größeren und schöneren Häusern wohnten. Aber wir hatten so viele iranische Traditionen, auf die ich stolz war. Ich lud sie zu mir nach Hause ein, weil ich meinen Freunden zeigen wollte, woher ich komme und was wir tun. Ich war immer sehr stolz darauf. Jetzt, wo ich älter werde, denke ich, es gibt einige Traditionen, auf die ich nicht stolz bin.

Ich denke, die alten Traditionen des Iran, jene, die nichts mit der Diktatur zu tun haben, und die Traditionen Persiens sind so anders als das, was der Iran und die Regierung dem Land jetzt bzw. seit den letzten 40 Jahren aufzwingen. Darauf bin ich nicht stolz. Aber ich bin stolz darauf, wo ich herkomme. Ich bin stolz auf meine kleinen Macken und darauf, wie ich als Mensch bin, und ich kann mir gut vorstellen, dass das von meiner Familie herrührt. Es kommt von der warmen Kultur. Essen ist etwas sehr wichtiges in der iranischen Kultur. Es gibt so viele Dinge, die ich gerne übernehme. Wenn ich später Kinder habe, werde ich das zu 100 Prozent weitergeben, denn das ist etwas, das mir wirklich am Herzen liegt.

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Deine Eltern stammen also ursprünglich aus dem Iran. Wo leben sie jetzt? Wie oft siehst du sie?

Der größte Teil meiner Familie lebt im Iran. Mama und Papa und mein Bruder sind 1993 in die Niederlande gezogen, als ich im Bauch meiner Mutter war. Sie war im achten Monat mit mir schwanger, das ist verrückt. Ich verstehe nicht, wie sie das gemacht haben, denn schon die Art und Weise, wie sie umgezogen sind, ist ein Film für sich. Es ist eine verrückte Geschichte. Der größte Teil meiner Familie lebt im Iran, also habe ich sie nicht mehr gesehen, seit ich 2013 angefangen habe, Musik zu machen, weil ich nicht wirklich zurückkehren kann. Ich fahre aber mindestens einmal im Monat zurück nach Holland, weil ich meinem Bruder und meinen Eltern sehr nahe stehe.

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Für mich ist die Familie wirklich sehr wichtig, und wenn ich sie nicht sehe, geht es mir nicht gut. Ich brauche diese familiäre Bindung einfach sehr. Je älter ich werde, desto mehr wird mir bewusst, wie wichtig zumindest für mich die Familie ist. Ich habe auch hier in London so viele tolle Freunde, bei denen ich mich sehr wohl und familiär fühle. Aber ich glaube, weil ich Iranerin bin und meine Familie iranisch ist, habe ich eine ganz andere Beziehung zu ihnen. Sie sind das, wo ich hingehöre. Viele Leute haben das nicht, und ich bin wirklich froh, dass ich das habe.

Ex-Freunde und toxische Beziehungen

Dein Song „Obsessed with your Ex“ wurde im Mai veröffentlicht. Er handelt von toxischem Verhalten in Beziehungen und Social Media Stalking. Wie viel Zeit verbringst du in den sozialen Medien mit dem Stalken von Ex-Partnern oder Ex-Partnern deiner Ex-Partner?

Es ist wirklich witzig, weil es so gar nicht in meiner Natur liegt. Ich habe so etwas noch nie gemacht, und deshalb denke ich, dass dieser Song entstanden ist. Irgendwie hat es mich selbst überrascht und ich wusste nicht, was los war. Ich habe die Ex-Freundin meines damaligen Freundes wirklich lange Zeit gestalkt. Es muss ungefähr sechs Monate lang zwanghaftes Stalking gewesen sein. Manchmal habe ich es einfach getan, ohne es zu wollen, was ein zwanghaftes Verhalten ist. Ich habe es monatelang getan und realisierte irgendwann: ‚OMG, das habe ich noch nie gemacht.‘ Ich dachte, ich wäre vorher ein cooles Mädchen. ‚Was ist denn da los?‘ Dann dachte ich mir: ‚Weißt du was? Schreib einfach ein Lied darüber.‘ Das habe ich dann gemacht. Denn es ist eigentlich ziemlich lustig. Und dann hat sich der Song innerhalb von 20 Minuten quasi von selbst geschrieben. Und seit ich den Text geschrieben habe, habe ich damit aufgehört, seine Ex-Freundin zu stalken.

Auf einer ernsthafteren Ebene denke ich, dass es sehr einfach ist, sich über irgendetwas im Internet aufzuregen, weil es heutzutage so viel gibt, worüber man sich erregen kann. Ich denke, die Hälfte der Arbeit besteht darin, sich dessen bewusst zu sein. Sobald ich wusste: ‚Ja, das ist etwas, was ich tue, und es gefällt mir nicht, dass ich das tue‘, habe ich etwas dagegen unternommen. Allein das Bewusstsein darüber ist schon sehr hilfreich, anstatt unwissend durch irgendjemandes Instagram zu scrollen. Sei es die oder der Ex von jemandem oder um das Leben einer anderen Person zu durchleuchten. Es könnte um die Art und Weise gehen, wie jemand aussieht. Es könnte wirklich um alles gehen, wovon man besessen werden kann.

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Deine aktuelle Single „Care Like You“ wurde Anfang Juni veröffentlicht. Sie handelt von einer toxischen Beziehung bzw. einer Trennung. Wie viel Wahrheit steckt in deinen Texten?

Es ist ein Lied, das ich vor ein paar Jahren geschrieben habe. Ich glaube nicht, dass ich bisher in einem Song so verletzlich war. Wenn ich eine Nummer aus all meinen Songs auswählen würde, dann wäre es wohl „Care Like You“. Die Melodien sind wirklich süß und der Text ist wirklich wild. Das ist so ähnlich wie meine Persönlichkeit. Ich kann sehr nett rüberkommen und ich denke, ich bin eine nette Person, aber ich kann auch sehr direkt sein. Diesen Track schrieb ich in einer Situation, die wirklich sehr verletzend für mich war. Ich bin so froh, dass ich diesen Text geschrieben habe, denn ich denke, jedes Lied, das man schreibt oder das man hört, ist der Soundtrack zu einer bestimmten Zeit in seinem Leben.

Die Lieder, die ich schreibe, basieren alle auf wahren Geschichten aus der Vergangenheit. Ich habe das Gefühl, sie sind eine Art Tagebuch. Man vergisst die Dinge. Ich erinnere mich nicht wirklich daran, wie sehr ich damals verletzt wurde, weil es schon Jahre her ist. Und durch diese Song kann ich verstehen, wie ich mich damals gefühlt habe, und ich kann es irgendwie verarbeiten. Ich glaube, Schreiben ist sehr therapeutisch. Nicht nur das Schreiben von Liedern, auch das Schreiben von Tagebüchern. Manchmal, wenn es mir schlecht geht oder ich mich sehr schlecht fühle, fange ich einfach an zu schreiben, denn manchmal weiß man nicht genau, wie man sich fühlt, aber dann schreibt man und sieht es. Ich glaube, das ist wirklich hilfreich und gesund.

Was war das Schlimmste, was du einem Mann nach einem Streit oder einer Trennung angetan hast?

Das ist eine gute Frage, denn wenn ich dieses Lied live auf der Bühne spiele, sage ich immer ausdrücklich: „Leute, ich bin kein schlechter Mensch und ich habe diese Dinge nicht getan. Ich phantasiere nur darüber.“ Im Text heißt es „If I didn’t care like you“, also so etwas wie „Ich wünschte, es wäre mir egal so wie dir“. Ich wünschte, ich könnte all diese Dinge tun, aber leider kann ich das nicht, weil ich es mir eben nicht so egal war. Aber ich habe in meiner Vergangenheit einige Dinge getan, auf die ich nicht stolz bin. Ich denke, deshalb ist dieser Song so wichtig. Wenn ich ihn mir jetzt anhöre, kann ich wirklich das Wachstum und die Heilung sehen, und wie ich als Person jetzt bin, im Vergleich zu dem, wie ich damals war. Ich war nicht wirklich selbstzerstörerisch, aber es gab Dinge, die ich, im Nachhinein betrachtet, nicht getan hätte. Oder ich wäre ein bisschen freundlicher zu mir selbst gewesen. Ich wäre mir einfach viel mehr bewusst gewesen. Das alles gehört dazu, wenn man in seinen Zwanzigern ist. Man baut in seinen Zwanzigern Scheiße und lernt hoffentlich daraus, so dass man es nicht mehr tut, verstehst du?

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Würdest du dich als einen Rachemenschen bezeichnen?

Nein. Aber ich habe bestimmte Dinge getan. Besonders in der Zeit von „Care like you“. In dieser Situation habe ich definitiv Dinge gemacht, auf die ich nicht stolz bin. Der Song handelt von der ersten Person, in die ich mich verliebt hatte. Es war eine wirklich sehr schlimme Situation. Weil ich mich so verletzt gefühlt habe, habe ich nach dem Motto gehandelt: „Du hast mich verletzt, also werde ich dich verletzen“, und es war wie ein ständiges Hin und Her, bei dem wir uns gegenseitig Dinge antaten. Unsere Beziehung war nicht offiziell. Es war wirklich nichts Exklusives. Es war eine große Grauzone. Wir haben nie etwas definiert. Das ist schon mal kein guter Anfang. Und so ging es dann weiter, bis wir eben Dinge gemacht haben, die technisch gesehen nicht verboten waren.

Zum Beispiel: Er war in einer Situation, die mich verletzte, also sagte ich: „Nun, ich werde dir auch wehtun“. Ich ging aus und küsste einen anderen und verheimlichte es nicht vor ihm. Ich wollte irgendwie, dass er es erfährt, und dann würde er es herausfinden, wie es wirklich um uns steht. Das war es im Grunde. Das ist eine Situation, die nur in dieser Beziehung passiert ist, und deshalb habe ich ein Lied darüber geschrieben, weil das etwas ist, was nicht wirklich zu meiner Persönlichkeit gehört und was ich vorher nie getan habe. Ich war einfach so verletzt und ich war noch so jung und ich habe nichts wirklich verstanden. Wenn ich jetzt zurückblicke, denke ich: ‚OMG, Mädchen, was hast du getan?‘. Aber wenn ich diese Dinge nicht getan hätte, dann hätte ich niemals „Care like you“ geschrieben und es ist mein absoluter Lieblingssong, von allen die ich je geschrieben habe.

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2023: „Mistakes & Contradictions“

Deine neue EP „Mistakes & Contradictions“ erschien am 7. Juli. Welcher ist, natürlich neben „Care Like You“, dein Lieblingssong auf der EP?

Ich bin einfach sehr aufgeregt und erfreut über die ganze EP. Ich habe noch nie eine EP veröffentlicht. Mein Lieblingssong, nach „Care Like You“, heißt „Closet“. Es ist ein Track, der nicht sehr kommerziell ist. Er ist ein bisschen schräg. Ich kann es kaum erwarten, dass er herauskommt. Es ist der erste Song der EP und ich bin sehr gespannt darauf, dass die Leute ihn hören.

Wirst du dieses Jahr noch auf Tour gehen? Oder spielst du in diesem Sommer auf irgendwelchen Festivals?

Ich werde auf einigen Festivals auftreten. Es gibt ein paar Festivals in Großbritannien. Hoffentlich werde ich auch eine Support-Tour im September machen. Aber um ehrlich zu sein, schaue ich nicht wirklich in meinen Terminkalender. Ich schaue nur von Tag zu Tag, weil mich das sonst so sehr beunruhigt. Ich habe das Gefühl, ständig zu proben, denn ich bin mit meinem Gitarristen und Schlagzeuger befreundet. Und da wir regelmäßig Konzerte spielen, proben wir quasi zwischendurch. Jetzt, wo die EP fertig ist, habe ich auch schon mit der zweiten angefangen. Ich will einfach eine Menge Musik machen. Ich konzentriere mich schlicht auf das, was von Tag zu Tag passiert. Wenn eine Tour kommt, was hoffentlich der Fall sein wird, dann wäre ich sehr glücklich. Ich denke, es wird auch eine Headline-Show im September geben. Also ja, wir werden sehen.

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Ich werde auch eine Menge Zeit in Berlin verbringen. Ich verbringe nie wirklich viel Zeit in Berlin, aber ich möchte wirklich dorthin gehen und die Kultur aufsaugen, ein paar Freunde finden, Musik schreiben und hoffentlich auch ein paar Shows dort spielen. Das ist sozusagen mein Ziel. Ich liebe London und dieses wirklich kreative Netzwerk aus meinem Team, meinen Freunden und Leuten aus der Branche, und das möchte ich auch in Berlin schaffen, weil ich es für eine so coole Stadt halte. Ich bin wirklich inspiriert von der Mode. Auch der Kaffeegeschmack in Berlin ist beeindruckend. Es gibt auch in London eine Menge guter Cafés, aber Berlin hat es wirklich drauf. Das macht mich sehr glücklich.

Irgendwelche letzten Worte für die Leserinnen und Leser des ROLLING STONE?

Seid nett. Seid nett zu euch selbst. Denn wenn man nett zu sich selbst ist, kann man auch nett zu anderen sein. Kümmert euch einfach gut um euch selbst. Macht es nicht wie in „Care like you“ (lacht).

Tracklist „Mistakes & Contradictions“

  1. Closet
  2. Newest Kid in School
  3. Obsessed With Your Ex
  4. Man Like Her
  5. Hurt Myself
  6. Care Like You

„Mistakes & Contradictions“ von Eyelar ist seit dem 7. Juli auf allen gängigen Streaming-Plattformen und unter diesem Link abrufbar.

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