Exotisch, erotisch, emphatisch
Sie kommen aus Mannheim, haben aber längst den Südstaaten-Sound verinnerlicht: Mardi Gras.BB plädieren für grenzenlose Sinnesfreuden
Hätte es diese Band im Jahre 1926 schon gegeben, dann wären ihre Mitglieder entweder wegen Ketzerei gelyncht worden oder sie hätten jeden Abend im Kino spielen müssen. Damals rollte der geniale Buster Keaton auf seiner Geliebten, einer hübschen Dampflokomotive namens „Der General“, zunächst beschaulich durch den noch ein bisschen wilden Westen, um die Fahrt schließlich in einem irrwitzigen Höllenritt enden zu lassen. So ungefähr verlaufen auch Konzerte der Mardi Gras.BB. Erst glühen die Kohlen gemächlich, am Ende explodiert der Kessel. Die öffentliche Steinigung droht den 14 Musikanten heute nirgends mehr, mit allgemeinem Unwillen allerdings könnte mancherorts noch zu rechnen sein. Zum Beispiel dort, wo man Mardi Gras.BB ob ihres Namens und mehr noch ihrer Musik ganz unwillkürlich die Wiege hinzustellen gedenkt „Kämen wir tatsächlich aus New Orleans“, grinst Sänger Doc Wenz, „müssten wir wohl ein Leben als schwarze Schafe führen. Dort lebt und liebt man Traditionen und stürzt sie nicht so einfach von der Klippe, um aus den Trümmern was Neues zu zimmern.“ Welch ein Glück also, dass Mardi Gras.BB nicht aus dem Big Easy und nicht einmal von der anderen Seite des großen Teiches stammen. Welch ein unsägliches Glück, dass die Band dem unseres Wissens von keinerlei musikalischen Traditionen befleckten Mannheim entstammt. Auch wenn man das kaum glauben mag. Und in der Tat trägt die Stadt am Mississippi-Delta natürlich eine gehörige Mitschuld am Entstehen einer Second-Line-Band ausgerechnet im Herzen des Musterländles. Als eines schon recht fernen Tages der Reverend Krug, der eigentlich ganz anders heißt, zumindest vorne, aus dem Urlaub in New Orleans an den Rhein zurückkehrte, da wurde über dem Atlantik die Idee geboren, es den feierwütigen Südstaatlern gleich zu tun. Und eben auch wieder nicht. Denn wo die „Second Line“, also Bläser und Percussions ohne die Solisten, wie der Doc sagt, „live auf der Straße prima klingen, verlieren Bands wie die Dirty Dozen Brass Band von der Konserve doch unheimlich viel von ihrem Reiz“. Was nicht zu leugnen ist. Doch was tun, wenn man ganz endgültig beschlossen hat, die First Line daheim zu lassen?
Die Lösung heißt DJ Mahmut. Seitdem sich bei Mardi Gras.BB Rhythmen und Blechgeblasenes mit den punktgenauen Scratches und einigen wohl ausgewählten Samples vom Plattenteller mischen, geraten die Sounds der Funeral-Fanatics in wundervolle Schräglagen. Dass dabei Doc Wenz, einst hoffnungsvoller Debütant im heilbringenden Gewerbe des Medicus für Haut und Geschlechtskrankheiten, keine Nebenrolle spielt, sei hier nicht verschwiegen. Larmoyant und pomadig, verrucht und von beinahe unstillbarem Missionseifer für die Kunst des witwenmordenden Charmeurs besessen, geleitet der Beau im Zweireiher seine virtuosen Erfüllungsgehilfen durch atemlose Predigten unter dem Banner grenzenloser Sinnenfreuden.
Der Coup glückt treffsicher. Auf jeder Bühne sowieso, wenn Reverend Krugs Sousaphon, die hübsch zur übergewichtigen Schlange verbogene Abart der Tuba, sich über andere blechblasende Köpfe erhebt und Doc Wenz sich lasziv durchs Jacket den Nabel krault Und als digitale Konserve ebenso. Nach „Alligator Soup“ kommen uns die Herren von Mardi Gras-BB nun mit dem zweiten Album „Supersmell“ und rücken ihren Hörern noch ein paar Zentimeter weiter auf die Pelle. Gegen die Brass-Section dieser Band sind alle Konkurrenten Blas-Beamte, und an der Seite eines Doc Wtnz werden selbst erfahrene Gigolos zu Novizen in der Kunst, eine Lady zum überhaupt nicht ordnungsgemäßen Ablegen der unbilligen Abend-Garderobe zu bewegen.
Exotisch, erotisch, emphatisch – auf eine Band wie Mardi Gras.BB hat man hier zu Lande sehr, sehr lange warten müssen. Nun, da es sie tatsächlich gibt, sollten wir ihr unsere Referenz, unseren Respekt und in möglichst jedem ihrer Konzerte unsere Anwesenheit gönnen. Das ist im Grunde natürlich ziemlich eigennützig gedacht, macht uns aber nicht allzu bekümmert. Es gibt ja weiß Gott schlimmere Vorsätze als den, einige Abende mit der Musik von Mardi Gras.BB zu verbringen.