Exitus auf Raten? VH-1, einst mit Anspruch gestartet, hat die Moderatoren entlassen und sendet „reformierte“ Konserven
VH-l-derland, gut Nacht! Wie üblich gab es am Anfang eine Vision: gutes deutsches Musik-TV. Ausgerichtet auf die Zielgruppe der 25 bis 49jährigen, sollte mit VH-1 eine völlig neue Qualität in die Reihe deutscher Musik- und Clip-Kanäle etabliert werden. Namhafte Moderatoren wie Alan Bangs, Susanne Reimann und Daniel Kovacs wurden dafür verpflichtet, Magazine wie „360“ und das „Musikalische Quintett“ aufgebaut. Die amerikanische Mutterfirma Viacom, Inhaberin vom Branchenriesen MTV, pumpte eine nicht unbeträchtliche Summe Dollars in das hoffnungsvolle Unterfangen.
Nun gilt es Bilanz zu ziehen: Eine Programmreform, ausgelöst durch eine ominöse Marktforschung, deren konkrete Ergebnisse bisher niemand sehen konnte, stand an. Nur übersetzte sich Reform im Falle von VH-1 durch das Wort Abschaffung des Programms, denn nichts anderes ist mittlerweile geschehen. Nachdem Chef Michael Oplesch noch sagte, zwei Drittel der Mitarbeiter würden bleiben, wurde nun 34 von 37 unerwartet gekündigt. Zwei Drittel? Mit derartiger Arithmetik sind schon stabilere Systeme, ja ganze politische Blöcke von unserer Landkarte verschwunden. Am schmerzlichsten und am auffalligsten natürlich das Verschwinden der Moderatoren, die quasi über Nacht von ihrer Demission erfuhren.
Doch ganz so doof, wie wohl gedacht, ist die Zielgruppe nun doch nicht: Wer sich die Homepage VH-l-derland (was für ein Name angesichts der Vorgänge!) anschaut und das Gästebuch anklickt, kann eine eindrucksvolle Litanei enttäuschter Fans lesen. Über Tage liefen e-mail beim Sender ein, in der entsetzt über die neue Programmstruktur gewütet und die Rückkehr der Aushängeschilder gefordert wird. Wohl umsonst. Statt dessen beglückt uns der Sender mit dem Affen Ronny, uralten Sekunden-Konserven von Barry White und der, vorsichtig formuliert, inkompetenten Jenny Elvers. Ansonsten: Clips, Clips, Clips.
Was Viacom nun mit VH-1 vorhat, steht in den Sternen. Der Platz innerhalb des Spektrums deutscher Clip-Kanäle scheint unsicherer denn je. Schließlich wird die Gruppe derer, die sich überhaupt Musiksender angucken, nicht größer, und die Versuche, VH-1 einer größeren Zahl an Zuschauern überhaupt erst erreichbar zu machen, noch aussichtsloser. Solange Dieter Gorny als Schatten-Musik-Minister in Nordrhein-Westfalen die Strippen ziehen darf, wird VH-1 im bevölkerungsreichsten Bundesland auch nicht an Viva 2 vorbeiziehen. Der Versuch, Eigenständigkeit über profilierte Moderation und eine engagierte Redaktion zu erreichen, wurde von der Spitze abgesägt. Also kann das Vertrauen des Senders in seine Spitzenleute nie groß gewesen sein. Kopfschütteln in der Branche ist das einzige, was bleibt.
Neue Gerüchte besagen, daß nun auch die US-Firma sich das Treiben ihrer deutschen Geschäftsleitung genauer ansehen will. Gerade im Amiland will man den Verlust von 60 Millionen Dollar Startgeld nicht einfach akzeptieren. Die Schuld bei den Moderatoren zu suchen, erscheint dort als zu billige Lösung. Vielleicht wird die Programmreform so noch zum Stolperstein für ihre Erfinder. Dann würde es endgültig heißen: Wonderland, gut Nacht.