Exile On Hauptstrasse
Glitterhouse-A&R Rembert Stiewe über musikalische Emigranten, die sich in Europa wohler fühlen als in ihrer amerikanischen Heimat
Seit Menschengedenken wird Kontinentaleuropa immer mal wieder Ziel US-amerikanischer Auswanderungswellen. Zumindest im Musikzirkus. Vor allem unter Singer/Songwritern im weitesten Sinne ist der Trend zum Exil derzeit verstärkt zu beobachten. „Exil“ indes ist ein zu großes Wort – verbannt wurde hier niemand. Die Gründe der musikalischen Emigration sind so vielfältig wie nahe liegend, künstlerischem Ethos genau so geschuldet wie banalen Zufällen. Und, immer wieder: Die Frauen! Die Liebe!
Zwei Modelle der Lebens- und Umfeldgestaltung herrschen unter den rastlosen Troubadouren vor. Da ist Berlin, Dorado der Billigmieten, als Verheißung der Möglichkeiten. Einst stellten dort Iggy Pop und David Bowie, angezogen durch den morbiden Hautgout der kaltkriegerischen Mauerstadt, die Blaupause für Rock-Dandytum im Exil dar. Wenn nicht auf Berlin, fällt die Wahl der Heimstatt suchenden US-Musikanten gerne auf die Provinz. Auf ein warmes Nest, das bürgerliche Annehmlichkeiten und unter Umständen erstrebenswerte Isolation bietet. Irgendwo in Schwaben, in der Bretagne oder in Dänemark. Nun, ländliche Käffer mit erschwinglichen Mieten gibt es zuhauf auch in Amerika. Warum also Europa, warum sich mit der Sprachbarriere oder winzigen Autos mit Handschaltung herumärgern? Was suchen sie, was finden sie hier, woran es daheim mangelt? Sehnsucht nach künstlerischer Anerkennung, die in der Heimat verwehrt wurde? Ja, auch, mag sein. Simple Karrieregründe? I wo. Daß für sie in der alten Welt Schmalhans Küchenmeister bliebe, war ihnen vorher bewußt.
Was ist es dann, das sie antreibt? Chris Eckman, Vorsteher der Walkabouts aus Seattle und seit einigen Jahren in Ljubljana verheiratet, sieht seine Situation pragmatisch: „Ich wäre nie aus musikalischen oder aus Karriere-Gründen nach Slowenien oder generell nach Europa gezogen. Da der Rest der Band nach wie vor in Seattle lebt, stehe ich ständig vor logistischen Problemen. Aber die Liebe ist ein verdammt starker Motivator. Darum bin ich hier. Außerdem trifft man hier nicht so viele Leute, die Bush gewählt haben.“
Auch Josh Rouse fand sein privates Glück – in Spanien. Der australische Go-Between Robert Forster in Regensburg. Terry Lee Haie, einst in der Bretagne und nun in Paris lebend, empfindet „die Lebensqualität in Europa“ als „einfach höher“. Chris Cacavas, der mit seiner deutschen Frau vorher neun Jahre lang in Los Angeles wohnte, begründet ihren Umzug ins Ländle damit, daß er dem gemeinsamen Sohn das öffentliche amerikanische Schulsystem ersparen wollte. Howe Gelb, Teilzeiteuropäer, fand seine Liebe und erschwingliche Sommer-Refugien in Dänemark. Gemütlichkeit also kann ein Schlüsselreiz sein: „Das Leben dort ist viel simpler. Vielleicht so, wie es in den USA in den 50er Jahren war.“
Das alte Europa mit seinem gegenüber dem amerikanischen way of life stets etwas dünkelhaft bis elitär eingestellten Kulturverständnis wirkt offensichtlich nachhaltig auf emigrierte US-Liedschreiber. Überraschend allerdings, daß ihre Sichtweisen in puncto Lebensstil und Kultur die Unterschiede zwischen Europa und den USA tatsächlich bis zum Klischee feiern. Hier die eher entspannte, den schönen Künsten und kleinen Genüssen gegenüber offene, weniger hektisch angelegte europäische Lebensart, dort die oberflächliche, streßvolle amerikanische Raffke-Mentalität. Aha. Alles super hier. Entschuldigung, geht’s noch ein bißchen binsenwahrer? Nein. Anscheinend nicht. Ihr Standpunkt ist eindeutig. Josh Rouse hat erkannt, „daß es im spanischen Lebensstil nicht so sehr ums Geldverdienen geht, sondern um Muße. Hier genieße ich den Moment. Das europäische Publikum ist geduldiger, aufmerksamer, generell interessierter als das amerikanische.“ Elliott Murphy, bereits seit 15 Jahren in Paris lebend, zeigt sich – wie alle anderen Befragten auch – von der europäischen Kultur-Rezeption begeistert: „Europäer nehmen Kultur ernster als Amerikaner und sie sehen Rock’n’Roll und Blues als Teil der Hochkultur an.“ Aber speziell in Deutschland sind diesbezügliche Wahrnehmungs-Defizite doch offensichtlich. Egal, Murphy schwärmt fort: „Trotz der Sprachbarriere beschäftigen sich Europäer intensiver mit meinen Texten, und obwohl meine Musik ihre Wurzeln im amerikanischen Rock, Country und Blues hat, können sie auch mit der musikalischen Aussage mehr anfangen. Hier habe ich gefunden, was ich gesucht habe: ein treues Publikum, Indie-Labels, respektvolle Kritiker und natürlich Wein, Weib und Gesang.“ Angesichts solch inniger Beziehungen zwischen den musikalischen Emigranten und Europa verwundert es fast schon, daß ihnen hier auch etwas fehlt. Howe Gelb, obgleich voll des Lobes über die Kreativität dänischer Musiker, hat beobachtet, daß ihrer Musik aufgrund ihrer vergleichsweise besseren sozialen Absicherung oft die Dringlichkeit abgehe.
Das „Wo“ hat im Übrigen nur marginalen Einfluß auf das „Wie“. Zwar wirken die unterschiedlichen Lebensumstände offensichtlich auf das musikalische Werk. Doch nur wenige der musizierenden europäischen Neubürger äußern sich wie Haie oder Eckman, die konstatieren, daß die Musik aller von ihnen bereisten europäischen Länder auf ihre eigene abgefärbt habe. Vielleicht ist das „Wo“ gar gänzlich egal. „Ich glaube, daß alle Künstler in gewisser Weise immer im Exil leben, egal, wo sie sich aufhalten“ ist Murphys philosophische Sichtweise, „weil wir ohnehin stets verbannt werden an den Rand der Gesellschaft. Egal in welcher Gesellschaftsform.“ Des Künstlers Brot ist somit ein hartes, auch in der Fremde. Und alle Künstler sind Ausländer, fast überall.