Exile In Mainstream
Seit 27 Jahren kämpft PAUL WELLER mit der Presse - und ebenso lange ist er einer der erfolgreichsten Musiker Großbritanniens. Versöhnung sucht er nicht mehr, er hat seinen eigenen Frieden gefunden. Auch wenn er seit zwei Jahren kein Lied mehr geschrieben hat.
Wenn man einmal ohne Manager ans dem Haus geht! Paul Weilers Gepäck ist unauffindbar, irgendwo auf dem weiten Weg von London nach Berlin hängengeblieben. Wegen der langen Suchaktion kommt er zu spät zum Interview, danach zu spät zum Album-Anhörtermin, der auf dem umgebauten Frachtschiff „MS Edelweiß“ stattfindet. Er könnte jetzt genervt sein oder wenigstens ein bisschen nervös.
Paul Weller ist die Ruhe selbst. Wären die Klamotten gar nicht mehr aufgetaucht – egal. Er sieht schon wie aus dem Ei gepellt aus, trägt ein schickes schwarzes Samtjacket und eine braunkarierte Hose, die wie immer etwas zu eng sitzt. Dazu eine Frisur, die so lässig-unfrisiert gestylt aussieht, dass jeder Coiffeur neidisch werden müsste, jeder noch vorhandene Mod natürlich sowieso. Überraschend jung wirkt er, und überraschend gute Laune hat er auch. In der bestellten Suite will er nicht reden, lieber in der Hotelbar. Dort kennt man ihn schon: Der Barkeeper begrüßt ihn mit Handschlag und erinnert daran, dass er hier vor einigen Monaten ausgelassen getanzt habe. Das ist Weller nun ein wenig peinlich, aber es stimmt halt. Er bestellt ein großes Bier, zündet sich die erste Benson & Hedges an – nicht ohne einem alles zuvor anzubieten, sehr höflich.
Paul Weller gibt bekanntermaßen ungern Interviews, aber er hat eine neue Plattenfirma, V2, die er nicht gleich wieder vergrätzen möchte, und ein neues Album, „Studio 150″, das einige Fragen aufwirft. Es besteht aus einem Dutzend Coverversionen. Warum? „Ich denke seit langem über so was nach, bestimmt seit zehn Jahren. Eigentlich auch vorher schon, mit Style Council. Jetzt war einfach der richtige Zeitpunkt gekommen. Zum einen hatte ich keine Lust, Songs zu schreiben – ich brauchte eine Pause. Zum anderen hat es schlicht Spaß gemacht Kein Druck, wie wenn man selbst ein Album schreibt. Man muss nicht jede Textzeile analysieren, nicht jedes musikalische Arrangement.“
Weller hat so oft von seinen Lieblingsbands gesprochen – den Beatles, Small Faces, Kinks – , dass die Auswahl der Stücke einen auf den ersten Blick verwirrt: nichts davon, stattdessen Tim Hardin, Nolan Porter, Burt Bacharach, aber auch Sister Sledge, Gordon Lightfoot, Gil Scott-Heron. Weller hat ganz bewusst auf seine Herzenslieder verzichtet Zwar bleibt „Waterloo Sunset“ sein absoluter all time favorite, und er muss immer noch lachen, wenn er an seine erste Begegnung mit dem Schöpfer denkt: „Als ich Ray Davies traf, konnte ich gar nicht aufhören, ihn zu umarmen. All diese unglaublichen Songs!“ Covern wollte er sie trotzdem nicht, warum auch.
„Es wäre sinnlos gewesen, einen Kinks- oder Small Faces-Song zu spielen -was soll man damit noch anfangen? Die Songs, die ich letztendlich ausgesucht habe, sind nicht unbedingt meine liebsten, sondern solche, die ich gut interpretieren kann. Oft habe ich deshalb gerade Lieder ausgewählt, die ich gar nicht so gut kannte, um etwas Neues, Frisches einzubringen. Ich hatte sie vielleicht im Radio gehört oder irgendwo. Vorschläge habe ich nicht angenommen. Das geht immer schief.“
Auch so ging allerdings manches schief. Die Version von „Gimme Shelter“ klappte einfach nicht, nach etlichen Versuchen gab Weller auf. Manche Stücke wie „Hercules“, bekannt durch Aaron Neville, hatte er schon häufiger bei Konzerten gespielt andere waren ihm zunächst eher fremd. „Neil Youngs ‚Birds’ hielt ich immer für einen sehr süßen Song, ein bisschen unterproduziert vielleicht. Es hatte so einen gospeligen, kirchlichen Touch, mit den Piano-Akkorden und dem Mädchengesang. Es sollte eigentlich nu eine B-Seite werden, aber dafür war es uns dann doch zu schade.“ Ob sie es im Studio einspielten, fragte Background- Sängerin Carleen Anderson ihn, worum es in dem Stück eigentlich ginge. Weller hatte keine Ahnung – und das gefiel ihm. „Mir ging es nur um die Musik. Keine Analyse, nur Sänger einer Band sein.“ Nach all den Jahren des Songschreibens hatte er kein Problem mit dieser Reduktion – es war fast eine Erleichterung. „Wenn ich meine Lieblingssongs ausgewählt hätte, wäre das wahrscheinlich anders gewesen. Aber so fiel es mir leicht, mich nicht um die Texte zu kümmern, sondern nur um den Sound.“
Beim zarten Folk-Traditional „Black Is The Colour“ fallt auf, wie sehr Wellers Stimme im Vordergrund steht – kein Zufall. Er überlegt, wie er es geschickt formulieren könnte, aber das ist nicht sein Ding, also sagt er’s doch direkt: „Ich will nicht angeben, aber ich finde, mein Gesang ist momentan auf dem Zenit Bei den letzten Konzerten habe ich das extrem gespürt Ich weiß nicht, woran das liegt – ich werde ja älter, und ich rauche und trinke immer noch und all dieser Quatsch. Aber die Stimme wird immer stärker, und das gibt einem natürlich Selbstvertrauen. Mir macht das Singen in letzter Zeit einfach richtig Spaß. Es gefallt mir, die Stimme als Instrument zu benutzen.“
Und doch war die Arbeit an „Studio 150″ nicht ganz so einfach, wie es bisher den Anschein hat. Immerhin musste es Weller noch gelingen, dass diese so unterschiedlichen Songs am Ende wie ein richtiges Album klingen, nicht wie eine beliebige Kompilation. „Ich wollte unbedingt ein konstantes Gefühl, einen roten Faden. Als ich begann, hatte ich Angst, dass es Kraut und Rüben werden würde. Jetzt, mit den akustischen und den souligen Seiten, passt das alles sehr gut, der Sound haut hin.“ Immer wieder betont er, wie viel Spaß die Aufnahmen gemacht haben – dabei war „Spaß“ bisher ja nicht unbedingt das Wort, dass einem bei Paul Weller zuerst einfiel. Aber in Amsterdam, eben im Studio 150, aufzunehmen, scheint ihm geholfen zu haben, die Arbeit lockerer zu nehmen. „Amsterdam ist eine so nette Stadt da entspannt man sich automatisch. Wir waren aber nicht die ganze Zeit stoned oder so. Vielleicht ein bisschen am Abend, nachdem die Arbeit beendet war, aber wir haben nicht den ganzen Tag geraucht! Das Studio war nur ein paar Minuten vom Hotel entfernt, so dass man eine schöne Routine entwickelte: aufstehen, Frühstück, Spaziergang, Musik machen. Sehr entspannt und die Kreativität fördernd.“
Fehlende Kreativität war allerdings nie Wellers Problem – ein Problem hatte er immer mit denen, die seine Kreativität beurteilen sollten. Von Anfang an.
Weller war gerade mal 17 und ging noch in Woking, Surrey zur Schule, als er mit Gitarrist Steve Brookes, Bassist Bruce Foxton und Schlagzeuger Rick Buckler The Jam gründete. Brookes war schnell verschwunden, The Jam machten als Trio weiter. Die ersten Gigs besorgte ihnen der Vater, John Weller – er verteilte auch Flyer, fuhr die Band samt Equipment durch die Gegend und organisierte Treffen mit Plattenfirmen. Er ist bis heute Pfeilers Managers. 1977 erschien die erste Single, „In The City“, kurz darauf das gleichnamige Album, am Ende des Jahres bereits das zweite „This Is The Modern World“. Das Publikum drehte schon durch, die britischen Kritiker beschwerten sich darüber, dass The Jam sich so offensichtlich am R&B der 60er Jahre orientierten – ordentlicher Punk war das nicht. Der „Melody Maker“ bezeichnete Weller als „revivalist“. „Wie kann ich ein revilalist sein, wenn ich verdammt noch mal erst 18 bin?“, antwortete er bei einem Konzert entzürnt – stilsicher mit einem Plakat um den Hals. Eine Ausgabe des Fanzines „Sniffin‘ Glue“ zündete er angeblich an, weil man ihn dort bezichtigt hatte, sich selbst ein wenig zu ernst zu nehmen. Heute würde er vielleicht zustimmen, aber Weller war immer ein sturer Hund, der keine Zweifel hören wollte – ob sie berechtigt waren oder nicht. Der Einzige, der ihn kritisieren durfte, war er selbst – und Dad, wenn es denn sein musste.
Auf der Tournee brach sich Weller ein paar Knochen, der Siegeszug war indes nicht mehr aufzuhalten. 1978 brachten The Jam „All Mod Cons“ raus, ihr unbestrittenes Meisterwerk. Es folgte Nummer-eins-Single auf Nummer- eins-Single („Going Underground“, „Start!“). Das Album „Sound Affects“ kam bis Platz zwei, der Schwanengesang „The Gift“ 1982 an die Spitze. The Jam durften zwei Songs bei „Top Of The Pops“ spielen – ein Privileg, das vorher nur den Beatles zuteil wurde. Aber bei „A Town Called Malice“ und „Precious“ wohlverdient.
Und dann, nach all diesen Monaten mit all dem Erfolg, all der Arbeit und all dem Irrsinn löste Weller im Oktober 1982 The Jam auf – was ihm die ehemaligen Kollegen nie recht verziehen haben, viele Schreiber ebenso wenig. Aber es kam ja noch schlimmer: Wenige Monate später gründete er mit Keyboarder Mick Talbot eine Band namens The Style Council. Er trug bald einen schicken Scheitel und Cardigans, entwickelte eine komische Vorliebe für Frankreich und wurde seinen Landsleuten immer suspekter. Obwohl sich „Cafe Bleu“ CM) und „Our Favourite Shop“ (’85) gut verkauften, litt Weller unter den ewigen Vergleichen mit The Jam. Und bestand auf seinem Recht, sich zu verändern: „Mir ist es egal, ob ich mich zum Deppen mache oder die Leute verärgere. Das Einzige, was ich nicht leiden kann, ist Gleichgültigkeit“
Der Titel des letzten Albums klingt wie eine Trotzreaktion: „Confessions Of A Pop Group“~ zu einer Zeit, als nichts von dem, was The Style Council machten, etwas mit dem Pop zu tun hatte, der die Charts beherrschte. Es kam noch dicker: Weller, auch schon 30, fing an, sich für House-Musik zu begeistern und selbst damit zu experimentieren. Das ambitionierte, aber leider missglückte Werk „A Decade Of Modernism“ wurde erst mal nicht veröffentlicht, vorsichtshalber – der erste Moment, in dem Weller ernsthaft daran dachte, sich für immer von Plattenfirmen zu verabschieden. Er tat es nicht, löste aber 1990 The Style Council auf und machte – nach einer langen Regenerationspause – einfach solo weiter.
Die britischen Kritiker bezeichnet er heute noch als „grausam“ – und setzt dabei einen Gesichtsausdruck auf, als hätte er in eine vergiftete Zitrone gebissen. „Der Übergang von The Jam zu The Style Council war brutal. Die Presse wollte das gar nicht Es hat sehr, sehr lange gedauert, bis sie mir das verziehen haben.“ Und hat er ihnen verziehen? Ja. Ich habe allen verziehen. Das Leben ist zu kurz. Ich lese einfach keine Rezensionen mehr, ich habe damit aufgehört. Es ist zu blöd, sich darüber aufzuregen. Die guten Reviews sind mir nie gut genug, und die schlechten deprimieren mich sowieso. Was bringt’s also? Entscheidend sollte ja sein, welches Gefühl man selbst hat – und das Publikum. Auf das kann man sich verlassen. Die Presse in England ist so extrem: immer hoch und runter. In einem Moment lieben sie dich, im nächsten hassen sie dich. Und dann, wenn du es gar nicht mehr erwartest, lieben sie dich wieder. Da wird man irgendwann zwangsläufig schizophren.“
Das ist jetzt dein 17. Studioalbum –
Ja? Ich weiß das gar nicht so genau. Habe nicht mitgezählt.
Interessiert dich noch, was andere von dir halten?
Natürlich. Mir sind meine Alben ja nicht egal. Aber ich mache sie nicht mehr mit dem Hauptgedanken, was andere davon halten werden. Ich sitze nicht da und hoffe, sie werden diesen oder jenen Song mögen. Das ist nicht entscheidend, aber natürlich wünsche ich es mir. Sonst hat es ja gar keinen Sinn, was aufzunehmen. Meistens kommt der Gedanke, ob es den Leuten gefallen wird, aber erst, wenn das Ganze fertig ist und man es noch mal anhört. Zuerst nimmst du ja nur bits and pieces auf, aber wenn dann das Ganze im Kasten ist, dann fragt man sich schon, wie toll es eigentlich ist.
Empfindest du deinen bisherigen Erfolg manchmal auch ab Last, weil die Leute immer so viel von dir erwarten?
Niemals. Es ist immer fantastisch, und ich halte mich für extrem glücklich. Wenn man keinen Erfolg haben will, warum überhaupt damit anfangen? Es geht nicht darum, Nummer eins zu sein oder Millionen zu verkaufen. Aber man will als Musiker doch gehört werden. Es geht nicht nur darum, sich auszudrücken, sondern auch, andere miteinzubeziehen. Vor allem bei Konzerten merke ich das immer wieder. Mich treibt der Erwartungsdruck eher an, als dass er mich hemmt. Meine Erwartungen sind ohnehin am höchsten. Ich erfülle sie nicht immer, aber ich bemühe mich. Es wird immer schwieriger, aber ich versuche, immer besser zu werden.
Findest du, das ist dir bisher geglückt?
Nicht mit jedem Album. Das kommt und geht, mit Höhen und Tiefen. Die Zeit von Wild Wood“ und „Stampley Road“ war für mich ein kreatives Hoch. Da habe ich so viel geschrieben, es floss richtig aus mir raus. Aber auch die folgenden Alben, „Heliocentric“ und „Illumination“ – ich weiß nicht, ob das großartige Gesamtwerke sind, aber es sind zwei, drei großartige Stücke drauf. Das muss sein.
Bereust du irgendein Album?
Nicht wirklich. Sogar die, die ich nicht mehr anhöre, die ich nicht mag, haben ein paar Stücke, die es wert waren. Ich versuche, nichts zu bereuen. Ich bin einfach froh, dass ich auf einen solchen body of work zurückschauen kann. Gott behüte mich, aber wenn ich morgen tot umfalle, dann lasse ich immerhin dieses Vermächtnis von Songs zurück. Ich bin sehr stolz auf die meisten Lieder. Sie bedeuten vielen anderen Menschen etwas. Ich will nicht anmaßend klingen, das ist eben einfach eine Tatsache. Heutzutage fallt mir das viel mehr auf als früher. Ich nehme es deutlicher wahr und schätze es mehr. Am Samstag haben wir zum Beispiel in England gespielt, und wie die Leute auf gewisse Songs reagiert haben, war faszinierend – als wären es ihre eigenen Songs. Das ist mir wichtig, das macht ja Popkultur aus.
Auf sein Publikum lässt Weller nichts kommen. Es mag „quantitativ nicht sehr groß“ sein, aber das ist ihm nicht so wichtig: „Ich mag die Leute, die mich mögen. Ich kann mich genauso mit ihnen identifizieren, wie sie sich hoffentlich mit mir. Mir gefallt auch, dass es so unterschiedliche Leute sind Manche sind mit mir und meiner Musik aufgewachsen, aber dann kommen da auch diese Jungen, die meine Platten gerade erst entdeckt haben. Diese Mischung gefällt mir. Lustigerweise kommen immer noch mehr Männer als Frauen zu meinen Konzerten. Aber auch das gleicht sich langsam aus.“
Der lad wurde zum Mann, das Publikum kam mit. Auf Weller können sich offensichtlich alle einigen – Punks und Northern-Soul-Mädchen, Holzfäller und Oasis-Freunde. So unterschiedlich seine Anhänger sind, so unterschiedlich sind auch seine eigenen Vorlieben. Neben den alten Helden hört er immer noch viel modernen Pop, „nicht sklavisch“, aber: „Ich sperre die Ohren auf. Ich mag The Libertines, vor allem den Sänger Pete Doherty – die Single, die er mit Wolfman gemacht hat, ist großartig! The Thrills finde ich gut, vor allem live. The Coral aus Liverpool: klasse.“ Und – das darf einen jetzt doch überraschen – er hat einen Song fürs neue Album von Soul- Schnuckelchen Joss Stone geschrieben: „Sie hat eine erstaunliche Stimme, gerade für so ein zartes Alter.“
Mit einer gerade mal 17- Jährigen zusammenzuarbeiten – für Weller kein Problem. Mit gleichaltrigen Kollegen kann er komischerweise nicht so viel anfangen, es sind ja kaum welche übrig, die noch cool sind. Wellers Bandkollegen sind etliche Jahre jünger als er, aber genauso gern hängt er mit seinem 73-jährigen Vater nun. „Für mich transzendiert Musik das Alter.
Vor 25 Jahren, mit 18, hätte ich das vermutlich nicht gesagt. Da sollte man auch gegen alles rebellieren. Aber jetzt – in meinem Alter – merkt man, dass Musik einen jung hält. Nicht so, dass man ein ewiger Teenager wäre, das wäre ja schlimm. Aber man bleibt kreativ, der Verstand bleibt wach.“
„Vor kurzem haben wir mit Roger Daltrey gespielt, in der Albert Hall, ‘Magic Bus‘. Er ist 60, und er hat diesen Song mit Mitte 20 zum ersten Mal gespielt Aber das ist so egal. Bei Musik spielt Alter keine Rolle. Das andere Extrem ist dann jemand wie Joss, die ein Teenager ist, aber wenn man sie singen hört, denkt man, das könnte auch eine 30-, 40-, 50-Jährige sein. Seltsam, das alles.“
Neulich war er bei einem Konzert der Ordinary Boys und wunderte sich: „Verdammt, so jung war ich auch mal! Diese Babyfaces.. Manchmal kommt es mir wie eine Ewigkeit vor, dass ich so jung war. Und dann denke ich wieder, es ist alles so schnell gegangen. ,Stanley Road‘ ist bald zehn Jahre alt. Wo ist die Zeit hin? Das Leben wird nie langsamer, im Gegenteil.“
Dass er selbst schon 46 ist, kann er manchmal kaum glauben. „Durch die Musik hält man die Energie aufrecht. Naja, wahrscheinlich kollabiere ich eines Tages einfach. Aber zurzeit finde ich, dass wir, ich und die Band, live nie besser waren. Zum einen wohl, weil ich mit der Band jetzt schon so lange zusammen bin. Wir verstehen uns inzwisehen fast blind. Das sind einfach gute Musiken Wahrscheinlich ist das ein Fall von best of both worlds: Man ist Solokünstler und hat doch eine richtige Band. Die haben noch ihre eigenen Projekte, wir glucken also nicht ständig zusammen, jeden Tag des Jahres. Das macht es sehr viel einfacher. Ich habe Steve White, unseren Drummer, neulich gefragt, was jetzt anders ist an manchen Songs, die wir schon so oft gespielt haben. Er wusste auch keine Antwort. Es klingt einfach alles besser. Da gilt wohl dasselbe wie beim Songschreiben: Man hat Höhen und Tiefen.“
Mit dem Songschreiben ist das zurzeit so eine Sache. Seit zweieinhalb Jahren hat Weller kein Lied mehr geschrieben. Er seufzt ein kleines bisschen, revidiert dann das eben Gesagte: „Naja, ich habe was geschrieben, aber das war Müll, nicht zum Veröffentlichen geeignet Wenn ich mich zurzeit hinsetze und Piano oder Gitarre spiele, langweile ich mich einfach. Aber ich denke immer daran, ans Schreiben. Vor ein paar Jahren hätte ich mir in so einer Situation die Haare gerauft und gedacht, das war’s jetzt. Aber momentan habe ich keine Angst. Ich glaube, das kommt wieder. Man trocknet nicht aus. Wenn man Songschreiber ist, ist man Songschreiber. Man geht durch verschiedene Phasen. Ich mache mich deshalb nicht verrückt, ich warte ab. Irgendwann passiert es.“
Er kennt diese Lage inzwischen ja: Gegen Ende des Style Council hatte er auch zwei, drei Jahre nichts geschrieben, dann kamen seine wunderbaren Soloalben. „Einige meiner besten Songs entstanden nach diesem Leerlauf. Ich glaube, das passiert alles ohne Sinn und Verstand. Man kann es nicht steuern. Aber ich beschäftige mich dauernd damit, ich denke ständig daran.“
Damals, bei The Jam, erzählte Weller gern, dass niemand über 30 noch richtig gute Songs schreibt. Heute macht er freilich gewisse Ausnahmen. „Natürlich schreiben die meisten ihre besten Songs, bevor sie 30 oder 40 sind. Aber zurzeit habe ich das Gefühl, bei mir könnte das anders sein. Momentan spielen wir live zwei Songs von „Illumination“, zwei oder drei von „Heliocentric“ und „Heavy Soul“- was versuche ich hier gerade zu sagen? Ich glaube, ich will sagen, dass ich auch in letzter Zeit noch gute Songs geschrieben habe, die neben Jam- oder ,WildWood‘- Songs bestehen können. Ein paar gute fallen mir immer wieder ein.“ Als Inspiration dienen Paul Weller heute allerdings ganz andere Dinge als frühen Bei The Jam thematisierte er gern die Energie und Gewalt des Molochs London, der den Vorstadtjungen magisch anzog: „In The City“, „London Girl“, „Down In The Tube Station At Midnight“ und so weiter und so fort. Politisch war er immer, wenn auch oft auf etwas vage Art und Weise – allgemeiner als etwa bei „Internationalists“ geht’s kaum. Nach und nach wurde er introspektiver, feinfühliger auch; auf seinen Solo-Werken konnte man meistens erraten, was bei ihm zu Hause gerade so passiert war, auch wenn er das nie wollte: „Zu autobiografisch sollten Lieder nicht sein, das wird schnell peinlich.“ Trotzdem gibt es immer wieder private Bezüge, und so bleibt zum Beispiel „Heavy Soul“ die „Trennungsplatte“, mit der er zu verarbeiten versuchte, dass seine Ehe mit Dee C. Lee gescheitert war. Er verlor ja nicht nur die Frau, sondern auch die Sängerin, die ihn seit Style Council- Tagen maßgeblich unterstützt hatte – und die Mutter von zweien seiner Kinder.
Inzwischen hat der Mann, der sich 1984 noch sterilisieren lassen wollte, weil er „keinerlei väterliche Gefühle“ hatte, vier Kinder (von drei Frauen), und er gibt sofort zu, dass die ihn sehr verändert haben: „Ich bin viel beständiger und glücklicher als früher. Früher dachte ich immer, irgendwas fehlt mir, aber ich wusste nie, was. Jetzt schätze ich meine Familie viel mehr, meine Kinder, meine Eltern, meine Lieben. Ich bin einfach ein glücklicherer Mensch, auch mit mir selbst.“ Man muss nur den Song „Sweet Pea, My Sweet Pea“ (von „Helioocentric“) hören, den er für seine kleine Tochter schrieb – so viel Zärtlichkeit, jenseits vom gewöhnlichen Liebeslied.
Weller wohnt jetzt wieder in London, das Landleben war auf lange Sicht doch nicht seine Sache. In Clubs trifft man ihn allerdings nicht mehr, er geht „gerade noch ins Pub um die Ecke“, am liebsten aber sitzt er in seinem Heim und schaut sich dort begeistert um. Jen habe ein hübsches Haus, wo jedes Kind sein Zimmer hat, das hatte ich früher nicht. Ich genieße das Leben dort, mit meinem Baby – naja, sie ist inzwischen schon vier. Meine älteren Kinder sehe ich auch ständig.“
Solche Dinge haben für ihn jetzt Priorität. Vorbei die Zeiten, als er politisch aktiv war, bei „Live Aid“ auftrat (und sich vor Nervosität fast übergab), und sogar ganz uneitel bei einem „Top Of The Pops“-Auftritt von „Band Aid“ die Lippen bewegte zu der Zeile, die eindeutig vom unabkömmlichen Bono stammte. Sein Engagement bei der Links-Bewegung „Red Wedge“, die Billy Bragg Mitte der 80er Jahre aus dem Boden gestampft hatte, bezeichnet Weller heute als „Fehler“. Vielleicht wollte er nur das schräge Bild geraderücken, das entstanden war, nachdem er zu Jam-Zeiten mal behauptet hatte, er liebe die Queen. Weller traf sich mit Politikern, wollte Jugendliche zum Wählen bewegen, sprach sich öffentlich für Labour und gegen Apartheid aus, spielte gegen Atomkraft und für das Recht auf Abtreibung. Was man als moderner Mensch halt so befürwortete und ablehnte in den 80er Jahren. „Style socialism by humourless blokes“, höhnte die britische Presse. Wer Bragg kennt, weiß, dass das Quatsch ist. Wer Weller kennt, weiß, dass er auch das Zitat hasst.
„Sometimes I think to myself Should I vote red for my class or green for our children?“ sang Billy Bragg ein paar Jahre später. Weller fragt sich so was nicht mehr, er hat seinen Sarkasmus aufgegeben. Schuld sind natürlich die Kids. „Gerade wenn sie noch klein sind, muss man einfach positiv sein. Da geht einem jeder Zynismus verloren. Für mich als Mensch ist das gut, für mich als Schreiber – ich weiß nicht Das ist wie mit der Frage: Schreibt man die besten Songs, wenn man einsam ist, verzweifelt und frisch verlassen? Vielleicht, aber soll ich deshalb den Rest meines Lebens unglücklich sein? Nur um einen guten Song zu schreiben? Wenn ich meine Kinder anschaue, vor allem die kleinen, dann sind die so fröhlich und optimistisch, das färbt ab. Und das ist gut“
Was nicht bedeutet dass er sich mit den alten Songs nicht mehr identifizieren kann. „Manche, ,That’s Entertainment‘ und ,Town Called Malice‘ zum Beispiel, kann ich immer noch total nachvollziehen. An viele andere erinnere ich mich gar nicht mehr richtig. Wieder andere wie ,In The City‘ würde ich zwar nicht mehr spielen, aber ich weiß noch genau, was mich damals inspiriert hat. Wie es war, 18 zu sein. An die Gefühle erinnert man sich noch, aber andere Songs sind eher mit mir gereist und gereift“
Wellers Kinder interessieren sich inzwischen ein wenig für seine Musik – was ihn natürlich mehr freut, als er zugeben würde. Sein Sohn Nathaniel ist 16, spielt selbst Gitarre und kommt manchmal mit auf Tournee. Tochter Leah steht eher auf Punkrock: „Meine fast 13-Jährige hat Poster der Clash und Pistols an der Wand, das ist schon bizarr. Aber andererseits kann ich es sehr gut verstehen: In dem Alter spricht einen die Aggression und all das direkt an. Vieles, was sie sonst so hört, gefällt mir nicht gerade, aber zumindest sind das Leute, die ihre Instrumente selbst spielen. Sie geht nicht zu Pop Idols oder Westlife, sondern aufrichtige Konzerte. Ob ich mitkomme? Nicht, wenn es sich vermeiden lässt! Meine Achtjährige habe ich neulich zu Bastard begleitet, das war schockierend! Sie fand es toll.“
Pfeiler muss lachen – wahrscheinlich weil er selbst nicht fassen kann, dass er jetzt so redet, wie es seine Eltern nie getan haben. Die hatten für fast alles Verständnis, was der kleine Paul mochte und machte- er tut sich als Vater nicht ganz so leicht „Manchmal finde ich es ehrlich gesagt sehr, sehr schwer, meine Tochter zu verstehen. Diese Prä-Teenager-Phase mit 12 ist verdammt hart. Es ist Mord! Manchmal frage ich mich, wie das erst mit 15,16 wird! Ich versuche, mit ihr zu reden und ihr Vernunft beizubringen, aber sie zuckt nur mit den Schultern. Ich weiß nicht, ob ich es als Vater leichter habe, weil ich kein so konventionelles Leben führe. Vielleicht finden sie’s etwas spannender, als wenn ich in der Bank arbeiten würde, aber das macht dich ja auch nicht zu einem besseren Vater. Es ist immer schwer. Und es kommt immer nur auf Liebe an.“
Ein „normales“ Leben hatte Weller eigentlich nie, zumindest nicht ab Erwachsener – da war er längst mit The Jam im Rampenlicht Einen „normalen“ Job hatte er auch nie. „Das habe ich nie bereut, niemals. Schon mit 12,13 wollte ich nichts anders – ich wollte immer Musik machen, ich habe immer davon geträumt, in einer Band zu sein. Ich dachte immer, Musik ist mein Ticket, um dem normalen Leben zu entkommen. Ich komme ja aus dieser kleinen Vorstadt, Woking. Mit diesem Background, aus einer normalen Working- Class-Familie heraus, war das größte Ziel die Flucht. Ob mit Sport oder Musik, irgendwie wollte man rauskommen – nicht von der Familie weg, sondern von dem Lebensstil.“
Wie viel Weller seinem Vater zu verdanken hat, hat er selbst immer wieder betont Glaubt er, dass er es ohne dessen Unterstützung genauso weit gebracht hätte? „Ich weiß nicht Ich schätze, mit demselben Talent hätte ich es schon irgendwie geschafft, aber es wäre härter gewesen. Mein Vater war so ermutigend, er stand immer hinter mir. Ich hatte unfassbares Glück.“
Vor ein paar Jahren sagte Paul noch, wenn sein Vater irgendwann keine Lust mehr hätte, würde er auch aufhören. „Ach, es ist einfach so: Manchmal sitze ich mit ihm in einer Umkleide herum, und so ist das seit Jahren. Dann denke ich mir, ich würde hier nicht mit anderen Leuten sitzen wollen, mit irgend- welchen Fremden. Wenn es mal soweit sein sollte, werden wir weitersehen. Es dauert eben sehr lange, bis man richtige Beziehungen aufbaut, und so wie mit meinem Vater könnte es sowieso mit keinem anderen Manager sein. I don’t know if I could be arsed.“
Paul Weller hat es so ja schon schwer genug. Er ist jetzt wieder einmal bei einer neuen Plattenfirma – eine Tatsache, die ihm nur ein kurzes, resigniertes Schnauben abringt „Es wird immer schwerer, das richtige Label zu finden. V2 ist eine kleinere Firma, das gefällt mir. Bestimmt gehört sie auch irgendwelchen Bankern, aber egal. Hauptsache, man kann mit den Leuten reden. Für jüngere Bands ist das sicher alles noch viel schwieriger. Als ich anfing, hatte man selbst bei einem Misserfolg der ersten Platte noch die Chance, eine zweite zu machen. Oder eine dritte.“ Nicht, dass Weller die gebraucht hätte.
Und jetzt ist er auch nicht mehr darauf angewiesen, viel Geld zu verdienen. Trotzdem nervt ihn die geschäftliche Seite oft: „Das Business ist Mist, aber das war immer so. Die Plattenfirmen haben sich doch selbst ins Bein geschossen, mit ihrer eigenen Gier haben sie sich die Luft abgeschnürt Es wird wohl auf zwei, drei Firmen hinauslaufen, die alles besitzen. Die Leute werden trotzdem kreativ bleiben und Platten machen. Aber das Marketing leidet natürlich, vor allem bei den Major-Firmen. Ich habe schon hin und wieder daran gedacht, mein eigenes Label zu gründen, vielleicht könnte man etwas besser machen. Aber das ist so kompliziert. Vor ein paar Jahren laberten alle vom Internet und was da bald abgehen wird, aber das stimmt ja gar nicht. Da passiert nichts.“
Der Wellersche Pragmatismus. Bei ihm kommen die widersprüchlichsten Wesenszüge zusammen: einerseits immer Romantik, andererseits ewiger Groll. Einerseits stets Realitätsnähe, andererseits unbeirrbarer Idealismus.
„You can bury me a Mod“, wurde er vor einigen Jahren zitiert – das unterschreibt er immer noch. Aber was bedeutet das „Mod-Sein“ für ihn heute? „Für mich bleibt es ein Code. Eine Lebenseinstellung, ein Look. Es schließt alles ein. Es ist immer noch sehr wichtig für mich. Es ist auch ein sehr englisches Ding. Es fällt mir immer schwerer, es zu definieren. Das verändert sich auch. Es ist vor allem eine Einstellung. Was genau, kann ich nicht erklären.“ Aber eins weiß er genau: Von all den Begriffen, mit denen man ihn belegte, ist das der einzige, den er gern hört. „Die britische Presse war so erfindungsreich. Dad- rock. Lad. Britpop. Modfather. Ich hatte alles. Alle dummen Begriffe. Das bedeutet mir nichts.“
Am Ende geht es eben doch immer nur um den nächsten Song. Der hoffentlich bald vom Himmel fällt. Weller wartet schon darauf- und hofft, dass die nächsten Stücke seinem kritischen Blick standhalten können: „Ich werfe zwar nicht viel weg – ich schreib einfach nicht genug, um viel wegwerfen zu können —, aber ich merke schnell, ob ein Song wirklich etwas Besonderes ist. Man kriegt förmlich eine Gänsehaut.
Allerdings arbeite ich dann immer noch viel daran. Selten kriege ich es gleich hin, meistens werkle ich ewig.“ Er seufzt wieder.
Es ist nicht leicht, Paul Weller zu sein. Aber es ist verdammt viel leichter als früher.