Eurovision Song Contest: Weshalb wir verlieren
Spekulationen zum nationalen Katastrophenfall beim Eurovision Song Contest.
Auf dem Spielbudenplatz in Hamburg hatte Barbara Schöneberger noch die „Diversity“ beim Eurovision Song Contest gefeiert, die als fadenscheiniges Motto über dem Spektakel in Kiew stand, als sie die zwölf Punkte der deutschen Jury vergab. Dann war Schluss mit Diversity. Am Ende waren dank Irland lumpige sechs Punkte zusammengekommen, und Barbara Schöneberger war jetzt eine beleidigte Leberwurst.
Sie verstand es einfach nicht. Und Nicole verstand es nicht. Und Adel Tawil verstand es nicht. Und Peter Urban in Kiew sagte immer wieder, es sei ihm „nicht erklärlich“, Levina habe „einen guten Job gemacht“, sie habe „großartig“ gesungen. In hilfloser Unlogik bescheinigte Peter Urban dem Wettbewerb eine so schöne Diversität mit unterschiedlichen Musikfarben, kein Einerlei, da sei für alle etwas dabei gewesen – umso unbegreiflicher das deutsche Debakel. Irrer noch: Beim deutschen Vorentscheid sei Levinas „Perfect Life“ doch mit 69 Prozent gewählt worden!
Helene Fischer war schon abgereist.
Es ist eine nationale Katastrophe.
Aber es ist nicht die erste nationale Katastrophe. Im Jahr 1995 belegten Stone & Stone mit „Verliebt in dich“ den 23. Rang unter 23 Teilnehmern. Im Jahr darauf qualifizierte sich ein Leon mit dem von Hanne Haller verfassten „Planet Of Blue“ gar nicht erst für den Wettbewerb. Stefan Raab und Guildo Horn mussten Deutschland retten und belegten die Ränge 5 und 7. Deutschland war jetzt lustig, aber nur kurz. Die Ledermamsell Gracia wurde im Jahr 2005 mit „Run And Hide“ 24. unter 24 Teilnehmern, und Roger Cicero erreichte 2007 mit „Frauen regier’n die Welt“ den 19. Platz. Niemand erinnert sich an Alex Swings, Oscar Sings!, die 2009 mit „Miss Kiss Kiss Bang“ auf Platz 20 endeten.
Danach kam Lena Meyer-Landrut.
In den letzten drei Jahren scheiterten Ann Sophie, Jamie-Lee und Levina. Das Fehlen der Nachnamen hat gute Tradition – Nicole gewann als Nicole, Lena gewann als Lena.
Ein paar Vorschläge, weshalb es nicht klappt
Der Krieg ist schuld.
Eine Grundannahme älterer ESC-Connaisseure – stimmt immer.
Österreich ist schuld.
Keine Punkte aus dem Nachbarland – eine beliebte Verschwörungstheorie.
Die Türkei ist schuld.
Keine Punkte aus der Türkei – das Land war in diesem Jahr auch gar nicht dabei.
Das Reglement ist schuld.
Die 80 Millionen Einwohner von Deutschland dürfen sich nicht selbst wählen.
Lena Meyer-Landrut ist schuld.
Nie zuvor wurde eine Deutsche so geliebt – und nie wieder wird eine Deutsche so geliebt werden.
Peter Urban ist schuld.
Er denkt bei jedem Knall, dass vor seinem Moderatorenkabuff eine Bombe hochgegangen ist.
Die Geografie ist schuld.
Alle Länder haben immer Nachbarn – wenn auch nicht so viele wie Deutschland.
Die Nachbarn sind schuld.
Sie mögen die Deutschen nicht.
Die Flüchtlingskrise ist schuld.
Seitdem mögen uns die Nachbarn noch weniger.
Salvador Sobral ist schuld.
Meine Mutter sagt, dass er komisch singt. Außerdem klinge sein Lied alt.
Ein mathematischer Grund für die Debakel ist übrigens, dass Deutschland neben den anderen Großveranstaltern Großbritannien, Spanien, Italien und Frankreich etatmäßig qualifiziert ist. Wäre es nicht so, würde der deutsche Song womöglich bereits im Halbfinale scheitern, obwohl die Deutschen ihn ausgesucht haben.
Und das wäre eine nationale Katastrophe.