Eurovision Song Contest: Hey, Du bist ein Held!
In Wien gewann der heroische Schwede Måns Zelmerlöw mit Ansage, während Ann Sophie ohne Ansage bei null Punkten blieb - wie die österreichischen Titelverteidiger.
Hinterher weiß man es immer besser. Wäre doch bloß Andreas Kümmert angetreten! Der Schrat hätte vielleicht wenigstens Mitleidspunkte bekommen. Ann Sophie bekam gar nichts, und gar nichts bekamen auch die österreichischen Hippies von The Makemakes. Beide sangen sehr ordentliche Songs, einigermaßen traditionell, eingängig und gefühlig.
Beim Eurovision Song Contest aber gilt: Einerseits ist alles vollkommen absehbar, und im Nachhinein will es jeder gewusst haben. Andererseits ist GAR NICHTS absehbar: Bei dem allgemeinen Weltbeglückungs- und Zusammenführungspathos unter dem Motto „Building Bridges“ hätten die sogenannten Punk-Finnen das Finale erreichen müssen. Die korpulente serbische Knödelsängerin Bojana Stamenov hätte reüssieren müssen. Die Polin Monika Kuszynska, im Rollstuhl eine schlichte Ballade singend, hätte mehr als zehn Punkte auf sich vereinigen müssen.
So aber behielten die Buchmacher recht und der ARD-Weise Peter Urban, der nach eigener Angabe (nach der Sendung) die ersten drei Plätze vorausgesehen hatte: Schweden, Russland, Italien. Der abgeschmackte, ja beknackte Falsche-20er-Jahre-Vaudeville-Auftritt des englischen Duos Electro Velvet wurde von Urban gegen seine Gewohnheit harsch veralbert, und in der Regel gilt auch die Regel: Humor geht gar nicht beim Song Contest. Aber was war mit Lordi? Wurden Hardrock-Männer mit Gruselmasken und Grottensong IM ERNST zu Siegern gekürt?
„Heroes“ ist erhebender Wohlfühl-Quatsch
Måns Zelmerlöw, der Gewinner mit Ansage, ist der kleinste gemeinsame Nenner. Die Schweden wussten, dass ihn alle lieben würden. Die Schweden wussten, dass alle ein Lied mögen würden, dass den Menschen sagt: Hey, Du bist übrigens ein Held. Du bist unglaublich, du hast nichts falsch gemacht. Du tanzt sogar mit Dämonen. Mit Tränen in den Augen.
Johannes Strate von Revolverheld, der es wissen muss, sagte beim Abklatsch auf der Hamburger Reeperbahn ganz richtig: „Der sieht ja auch tierisch gut aus. So ein Schwein! Singt gut, tanzt gut, sieht gut aus.“ Und „Heroes“ ist ein populistischer, knalliger Song, der gerade so quietschend, wummernd und automatisiert ist, dass er Kontakt zum letzten Stand der Elektronisierung hat und das beruhigende Gefühl vermittelt: Ja, wir sind auf der Höhe!
„Heroes“ ist affirmativer, erhebender Wohlfühl-Quatsch, die Euphorie-Nummer. Niemand wollte den Norweger, der berückend von dem Verbrechen in seiner Jugend singt (mit einer Frau). Niemand wollte den fabelhaften Song des Esten (mit einer Frau). Niemand wollte den begeistert klavierspielenden Slowenier (mit einer Frau).
Niemand wollte Ann Sophie. Womöglich stand sie zu breitbeinig vor dem Mikrofon. Sie bewegte sich kaum. Die vier Sängerinnen bewegten sich kaum. Es bewegte nicht. „Sie hat einen Super-Job gemacht“, sagte Peter Urban. „Da stimmte doch einfach alles!“ trompete Barbara Schöneberger auf dem Spielbudenplatz in Hamburg. Das heißt: Es ist etwas schrecklich missglückt.
Die anderen Länder glaubten, Deutschland habe eben erst gewonnen (den Song Contest, die Fußball-Weltmeisterschaft) und müsse nicht schon wieder, so Schöneberger. Für die Länder in der unteren Hälfte des Tableaus bleiben keine Stimmen, weil nur zehn Songs jeweils Punkte erhalten, so Urban. Die Songs in der unteren Hälfte des Tableaus bekommen also keine Punkte, weil sie keine Punkte bekommen. Bekäme der 26. des Rankings irgendwelche Punkte, hätte Deutschland irgendwelche Punkte. Und wäre Vorletzter.
Die Interesselosigkeit von Flugbegleiterinnen
Deutschland IST Vorletzter. Die österreichischen Gastgeber, ebenfalls mit null Punkten gestraft, ließen den Gästen den Vortritt. Miriam Weichselbraun, Alice Tumler und die frischeversiegelte Arabella Kiesbauer (spricht Französisch) moderierten die Show mit der professionellen freundlichen Interesselosigkeit von Flugbegleiterinnen.
Conchita Wurst befragte emsig die Teilnehmer. Hätten Johnny Logan, Celine Dion, der Norweger mit der Fiedel nach ihren Triumphen die Teilnehmer befragt? Mirjam Weichselbraun ist schön. Alice Tumler ist schön. Arabella Kiesbauer ist schön. Conchita Wurst ist wunderschön. Sie standen in einem Glühbirnenpalast, der Sohn von André Heller hüpfte einmal über die Bühne, und die Wiener Sängerknaben trugen ihre Trikots.
Sigmund Freud, Mozart und der Erfinder der Nähmaschine waren nicht verfügbar, aber ihr Geist durchwehte den Abend. An einer Stelle während der langweiligen Punkte-Aufzählung sagte – ich glaube: Mirjam Weichselbraun zu einem aufgekratzt labernden Korrespondenten: „Can‘t wait.“ Was ja heißt: „Ah, geh‘.
Und es ging so.