Eurovision Song Contest 2017: ROLLING STONE über Tops und Flops
Von aufgebrezelten Shirley-Bassey-Balladen bis zu einer neuen Art Adele. ROLLING-STONE-Redakteur Arne Willander untersucht die Qualität aller Teilnehmer- und Bewerberbeiträge für das Finale beim Eurovision Song Contest 2017.
Niederlande: O’G3NE, „Light And Shadows“
Drei Grazien im Harmoniegesang. Der Song ist ein so unspektakulärer, kaum aufgerüschter Popsong, dass er fast schon wieder eine Chance hat. Gruppennamen wie O’G3NE („Mutters Blutgruppe und die Gene, die alle verbinden“) sollten unterlassen werden.
Ungarn: Joci Pápai, „Origo“
Der Roma Joci hat seine leiernde Weise so gepimpt, dass er mit einem metrosexuellen urbanen Elektro-Klangkünstler verwechselt werden könnte. Fiedel, Gegurgel und Rap. Echt nicht.
Dänemark: Anja Nissen, „Where I Am“
Eine blonde Dänin, eine moderat elektronisierte, dramatische Schmachtballade. Könnte unter die ersten fünf kommen.
Irland: Brendan Murray, „Dying To Try“
Das rotwangige, gescheitelte Bürchchen singt allerliebst – aber der tranige, zunehmend bomabstische Schmachtfetzen kommt schwer in die Puschen. Unter den ersten zehn.
San Marino: Valentina Monetta & Jimmie Wilson, „Spirit Of The Night“
Valentina Monetta hat es schon viermal versucht – San Marino hat ja auch nicht so viele Einwohner. Hier wird sie von einer Art Jermaine Jackson angesungen. Der tumbe Disco-Schlager könnte das Halbfinale überstehen.
Kroatien: Jacques Houdek, „My Friend“
Der wuchtige Knödelsänger, eigentlich Zeljko, hat in Kroatien schon alles in Castingshows versucht und schmettert in Ivan-Rebroff-Manier neben einem Jüngelchen. Freundschaftsnummern gehen immer.
Norwegen: Jowst, Grab The Moment“
Ein vierschrötiger, tätowierter DJ mit Hut stellt einen Gassenhauer mit Gesummse und Helium-Stimmenverzerrer vor. Mittelfeld – oder nichts.
Schweiz, Timebelle: „Apollo“
Die Rumänin Miruna Manescu fistelt sich angestrengt durch den theatralische Autotune-Hysterieschlager (ARD: „Powerballade“). Reicht vielleicht fürs Finale.
Weißrussland: Naviband, „Story Of My Life“
Das krustige Hippie-Pärchen schollert die fröhlich-einfältige Landsknecht-Weise in der Landessprache. Hier droht eine Überraschung. Aber das denkt man in solchen Fällen immer. Finale.
Bulgarien: Kristian Kostov, „Beautiful Mess“
Hat Bulgarien je gewonnen? Kristian Kostov, ein niedlicher Gruft-Schnulli mit Zahnlücke, schmachtet allerliebst zu Pathos-Chören, Windmaschinen und allerlei Vögeln im Zeitlupenflug. Arschlangweilig.
Litauen: Fusedmarc, „Rain Of Revolution“
Streng aussehende Frau mit Dutt skandiert angestrengt eine Art Achtziger-Jahre-Funk mit Bläsern (Steve Winwood?) – das sympathisch konfuse Stück fällt vollkommen auseinander. Schluss im Halbfinale.
Estland: Koit Toome & Laura, „Verona“
Koit Toome sieht aus wie ein gemorphtes Hybrid aus Sasha und Thomas Anders und singt auch so, und Laura soll es auch schon öfter beim Song Contest versucht haben. Der Romeo-und-Julia-Schlager ist ein Hit: „We were lost in Verona, aaaah-aaaah-aaaaah.“ Die Nachtigall, nicht die Lerche.
Israel: Imri Ziv, „I Feel Alive“
Ballermann in Israel: „Breaking me to pieces“, Imris Undercut sitzt, der gestutzte Bart auch, und jetzt werfen wir alle am Strand die Arme hoch. Die Art von schwachsinniger Euphorienummer, die jederzeit gewinnen kann.
Deutschland: Levina, „Perfect Life“
Lena war Deutschland, wie es gern wäre – Levina ist Deutschland, wie es ist. Die Großblondine wird vielleicht eine emphatische Geste mit der linken Hand ergänzen. Sie wird nicht Letzte.
Frankreich: Alma, „Requiem“
Die Franzosen wollen verzweifelt sie selbst sein: Alma singt französisch und im Refrain englisch, das Lied changiert zwischen Chanson und Zigeunerschlager, Streicher inklusive. Könnte was werden. Aber was?
Großbritannien: Lucie Jones, „Never Give Up On You“
Sie suchen immer eine Art Adele – und haben eine gefunden. Die erfreulich schlichte Ballade ist ein richtiges Lied. Zu geschmackvoll.
Italien: Francesco Gabbani, „Occidentali’s Karma“
Der heisere Kellner vom kleinen Italiener an der Ecke singt auch und ist lustig: Sein schlotziger Wumms-Schlager geht sowas von ab. Und der Titel ist crazy.
Spanien: Manel Navarro, „Do It For Your Lover“
Alles easy: Der wuschelige Surfer kann sich zwischen Spanisch und Englisch, Klampfe und Stimmenverzerrer nicht entscheiden. Abgeschmacktes Baccardi Feeling.
Ukraine: O.Torvald, „Time“
Ein durchgeschepperter Tätowierter im Unterhemd, auf dessen Brust eine Digitalanzeige mitläuft, steht auf einem Schlackehaufen und spielt mit einer Art, na: Gitarren-Rock-Band einen Pathos-Brecher. Vielleicht das absurdeste Stück der Konkurrenz.