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Arne Willander schaut fernKolumne

Eurovision Song Contest 2016: Europa setzt ein Zeichen – für nichts

Der ESC solidarisiert sich gratis mit der Ukraine - und Jamie-Lee Kriewitz wird mit dem letzten Platz bestraft

Politische Aussagen sind beim Eurovision Song Contest verboten. Unzucht mit Tieren auf der Bühne ist verboten. Australien ist nicht verboten. Asiatische Blumendekorationen auf dem Kopf sind auch nicht verboten, werden aber mit dem letzten Platz bestraft.

Jamie-Lee representing Germany with the song Ghost performs during the final of the Eurovision Song Contest 2016 Grand Final in Stockholm, on May 14, 2016. / AFP / JONATHAN NACKSTRAND (Photo credit should read JONATHAN NACKSTRAND/AFP/Getty Images)
Jamie-Lee: chancenlos in Stockholm

Jamie-Lee Kriewitz ist bestimmt eine Nervensäge, und mehr als einen mittleren Rang hatte niemand erwartet. Aber das Lied ist nicht verkehrt, es ist sogar zeitgemäß, es ist melodramatisch, es ist heißkalt. Aber von den Jurys gab es einen Punkt, da lag „Ghost“ immerhin vor dem gelockten Prinzenrollen-Darsteller Michael Spazk aus Polen, und vom Publikum 10 Punkte von ungefähr 2947, von denen der polnische Prinzenrollen-Darsteller mehr als 200 bekam. Gut, das Siegerlied heißt „1944“ und handelt von der Vertreibung von der Krim und von Mord. Aber daran war Stalin schuld.

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Schon im vorigen Jahr war es der letzte Platz. Ist das der Dank für Griechenland und die Willkommenskultur? Deutschland ist die kranke Sangesmamsell Europas.

Die Krim bleibt annektiert

Nach dem veränderten und nun absichtlich gar nicht mehr begreifbaren Abstimmungsmodus konnten die Zuschauer mit einem Punktefüllhorn den Sieg von Dami Ims „Sound Of Silence“, dem australischen Beitrag, verhindern. Der ukrainische Schmachtfetzen „1944“, von Jamala mit laokoonhaftem Ausdruckstanz, schwülstigem Gejodel und flammender Larmoyanz dargeboten, war sozusagen gesetzt – und war es doch nicht. Denn vor dem Wettbewerb galt der Russe Sergey Lazarev als Favorit, dessen bollernder Ballermann-Hymnus „You Are The Only One“ tatsächlich den schwedischen Vorjahrestriumph „Heroes“ an Blödigkeit sogar überbietet. Lazarev lieferte, die Russen versammelten ihre Satellitenstaaten – aber es reichte nicht. Die Krim wird annektiert bleiben.

Aber Europa hat das getan, was es am liebsten tut: Es hat ein Zeichen gesetzt – für nichts. „1944“ ist der Trost von fernen Freunden für die Ukraine.

Die schwedischen Gastgeber haben in Stockholm alles richtig gemacht. Die Moderatorin Petra Mede empfahl sich für den EU-Vorsitz, in dem sie schlagfertig die plumpesten Anbiederungen der Länderbotschafter, die immer nur den Gewinner der zwölf Punkte der Jury bekanntgeben mussten, parierte: Nach der Ankündigung des Mazedoniers, im nächsten Jahr werde man den Sangeswettbewerb bestimmt so schön ausrichten wie die Schweden, sagte Mede, sie freue sich ganz doll darauf, und nach dem Sülz des maltesischen Ambassadors und den zwölf Abonnementspunkten für die britischen Inselherren rief sie in grell gespielter Überraschung: „The United Kingdom!“ Ein ukrainischer Clown fragte, ob sie sein Herz schlagen höre, und sie sagte, das könnte sie sicherlich und sehr gern, wenn sie näher dran wäre. Die Dänin und die Norwegerin kennt sie – man ist untereinander sachlich, man geht es skandinavisch an. Zu der lauten Barbara Schöneberger auf der Hamburger Reeperbahn war Petra Mede freundlich. Auch Deutschland mag Jamala. Und den Prinzenrollen-Polen.

Justin Timberlake kam vorbei, denn der ESC wird auch in den USA gesendet, und Timberlake hätte auch an dem Wettbewerb teilnehmen können, denn Leute wie der Songschreiber Max Martin schreiben auch alle anderen Lieder für alle anderen Länder. Der eine oder andere Ehemann, Entdecker oder Sugardaddy mag noch am Start sein, aber Ralph Siegels Komponistenwelt ist versunken. Professioneller als beim ESC wird nur bei Beyoncé gearbeitet: Auch die Folklore ist ganz und gar künstlich. Jamalas „1944“ ist ebenso künstlich wie Ruslanas Trommeltanz „Wild Dances“ von 2004, ebenfalls ein Sieg für die Ukraine.  „Du bist mein Held“, trällerte Jamala ins Mikrofon von Mans Zelmerlöw, dem Vorjahresgewinner, der durch die Kulissen streifte, um die Aufregung einzufangen. Das Wetter war eine Woche lang schön, sagte Jamala ohne Freude. Stockholm ist gut.

Das kalte Gefühl der Casting-Show

Peter Urban, der Mann der Einordnung, bestätigte das. Einmal kam seine Stimme durchs Telefon, als wäre es die Übertragung eines Fußballspiels der Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien. Urban versteht es nicht: Jamie-Lee sei nie besser gewesen als an diesem Abend. Er hat vor sechs Jahren Lena Meyer-Landruth erlebt. Aber Lena war ein Fanal des Jungseins und der Liebe. Jamie-Lee ist das kalte Gefühl der Casting-Show, das Gespenst des kalkuliert Niedlichen. The ghost of you.

Die Simulation von großem Gefühl muss so gut gemacht sein, dass sie sich von dem großen Gefühl selbst nicht unterscheidet.

JONATHAN NACKSTRAND AFP/Getty Images
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