Eurosonic Noorderslag Festival 2019: Frauen auf der Überholspur

Das erste große Festival des Jahres diskutierte Brexit-Folgen und Bier-Sorten. Beim Eurosonic in Groningen mischten sich schräge Töne mit Gender-Tendenzen.

Brexit hier. Brexit da! Auch beim ersten großen Musikfestival im europäischen Kalender war das politische Chaos auf der Insel DAS Thema jenseits der Konzertbühnen. Von den üblichen Tresenwitzen, bis hin zu Detailfragen im künftigen Tour-Betrieb. Genaueres wusste niemand zu berichten. Und genau das scheint das Problem, auch im Live-Geschäft.

Traditionell steht das Eurosonic Norderslag in Groningen, kurz ESNS, im Zeichen des intensiven Austausches innerhalb des Kontinents. Diverse Preise wurden überreicht, etwa der „Music Moves Europe Talent Award“. Einmal in der Jury-Variante, dann wiederum als Publikums-Auszeichnung. In einer Zeremonie, in Anwesenheit des EU-Kultur-Kommissars  Tibor Navracsics, durfte ein wenig Glamour gespielt werden. 

Gewinner: Rap aus Island

Die Gewinner kennt im deutschen Sprachraum bislang wohl kaum jemand: Etwa in der Kategorie „Pop“: Bishop Briggs aus Großbritannien oder die Niederländerin Pip Blom im Rock-Segment. Österreich gewann mit Stelartronic die Electro-Medaille. Der Preis im HipHop/Rap ging lustigerweise an Island. Die Band Reykjavíkurdætur darf für 2019 die Euro-Rap-Krone tragen. Aber wohlgemerkt: Es geht beim viertägigen Event-Marathon in der handlichen Studenten- und Verwaltungsstadt in Nordholland um Newcomer. Und schon mancher nutzte den Kick des ESNS zu einer schwungvollen Karriere. Von Dua Lipa, über Alice Merton bis zu Yungblud. 

Ilgen-Nur

Letzterer rockte 2018 den amtlichen Plattenladen Plato inmitten des Stadtzentrums, der auch in diesem Jahr wieder Mini-Auftritte der Festival-Bands im 40-Minuten-Takt ermöglichte. Mittlerweile ist auch das Großraum-Café nebenan vom ESNS-Vibe angesteckt. Auch hier spielen die Bands in dichter Folge für kein Geld für BürgerInnen und Studenten. Dieses Shows sind meistens so voll, dass man dann locker vor dem großen Schaufenster steht, auf die aktuellen Verkaufs-Charts von Plato schaut und auf einem DIN-A-4-Blatt darüber informiert wird, dass das Musical-Album von Bruce Springsteen auch im Norden Hollands abgeräumt hat. 

Bei den über 400 offiziellen und inoffiziellen Konzerten (die kaum ein Mensch überblicken kann!) gab es natürlich keinen beherrschenden Trend. Zwischen Black Metal und Minimal Techno – alles im Angebot. Für klare Linien ist Pop längst zu ausdifferenziert. Wenn überhaupt fiel im weiten Reigen auf, dass Frauen weiterhin massiv auf der Überholspur sind.

In der Lutherkirche spielte etwa die Berlinerin Lisa Morgenstern ihre mega-zerbrechlichen Piano-Weisen. Oder die in London und Berlin lebende Italienerin Violetta Zironi verwebte per Gitarre und Kammer-Orchester getragene Americana-Songs mit der großen Tradition des Italo-Chansons.

Die Slowakin Katarina Malikova fuhr im Grand Theater das ganz große Besteck auf und kredenzte mit klassisch trainierter Stimme ein viel umjubeltes Symphonie-Pop-Konzert. Bei soviel feinfühliger Eleganz fiel die Hamburgerin Ilgen-Nur in solider Bass-Gitarre-Drums-Besetzung fast schon aus dem Raster: Dream Pop mit sehr viel Schmackes. Eher derbe auf die Glocke im Reigen der schönen Töne. 

Tammo Kasper
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