Europäische Seelen, luzide Träume und kleine Erdbeben: die Alben der Woche vom 10. April
Calexico finden immer noch mitreißende Melodien, Mark Oliver Everett küsst den Boden, auf dem einst John Lennon stand und Conor O' Brien alias Villagers singt auf seiner neuen Platte von schrecklich schönen Sommern. Unsere Alben der Woche vom 10. April.
Album der Woche:
Villagers – „Darling Arithmetic“
Es ist eine dieser schwülen Sommernächte, wie man sie aus Bruce-Springsteen-Songs zu kennen glaubt. Nur dass sich die Liebenden nicht draußen am Wasserspeicher treffen, sondern auf dem Kopfsteinpflaster herumknutschen. Und all die hübschen jungen Schwulenhasser, die Streit suchten, werden zu Zaungästen einer Lovestory, die im Herzen eines heißen und schrecklichen Sommers zu Ende geht.
Conor O’Brien braucht nicht viel, um sich in der Ballade „Hot Scary Summer“ tief hinein in den Schmerz der Trennung und des Verrats zu graben – Akustikgitarre, Mello-tron, einen schlurfenden Beat. Und das Album „Darling Arithmetic“ ist voller solcher intimer Songs, die stets etwas Bekenntnishaftes haben. Songs, in denen O’Brien einen lyrisch und musikalisch viel näher an sich ranlässt als zuletzt auf „{Awayland}“. Mit elektronischen Experimenten ist Schluss, stattdessen schüttet er in stillen, sanften, behutsam instrumentierten Songs sein Herz aus. Sachte in Stücke wie „Everything I Am Is Yours“, „Darling Arithmetic“ oder „No One To Blame“ eingefügte Klavierakkorde genügen, um ergreifende, hochempfindliche Momente zu erzeugen.
„It took a little time to get where I wanted/ It took a little time to get free/ It took a little time to be honest/ It took a little time to be me“, singt O’Brien in dem Song „Courage“, der das Album eröffnet und ihm den Ton vorgibt, indem er sich an dieser rigorosen Selbstbespiegelung versucht, die sich der Ire bei John Grant abgeschaut haben könnte. Er singt vom Verlangen und vom Verzicht oder davon, sich selbst so zu akzeptieren, wie man ist („The Soul Serene“).
Aber auch davon, dass man durch die Liebe Teil von etwas Größerem wird – besonders schön im bluesig-gospelhaften Albumfinale, „So Naïve“, und in „Little Bigot“, einer verstörenden Kostbarkeit, bei der sich der Rhythmus ständig dem Song zu widersetzen scheint. „Love is me, love is you/ We’re the same/ And it’s okay to be tired“, erklärt O’Brien in einem berückend-entzückenden Ton, der jeden Sommer schrecklich schön machen kann. (Gunther Reinhardt/ROLLING STONE 04/2015)
Weitere Neuerscheinungen in dieser Woche:
Calexico reisen mit „The Edge Of The Sun“ zurück zu ihren musikalischen Wurzeln und machen dabei einen Zwischenstopp in Coyoacán – einem historischen Stadtteil von Mexiko-Stadt. Deswegen sind die lateinamerikanischen Einflüsse – musikalisch verdichtet von Gastmusikern wie Band of Horses, Iron & Wine und Neko Case – diesmal so offensichtlich wie noch nie. Manche Songs klingen, als wären sie direkt für den Abspann einer Folge von „Breaking Bad“ geschrieben worden.
Konzerte von den Eels sind schon deswegen ein Ereignis, weil Sänger Mark Oliver Everett mit jeder Tour die Stilrichtung ändert. Zuletzt waren edler Zwirn, Trompeten, Glockenspiel und „sweet soft bummer Rock“ gefragt – was E in der Royal Albert Hall mit großer Geste zelebrierte. Auf dem 2-CD/DVD-Set „Live At Royal Albert Hall“, das den Auftritt in der legendären Londoner Spielstätte dokumentiert, ist sogar zu sehen, wie der Musiker den Bühnenboden küsst, auf dem einst John Lennon stand.
„Every finger in the room is pointing at me“ – mit diesen Zeilen definierte Tori Amos auf ihrem Album „Little Earthquakes“ im Jahr 1992 eine neue und eigenständige Form des hochsensiblen Songwritings, das über die Befreiung von religiöser und sexueller Abhängigkeit genauso intensiv meditierte wie über den Ausbruch aus der Adoleszenz. „Little Eartquake“ erscheint zusammen mit „Under The Pink“ (1994) noch einmal in digital restaurierter Fassung mit raren Bonus-Tracks und B-Sides.
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Plattenladen der Woche:
SMILE RECORDS
Bremer Str. 1
21244 Buchholz
Telefon: 04181-3 81 36