ESC: Wächst sich der Israel-Boykott zur unreflektierten Hipster-Angelegenheit aus?
Monsters of Boykott! Aber ein Konflikt, der mindestens drei Nummern zu groß ist für Pop-Sternchen
Es war die Stockholmer Tageszeitung Schweden „Expressen“, die eine internationale Meldungs-Lawine ins Rollen gebracht hat. Das Blatt enthüllte in der letzten Wochenend-Ausgabe (27/28. Januar), dass mehr als 1.000 schwedische Musiker, Musikerinnen und Bands fordern, dass Israel von der Eurovisions-Endrunde ausgeschlossen wird, die 2024 in im südschwedischen Malmö stattfindet: Grund dafür sei der anhaltende Nahostkonflikt zwischen Israel und der Hamas, der Zehntausende von Zivilisten in Gaza das Leben gekostet hat.
Mittlerweile hat das Land von ABBA und IKEA die Gesamtliste aller Boykott-Rufer von „Expressen“ veröffentlicht. Etwa Eric Saade, Marlena Ernman, Timbuktu, aber auch Medina und Jacqline, die in diesem Jahr beim regionalen „Melodifestivalen“ antreten. Auch Weltstar Robyn ist dabei. Die vollständige Liste der Künstler, darunter viele lokale und regionale Acts, die unterschrieben und eine Petition beim Senderverbund „European Broadcasting Union“ (EBU) eingereicht haben, ist auf der Web-Plattform von „Expressen“ einzusehen.
Bereits vorher gab es Aufrufe, Israel von der gesamten Eurovision 2024 auszuschließen. In Island unterzeichneten mehr als 500 Künstlerinnen und Künstler eine weitere Petition, in der der Insel-Kandidat RÚV aufgefordert wird, sich aus dem Wettbewerb zurückzuziehen. Die Künstlerin Silvia Night schrieb einen offenen Brief an die EBU, in dem sie ein Israel-Bann forderte. Auch in Finnland unterzeichneten 1.300 Künstler einen Schriftsatz, in dem sie den Ausschluss Israels forderten.
Auch in Island unterzeichneten mehr als 500 Künstler eine Petition, in der RÚV aufgefordert wird, sich aus dem Wettbewerb zurückzuziehen, während Silvia Night einen offenen Brief an die EBU unterzeichnete, in dem sie ein Verbot Israels forderte.
Damit nicht genug: Der UK-„Vertreter“ Olly Alexander hat ebenfalls öffentlich seine Meinung gegen Israel kundgetan.
In der schwedischen Petition heißt es:
„Seit mehr als 100 Tagen müssen wir mit ansehen, wie die israelische Armee schwere Kriegsverbrechen begeht, die führende Menschenrechtsorganisationen als solche bezeichnen. Der Eurovision Song Contest begann als Friedensprojekt mit dem Ziel, Länder und Bürger durch Musik zu vereinen. Die Zulassung Israels zur Teilnahme untergräbt nicht nur den Geist des Wettbewerbs, sondern auch den gesamten öffentlich-rechtlichen Auftrag. Sie sendet auch das Signal, dass Regierungen ohne Konsequenzen Kriegsverbrechen begehen können. Deshalb appellieren wir an die EBU: Schließen Sie Israel vom Eurovision Song Contest 2024 aus.“
Die Antwort vom schwedischen Ausrichter-Sender SVT kam postwendend:
„Es ist die EBU, die entscheidet, wer an dem Wettbewerb teilnimmt, und als Gastgeberland bezieht sich SVT auf das, was die EBU entscheidet. Das menschliche Leid in diesem äußerst komplexen Konflikt ist entsetzlich. Die Zustände im Gazastreifen und die Anschläge der Hamas in Israel können niemanden unberührt lassen. Auch wir sind besorgt über die Entwicklungen. Wir verstehen und respektieren, dass sich Gruppen Gehör verschaffen.“ Weiterhin heißt es dort, dass die SVT im Dialog mit der EBU ist, Man hoffe, die Eurovisions-Gala auf die „beste Art und Weise durchführen zu können, mit der Vision, in der Musik zu vereinen.“
Die städtische Verantwortliche für das Mega-Event in Malmö Karin Karlsson kommt in „Expressen“ ebenfalls zu Wort:
„Wir können keinen Einfluss darauf nehmen, ob Israel dabei ist oder nicht, das liegt in der Verantwortung der EBU. Wir haben aber zu jeder Zeit gesagt, dass jeder in Malmö willkommen ist!“
Drohen Absagen aus dem Gastland Schweden, aus Island, Finnland und Spanien?
Es ist davon auszugehen, dass dieser Nebenkonflikt innerhalb des internationalen Pop-Lagers sich noch die Wochen und Monate bis zur Malmö-Show hinziehen wird, wenn diese nicht gar mit Gegen-Boykotts eskaliert. Drohen Absagen aus dem Gastland Schweden, aus Island, Finnland und Spanien? In den meisten Ländern Europas laufen gerade die Landes-Wettbewerbe. Dann werden sich auch die jeweiligen Sieger positionieren müssen, selbst wenn diese sich nur als unpolitische Musikanten sehen.
Es spricht null und nichts dagegen, auf einem Techno-Schlager-Event, wie es der ESC nun mal ist, das Leid der palästinensischen Bevölkerung anzuprangern. Genauso wie man die rechtslastige Politik Israels „künstlerisch“ angreifen kann. Aber wie schon durch die BDS-Bewegung, mit sinistren Grummelbrüdern wie Roger Waters an der Spitze, wird ein Konflikt angeheizt, der mindestens drei Nummern zu groß ist für Pop-Sternchen. Bislang wirken diese massenhaften Boykott-Noten wie ein selbstgerechter Zug einfältiger Lemminge, wo viele aus einem falsch verstanden „Widerstands-Geist“ mitziehen, ohne sich wirklich für den komplexen Nahost-Konflikt zu interessieren.
Der 1970er-Kampf der Pop- und Rockszene gegen den Vietnam-Krieg war auch eine hochpolitische Angelegenheit. Diese wurde aber mit Protest-(Songs) und „bunter Kreativität“ ausgefochten, und nicht mit Boykott-Forderungen gegenüber israelischen Kollegen – die oft genug selbst im Widerstand gegen die Linie ihrer Regierung stehen.
Im Fall des Malmö-ESC muss man schon sehr viel Fantasie haben, um anzunehmen, dass sich Israels Notstandsregierung von Boykott-Alarm auf einem Schlagerfestival in Schweden beeinflussen lässt.
Und überhaupt: Kein schwedischer Cardigans-Klon scheint sich für zwielichtige Regime wie jenes in zum Beispiel Aserbaidschan zu interessieren. Im ESC-Teilnehmerland hat die Armee die dortige armenische Bevölkerung im Sommer 2023 aus der Region Bergkarabach vertrieben. Eine ebenfalls brutale Aktion, die über 100.000 Menschen der Heimat beraubt hat.
Doch diese Menschenrechtsverletzung scheint wiederum die Boykott-Willigen mit keiner Silbe zu interessieren: Wahrscheinlich nicht Boykott-Hipster-kompatibel genug!