„Es gibt eine No-Go-Area für Autoren“

Gott mag Schwule, Jesus dicke Joints, aber Mohammed darf nur ganz kurz auftauchen: Der Schriftsteller John Niven über die Lust an der Provokation, hasserfüllte Christen – und die Angst vor Islamisten beim Schreiben.

Interview: Rainer Schmidt

Herr Niven, in Ihrem Buch „Kill Your Friends“ haben Sie die Plattenindustrie fertiggemacht, in „Gott bewahre“ schlagen Sie auf Religionen und Casting-Shows ein – was hassen Sie mehr?

Ach, man kann da nicht wirklich von „Hass“ sprechen. Aber wenn ich mir überlege, was Glauben theoretisch sein und bewirken könnte und dann sehe, was Menschen draus machen, werde ich wütend. Das Buch greift diejenigen an, die im Namen von Gott und Jesus so viel falsch machen.

Sind Sie religiös erzogen worden?

Nein, kann man nicht sagen. Meine protestantischen Eltern glaubten wohl an Gott, sind aber nicht in die Kirche gegangen, ich auch nicht.

Im Buch wird vor allem heftig gegen die katholische Kirche und den Papst gewettert. Was haben Sie gegen Katholiken?

Wenn man sieht, was an Missbrauchsfällen bekannt geworden ist, wie jahrelang von ranghohen Kirchenvertretern etwa in Irland versucht wurde, alles unter den Teppich zu kehren, das ist erschütternd. Ich habe nichts gegen einzelne Katholiken, aber die Heuchelei von offizieller Seite ist beachtlich.

Die Bibel macht Sie auch nicht glücklich …

Ich halte es für aberwitzig, dass Menschen mit Stellen aus der Bibel ihren Hass rechtfertigen, sei es der Hass gegen Schwule oder gegen Abtreibungsbefürworter. Zu viele berufen sich auf diese Schrift, um irgendeine irre, unmenschliche Idee zu rechtfertigen.

Im Roman ruft Gott ein Meeting ein, um zu sehen, warum die Menschen auf der Erde moralisch so verkommen sind. Als ein Hauptübel werden die diversen christlichen Religionsströmungen ausgemacht. Mohammed dagegen taucht nur auf zwei Seiten auf. Aus Angst vor möglichen Reaktionen?

Um ehrlich zu sein, tauchte er ursprünglich in der Szene deutlich länger auf. Er nahm vorher sogar selbst an dem beschriebenen Meeting mit Gott teil. Mir wurde aber geraten, das lieber zu ändern. Einer von den Verlagsmenschen hat mich angefleht, fast geweint hat er: „Nein, bitte tu uns das nicht an, die stürzen sich doch hinterher nicht nur auf dich, sondern auf uns, auf deine Verleger, deine Lektoren!“ Da habe ich gedacht, einerseits hasse ich, nicht das schreiben zu können, was ich eigentlich schreiben will, andererseits … Am Ende haben wir Mohammed drin gelassen, aber anders und kürzer.

Wie viel länger war die Szene ursprünglich?

Ein paar Seiten. Um es ganz klar zu sagen, und dessen bin ich mir völlig bewusst: Wenn ich das gleiche Buch geschrieben hätte mit Mohammed anstelle von Jesus, würden wir wahrscheinlich dieses Gespräch so jetzt nicht führen können, weil ich mich verstecken müsste. Wir erleben schon sehr seltsame Zeiten, in denen man über solche Beschränkungen überhaupt nachdenken muss.

War Ihnen während des Schreibens diese Gefahr immer gegenwärtig, auch nach den Erfahrungen etwa, die der dänische Karikaturist Kurt Westergaard machen musste?

Ja, auf jeden Fall. Es existiert mittlerweile ein Bereich, der für Autoren eine No-Go-Area ist, weil es da draußen Leute gibt, die in religiösen Dingen keinen Spaß verstehen und mit dir nicht diskutieren, sondern lieber deinen Hals durchschneiden oder deine Wohnung in die Luft sprengen. Und die Wut über diese Art von Konsequenzen aus Religion zieht sich durch das ganze Buch. Aber es würde sich für mich noch schlimmer anfühlen, wenn Mohammed jetzt gar nicht mehr in dem Buch auftauchen würde.

Gott und Jesus rauchen die ganze Zeit Joints, Jesus klaut und schläft mit Frauen – man könnte sagen, das sind sehr billige, kindische Provokationen, über die sich vielleicht Strenggläubige aufregen, aber sonst niemand. Wollten Sie Gläubigen mal so richtig den Stinkefinger zeigen?

Ja, ich schätze, ich bin ein bisschen kindisch, ich gebe das unumwunden zu. Aber die Mutter meiner Freundin, eine gläubige Katholikin, schrieb mir per E-Mail, das Buch sei im Grunde trotz all dieser Stellen sehr modern und religiös, weil es zeigt, was Christentum eigentlich bedeuten sollte: Menschen zu lieben und ihre Vielfalt zu schätzen.

Amerika und seine religiösen Eiferer kommen auch sehr schlecht weg.

Es ist ein Jammer, wie groß der Einfluss der religiösen Rechten dort geworden ist. Und diese Rechten haben Gott und Jesus auf eine unverschämte Art für sich vereinnahmt und verfolgen in seinem Namen eine Politik, die jedem christlichen Gedanken völlig widerspricht. Das ist irre und gefährlich.

Aus Ihnen spricht enttäuschte Liebe zu den USA?

Es ist, wie einst John Lennon sagte, als er meinte, er fühle sich wie ein halber Amerikaner, weil sie Elvis hervorgebracht hätten. Mir geht es genauso. Ich liebe amerikanische Musik, Bücher, Filme. Und ich liebe selbst L.A., was viele komisch finden.

Apropos L.A. Jesus wohnt mit seiner Truppe im berühmten Chateau Marmont und hat bald eine Rechnung in sechsstelliger Höhe – was war ihre höchste Rechnung dort bisher?

So zwei- bis dreitausend Dollar.

Für eine Nacht?

Ich glaube, es waren eher zwei …

Durch die ersten dreißig Seiten kommt man vor unchristlicher Flucherei und Fäkalsprache übrigens kaum durch, musste das wirklich sein?

Das habe ich schon einmal gehört, liegt das an der deutschen Fassung? Aber ich wollte niemanden am Anfang mit frommen Worten in den Schlaf wiegen, das muss schon mit dem Vorschlaghammer kommen, damit es richtig wirkt, das ist Absicht.

Jesus spielt eine Jam-Session mit Jimi Hendrix, Gott mag Witze und Rockmusik. Gott ist nicht zum Fürchten, sondern ein lustiger Kerl?

Klar, das ist ja genau die Idee: Wenn Gott und Jesus hier auf Erden wären, wären das natürlich total coole Jungs, mit denen man gerne abhängen würde, lustige Kerle mit gutem Musikgeschmack, die beiden wären eben genau keine Eiferer, keine Hassprediger und Ausgrenzer.

Jesus nimmt an der fiktiven Casting-Show „American Pop Star“ teil. Diese beschreiben Sie als ein abgrundtief menschenverachtendes System von Psychopathen. Woher kommt dieser Unmut?

Diese Shows sind ein kultureller Rückschlag der schlimmsten Sorte. Das ist wirklich ein Phänomen. Früher war das die größte Qual: Am Samstagabend mit den Eltern irgendeine furchtbare Gameshow sehen müssen. Da hat sich jeder geschworen: nie wieder, nur über meine Leiche. Plötzlich sitzen selbst Menschen meiner Generation abends wieder vor der Kiste und schauen sich diesen Mist an.

Haben Sie je eine Staffel komplett verfolgt?

Nein, das hätte ich nie durchgehalten. Aber ich habe ein paar amerikanische und englische Folgen aus Recherchegründen gesehen, das hat mir gereicht.

Jesus ist auf der Erde ein Rockmusiker, der mit seiner Stimme alle in seinen Bann zieht. Kann Musik erlösen – ist das Ihre Erfahrung?

Man darf den Gedanken nicht überstrapazieren, aber Musik kann großartige Sachen bewirken, wie ich aus meinem eigenen Leben weiß.

Wann war Ihre letzte musikalische Erleuchtung?

Die gibt es immer mal wieder. Eine existenzielle Rolle spielt Musik vor allem, wenn man jünger ist und Halt sucht, dann kann Musik diese Leerstelle ausfüllen. Sie ändert vielleicht nicht die Welt, aber auf einer persönlichen Ebene kann sie etwas bewirken, vielleicht sogar Menschen retten. Rockmusik inspiriert zu den richtigen Sachen. Man wird auf hasserfüllten Anti-Abtreibungs- oder Anti-Schwulen-Demos eher keine gute Musik hören.

In der Plattenindustrie haben Sie gearbeitet. Die TV-Typen werden von Ihnen als noch zynischer beschrieben. Sind die wirklich schlimmer?

Ja, auf jeden Fall, die sind noch viel, viel schlimmer.

Woher wissen Sie das?

Wenn man in Los Angeles mit Produzenten zusammensitzt und über eine Drehbuch redet, dann heißt es nur: Dieses beschissene Stück Scheiße, diese Ficker, die ganze Zeit, wirklich, ich saß in solchen Runden. Jede nächste TV-Sendung, jeder nächste Film könnte ihre Position infrage stellen, wenn es kein Erfolg beim Publikum wird, also hassen sie das Publikum und diese Arbeit.

An was glauben diese Menschen?

An Geld, an nichts anderes, Geld und Erfolg, aber Erfolg bedeutet Geld, also am Ende nur: Geld!

Was unterscheidet diese Zyniker von den Zynikern der Plattenindustrie?

Selbst die heutigen Zyniker in der Plattenindustrie fanden zumindest anfangs einmal Popmusik richtig gut, sie haben daran geglaubt.

Drogen spielen bei Ihnen eine große Rolle. Gott etwa kifft im Roman die ganze Zeit. Sie auch?

O nein, wenn ich nur an einem Joint ziehe, ein Zug reicht, falle ich im nächsten Moment um und muss ins Bett, das ist nichts für mich.

Aber das Zeug im Himmel wird als der absolute Wahnsinn beschrieben …

Mich hat der Gedanke beschäftigt, was das wohl für ein Hammer-Stoff sein müsste, wenn es im Himmel Hasch gäbe. Und dann geht es auch darum zu zeigen, wie absurd es von Gläubigen oder Republikanern ist, sich so vehement gegen etwas auszusprechen, das doch von Gott geschaffen worden ist – während sie Alkohol und Tabak gutheißen, weil sie damit viel Geld verdienen können.

Gehen die Leute – jenseits der US-Republikaner – heute anders mit Drogen um als vor 15 Jahren?

Es hat einen fundamentalen kulturellen Wandel gegeben, weil Anfang der 90er eine ganze Generation Ecstasy für sich entdeckte. Bis in die späten 80er waren Drogen kleinen Zirkeln vorbehalten, selbst in der Plattenindustrie etwa gab es Koks nur in bestimmten Kreisen. Dann kam Ecstasy – und nichts war mehr wie vorher.

Plötzlich herrschte überall Love, Peace & Unity …

Ja, das war in Großbritannien sehr beeindruckend. In Pubs oder auf Partys haben dich Hooligans, die sonst sofort zugeschlagen hätten, liebevoll umarmt und mit dir gefeiert, unfassbar. Und diese Generation hat dann auch andere Drogen für sich entdeckt.

In Deutschland war es ähnlich. Koks beispielsweise galt als Schickimicki-Droge für elitäre Kreise, heute scheint es überall zu sein, nicht zuletzt, weil es billiger geworden ist, aber auch, weil es einfacher erhältlich ist und viel mehr Leute es ohne große Bedenken zu konsumieren scheinen.

Das Gleiche gilt für London. Das Zeug ist praktisch überall – und viel billiger als früher. 40 oder 50 Pfund für ein Gramm, aber dafür gibt es auch nur Müll, in dem Pulver zu dem Preis ist vielleicht noch ein Gehalt von ein paar Prozent Kokain. Ich kenne Leute, die gerne 120 Pfund pro Gramm zahlen, also locker mehr als das Doppelte, weil sie bessere Qualität und nicht so einen Schund kaufen wollen.

Wird denn in der britischen Plattenindustrie noch gefeiert wie zu Ihren Tagen?

Nicht wie in „Kill Your Friends“. Das Geld ist einfach nicht mehr in diesem Umfang da. Diese Fünf-Tage-Spesen-Trips nach Miami oder wilde Partys, das ist heute nicht mehr möglich. Früher, in den 90ern, hat ein Spitzenalbum eine Million Einheiten verkauft, bei einem Preis von zwölf oder 15 Pfund für eine CD, in heutigem Geld entspräche das 25 Pfund, tatsächlich aber kostet ein Album heute sechs oder sieben Pfund, und man verkauft nur ein paar Tausend oder Zehntausend Stück. Diese goldenen Tage werden nicht zurückkommen.

Und welches ist Ihre Lieblingsdroge?

Golf.

Schon klar. Aber …

Na gut, sagen wir früher, als ich deutlich jünger war: alles.

Der Rolling Stone präsentiert: john niven liest aus „Gott bewahre“ (zweisprachig). Mit Nagel und Bernd Begemann (Hamburg, Kiel, Hannover)

21.9. Berlin, Grüner Salon / 22.9. Kiel, Pumpe / 23.9. Hamburg, Reeperbahnfestival / 24.9. Hannover, 3Raum / 25.9. Düsseldorf, Zakk / 27.9. Frankfurt, Brotfabrik / 28.9. Heidelberg, Karlstorbahnhof / 29.9. München, Ampere / 30.9. Augsburg, Pow Wow Coffee / 1.10. Tübingen, Sudhaus / 2.10. Stuttgart, Das Cann / 4.10. Nürnberg, Club Stereo / 5.10. Würzburg, Café Cairo / 6.10. Berlin, Ramones-Museum / Infos: www.buback.de

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