„Es fühlte sich ein bisschen an wie Beten“
DER SCHLAGANFALL VON WOLFGANG Niedecken im November 2011 war ein großes Thema -natürlich für den Künstler selbst, aber auch für die Öffentlichkeit, die medial Anteil nahm. Doch schon 2012 waren BAP wieder auf den Bühnen der Republik, aber erst jetzt bündelt Niedecken das Geschehene. Mit einem in Woodstock, New York aufgenommenen Soloalbum namens „Zosamme alt“, für das er im Lauf der letzten zweieinhalb Jahrzehnte entstandene Liebeslieder für seine Frau noch einmal neu bearbeitet. Ungefähr gleichzeitig erscheint das zweite autobiografische Buch „Zugabe“ (nach „Für ’ne Moment“ von 2012), für das der Autor Oliver Kobold eine Reihe von Gesprächen mit Niedecken verschriftlicht hat. Der Schlaganfall ist dort ein großes Thema -auch deshalb, weil Niedecken etwas klarstellen will.
Herr Niedecken, Sie haben in Woodstock ein Album mit Größen wie Larry Campbell (Bob Dylan) und Steuart Smith (Eagles) aufgenommen. Man fragt sich, warum Sie das nicht schon früher gemacht haben.
Die Idee für ein solches Album gibt es tatsächlich schon lange -schon vor ein paar Jahren sagte mein guter Freund Julian Dawson, nimm doch mal ein völlig reduziertes Album mit amerikanischen Musikern auf, im weitesten Sinne „American Recordings“-mäßig (Album-Reihe von Johnny Cash, Anm. d. Red.). Nach dem Schlaganfall lag ich eine Zeitlang rum, konnte nicht lesen und noch nicht richtig sprechen, da ist mir das wieder durch den Kopf gegangen. Da kam mir die Idee, ein Konzeptalbum zu machen, um mich bei meiner Frau zu bedanken. Plötzlich wusste ich: Jetzt machst du es. Es ging nicht mehr darum, dass ich mir mal was Schönes erlaube – ich hatte ein Anliegen.
In Woodstock sind Sie der musikalischen Welt, die Sie geprägt hat, sehr nah gekommen. Spielen die Musiker dort anders als hier?
Ein Helmut Krumminga oder ein Carl Carlton müssen sich hinter ihren amerikanischen Gitarristenkollegen sicher nicht verstecken. Vielleicht kann man sagen, dass jemand wie Larry Campbell an den gefährlichen Instrumenten einfach ungeheuer geschmacksfest ist.
Gefährliche Instrumente?
Pedal Steel zum Beispiel. Mit dem Instrument kann man ganze Platten ruinieren.
Gibt es so etwas wie Lieblingsmomente der Zeit in den USA?
Natürlich jede Menge -zum Beispiel den, als wir ein Bandfoto auf der Veranda eines alten Pfarrhauses neben dem Studio gemacht haben. John Sebastian war dabei, weil er bei dem letzten Song, den wir aufgenommen hatten, mitgemacht hat. Als die anderen wieder reingegangen waren, stand ich noch draußen und konnte mein Glück ehrlich kaum fassen. Ich habe regelrecht jemanden gesucht, bei dem ich mich bedanken kann -es fühlte sich ein bisschen an wie Beten. Als wir das Album ein paar Wochen später in New York gemischt haben, wohnten Julian und ich in einem Guest House am Abingdon Square, von dem wir morgens mit unseren Gitarrenkoffern zum Electric Lady Studio in der Achten Straßen gegangen sind. Ich dachte, ich gehe soeben durch Greenwich Village, in der Nähe der Jones Street, wo das Cover von „Freewheelin‘ Bob Dylan“ aufgenommen wurde, und von Gerde’s Folk City, wo Dylan damals oft aufgetreten ist. Ich kann mich daran erinnern, wie ich da in den Siebzigern hingepilgert bin, und jetzt laufe ich da selbst mit einer Gitarre durch -nicht einfach so, sondern sozusagen aus beruflichen Gründen. Das war ein großartiger Moment.
Das Album erzählt die Geschichte Ihrer Ehe. Hatten Sie wirklich für jede Phase ein Lied?
Denke schon. Du denkst nie so genau über eine Situation nach, als wenn du darüber einen Song schreibst – du legst dich sozusagen bei dir selbst auf die Couch. Ich verheimliche ja auf dem Album nicht die schweren Zeiten, das wäre prätentiös. Zum Beispiel „Jedanke em Treibsand“, das ist vielleicht der traurigste Song, den ich jemals geschrieben habe. Das war die Zeit unserer Krise, ich dachte, ich hab meine erste Familie in den Sand gesetzt und jetzt passiert mir das noch mal. Was man dann empfindet, ist der Horror.
Wie fand Ihre Frau die Idee, dass Sie ihr ein Album widmen?
Zuerst mal war sie sprachlos, und dann kamen auch schon die Witze aus dem Freundeskreis. Dass wir ihr jetzt erst mal eine Bleiweste kaufen müssen, damit sie nicht abhebt und so weiter.
Mit dem Album und Ihrem neuen Buch machen Sie Ihren Schlaganfall noch einmal zum Thema. Warum?
Ich will etwas klarstellen: Ich hatte keinen Schlaganfall, weil ich zu sehr den Rock’n’Roll gelebt habe oder zu viel arbeite, sondern weil sich in meiner Halsschlagader nach einem schlimmen Husten ein Blutgerinnsel gebildet hat, das dann in mein Gehirn gewandert ist. Ich betone das, damit die Leute nicht immer denken: „Oh Gott, der steht doch schon wieder viel zu lange auf der Bühne, der kriegt gleich wieder einen Schlaganfall, was macht der denn da -muss der denn jeden Abend spielen?“
Ihr Buch heißt „Zugabe“ – das könnte man so deuten, dass Sie bald mit der Musik aufhören.
Im Gegenteil: Wer BAP-Konzerte kennt, weiß, dass wir uns bei Zugaben nicht lumpen lassen.