Ernste Trümmerkunst
Juli 1996 Nach dem Hit „Loser“ galt Beck Hansen als neuer Sprecher seiner Generation, doch mit dem dritten Album war er ein Blues-Mann, der mit Müll handelte.
Beck ****¿
Odelay
Geffen/MCA
Was kommt nach „Loser“? Das haben sich alle gefragt. Die Bosse der Plattenfirma, die mit Beck einen ganz dicken Fisch an der Angel wähnten, und auch die Jugendforscher, die nach dem Tod von Kurt Cobain in ihm the next generation spokesman sahen, also irgendwie auch den nächsten dicken Fisch. Nur der Künstler selbst hat sich das nie gefragt, er brachte nach dem Radiohit und dem dazugehörigen Langspielwerk für das Major-Label vor zwei Jahren einfach, von der gro-ßen Öffentlichkeit unbemerkt, ein weiteres Album heraus. Dem Mega-Seller „Mellow Gold“ folgte der Indie „One Foot In The Grave“.
Beck ist alles andere als der Hänger, zu dem er wegen zerknitterter Hemden und lustlos über den dünnen Körper gezerrter T-Shirts stilisiert wurde. Im Gegenteil: Der junge Mann ist ein Arbeitstier, ein Berserker. Er kann nicht nur immer, er muss! Muss! Muss! So liegen zwischen „Mellow Gold“ und „Odelay“, dem zweiten Major-Werk, nicht nur „One Foot In The Grave“ und an die drei Millionen Beck-Shows, in denen der Knabe mit exaltierten Bühnenshows verwirrte, es kam auch zu Kooperationen mit den wichtigen kreativen Zellen Amerikas.
Calvin „Beat Happening“ Johnson experimentierte mit ihm, Jon Spencer, der auch auf „Odelay“ mitmacht, ließ aberwitzige Remixes für seine Blues Explosion anfertigen, und im Imperium der Beastie Boys dockte Beck ebenfalls an, was stimmig ist, da diese Großunternehmer in Sachen Pop ebenfalls die ihrer Generation unterstellte Slacker-Attitüde ins Gegenteil verkehren, wenn auch mit merkantil ausgerichteter Methodik. Als Folge der Annäherung kann die Tatsache gedeutet werden, dass das neue Album von den Dust Brothers produziert wurde, die auch schon die Aufnahmen zum Beasties-Werk „Paul’s Boutique“ überwachten.
Beck verbreitet eine Aura der Hyperaktivität, was paradoxerweise bei ihm den Zustand der Kontemplation nicht ausschließt. Er muss an der Welt nicht aktiv teilnehmen, und er muss ihre Zeichen, die er recycelt, nicht verstehen. Dass sein geliebter Großvater Al Hansen Fluxus-Künstler war, also aus Schrott Kunst formte, ist in diesem Zusammenhang mehr als eine nette Anekdote.
Der Hit „Loser“ ist nicht nur eine supergeile Hookline, es ist vor allem die Ballade eines Outsiders, der am Geschehen allenfalls beobachtend partizipieren kann. Eine Rolle, die der Künstler – Humor hin, Humor her – jahrelang selbst eingenommen hat. Auf „Odelay“ greift er noch mal spielerisch die Position des Außenstehenden auf, der staunend die Welt betrachtet. Ob ihm das gefällt, was er sieht, ist dabei nie die Frage. „Devil’s Haircut“, das famose, fiebernde Eröffnungsstück, ist eine Art Shopping-Mall-Blues. Auf die geniale Zeile „Discount orgies on the dropout buses“ folgt eine dieser futuristischen Fanfaren, nach denen in Supermärkten die Sonderangebote angekündigt werden. Kaufense! Kaufense!
Beck besitzt ein feines, ausgeprägtes Sensorium. Stell ihn in irgendeine Ecke, und er wird seinen Spaß haben, weil er jedes Geräusch in der Luft gierig absorbiert und seinen Schabernack damit treibt. Wie nebenbei liefert er große, ernste Kunst. Trümmerkunst. Für „Odelay“ sampelt er Riffs aus 30 Jahren Rock-Geschichte und koppelt sie mit Geräuschen, die auf der Straße vor sich hinrosten. Dass einmal fast sein gesamtes Kapital für eine Strafe draufging, die er für ein nicht autorisiertes Sample zahlen musste, hindert ihn nicht daran, in „Jack-Ass“ eine außergewöhnlich lange Passage aus „It’s All Over Now, Baby Blue“ (hier in der von Them gespielten Version) zu übernehmen.
Der Mann handelt mit Schrott. Doch es geht um mehr als das bloße Zusammentragen aufgetragener Sounds. Beck erkundet die Materialität unterschiedlicher Töne, um neue Texturen herzustellen. Der HipHop-Beat, den er fast allen Stücken unterlegt, hilft ihm dabei. Doch stellt er für den Müllhalden-Chemiker mehr als die einfachste Formel dar, disparate Stoffe miteinander zu verbinden. Und in den richtigen Momenten setzt der Beat ganz aus.
Der Song „Novacane“ funktioniert auf ganz vielen Ebenen. Schwere Gitarren schieben sich über einen verwaschenen Funk-Groove, und zwischendurch blitzt ein übertrieben sauberer Disco-Beat auf. „Derelict“ ist morbide. Die Melodie klingt, als spielte hier jemand seine Spieluhr rückwärts, die Feedbacks ziehen dazu matt Schlaufen, und Beck singt: „I feel asleep in the funeral fire.“ Mag er noch so viel mit HipHop arbeiten, Beck bleibt Singer/Songwriter.
Aber einer mit vielen Stimmen. Mal schreit er ins Megafon, mal jagt er seine Worte durch den Stimmenmodulator, und beim Finale, „Diskobox“ betitelt, krächzt er wie aus dem letzten Loch. Ein Dance-Track, vielleicht, oder doch eher eine feinfühlig verkeilte Skulptur aus Klang? Aber es gibt auch Momente der Ruhe in diesem aufreizenden Artefakt. Für „Ramshackle“ lässt Beck die große Jazz-Persönlichkeit Charlie Haden, die gleich bei ihm um die Ecke in Los Angeles wohnt, über den Standbass streichen. Besinnliche Barmusik inmitten krasser Kantstein-Raps. Der Song „Derelict“ hingegen verbreitet dann auch wieder eine angespannte, leicht psychotische Stimmung.
Erratisch ist das und manchmal reichlich wirr, und eine Jugendbewegung wird sich Beck damit nicht erarbeiten. Dafür ist er nahezu der einzige Slacker, der auf der Höhe der Zeit agiert. Wahrscheinlich würde Beck auch durch eines dieser Walkie-Talkies singen, wie man sie sich als Kind aus zwei Konservendosen und einem Bindfaden gebastelt hat. Ob am anderen Ende auch jemand zuhört, ist für den Blues-Sänger erst mal nicht so wichtig.
Autor Christian Buß arbeitete von 1994 bis 1998 für den ROLLING STONE: Spezialist für Indie-Rock, Songschreiber und HipHop. Buß ist heute Redakteur bei „Spiegel Online“.