90. Geburtstag

Erinnerung an John Barry: Der Filmkomponist mit dem besonderen Touch

Mit der Musik zu den James-Bond-Filmen bleibt er auf ewig einem großen Publikum im Ohr. Doch John Barrys Soundtracks entwickelten auch ohne den Einsatz für die Agentenreihe einen nahezu einzigartigen Sog.

„Ich bin im wahrsten Sinne des Wortes in die Welt der Filmtheater hineingeboren worden. Mein Vater besaß acht Kinos im Norden von England. Ich kann mich gut daran erinnern, mit drei Jahren in den hinteren Teil eines Saals gebracht worden zu sein. Ich wusste nicht, was mich erwartete. Ich nahm nur die Schwingtüren und ein großes, dunkles Auditorium wahr – und dann sah ich diese riesige, schwarzweiße Micky Maus auf der Leinwand und hörte das Publikum lachen. Und ich dachte nur: ‚Wow, mein Vater verdient seinen Lebensunterhalt mit großen schwarz-weißen Mäusen‘.“

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Mit sonorer Stimme erzählt Barry von seiner ersten Begegnung mit dem Film. Er selbst hat seine Mäuse nicht mit Cartoons oder Spielfilmen, sondern primär mit Filmkompositionen für rund 120 Spielfilme gemacht. Zu seinen populärsten Arbeiten zählen die Scores, die er für elf Bond-Thriller schrieb, aber auch seine Oscar-gekrönten Werke für „Born Free“ (1966), „The Lion In Winter“ (1968), „Out Of Africa“ (1985) und „Dances With Wolves“ (1990) – Soundtracks, die belegen, dass er sowohl beim Action-geladenen Agentenfilm als auch beim Kino der großen Gefühle zu Hause ist. Es ist vor allem seine Fähigkeit, Bruchstücke von Emotionen in einem Film aufzugreifen und diese im Breitwandformat auf seine Musik zu übertragen.

Seine Karriere begann vor über 60 Jahren, als er nach einigen Erfolgen mit seiner Popgruppe, den „John Barry Seven“, 1960 den Auftrag erhielt, einen Score für den Film „Beatgirl“ zu komponieren. Ein leichtgewichtiger Beatnik-Film aus England, für den Barrys poppiger Sound gerade richtig kam, zumal britische Filmproduzenten damals fast ausnahmslos auf Komponisten mit klassischem Background (wie Muir Mathieson oder Malcolm Arnold) zurückgriffen.

Wie klingt der typische John-Barry-Sound?

Im Zuge des Generationenwechsels bekam Barry 1962 die Chance, auch die Titelmusik für den ersten Bond-Film „Dr. No“ zu liefern und bereits hier seine unverkennbare Handschrift unter Beweis zu stellen: die rhythmische Gitarrenlinie, der explosive Sound der Bläser mit den tiefen Posaunen und den straffen Trompeten, das gesamte Orchester in vollem Swing – ein Sound, der wesentlich zum „Mythos Bond“ beitrug und Barry im Lauf seiner Karriere begleitete. Aber Barry behielt Augenmaß, nahm auch völlig andere Auftragsarbeiten an und sprach in Bezug auf die Bond-Scores gelegentlich gar von „Millionen-Dollar-Micky-Maus-Musik“.

Barry: „Harry Saltzman war ziemlich sauer. Was ich damit meinte und was auch jede intelligente Person nachvollziehen kann, ist: Cartoon-Musik läuft immer parallel zur Handlung, während man mit klassischer Filmmusik kontrapunktisch gegen die Handlung arbeiten kann. Die Arbeit an einem Action-Film gleicht stark der Vorgehensweise bei den Cartoons, vor allem bei Bond-Filmen, wo eh alles überdimensional ist. Alles im ganz großen Rahmen, mit 80-köpfigem Orchester fast wie Wagner zu seiner Zeit. Was aber auch den Spaß ausmachte. Das war es ja, was das Publikum daran so liebte.“

Stilvielfalt

Ein markantes Merkmal in seinen folgenden Arbeiten stellt der Klang des Cimbaloms (dem Hackbrett ähnlich) dar, der in Filmen wie „The Ipcress File“ (1965) oder im Thema der TV-Serie „The Persuaders“ im Vordergrund steht – der perfekte Soundtrack für die Zeit des Kalten Krieges: Düstere Harmonien und elegant swingende Arrangements unterstreichen die Stimmung der Filme. Eine Musik, die bedrohlich um die Ecke schleicht, gleichzeitig aber auch den Silberstreifen am Horizont gleich mitliefert.

Bei aller Stilvielfalt seiner Kompositionen sind es wohl diese eigenwilligen Elemente, die auch heutige Popmusiker wie Portishead, Goldfrapp oder Pulp dazu veranlassen, vom „Barry-Touch“ zu schwärmen – Huldigungen, die der Meister immer gelassen zur Kenntnis nahm: „Offensichtlich gibt’s eine ganze Reihe moderner Bands, die meine Platten hören; ich erhalte oft Songs mit dem Vermerk ‚Inspiriert von John Barry‘. Ich hab nichts dagegen. Es ist schmeichelhaft. Ich hör mir die Sachen auch an, muss manchmal aber doch denken: ‚Oh mein Gott‘. Bei einigen Stücken konnte ich mich beim besten Willen nicht wiederentdecken‘.“

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Während Barry in den 60ern und 70ern an mehreren Filmen pro Jahr arbeitete, nahm er später heute nur noch sporadisch Aufträge an. Darüber hinaus stellte er kurz vor seinem Tod noch die Musik für ein Musical (auf der Grundlage eines Graham-Greene-Romans) fertig und veröffentlichte  zwei Alben mit den etwas prätentiösen Titeln „The Beyondness Of Things“ und „Eternal Echoes“. Für ihn eine Gelegenheit, sich von den Zeitzwängen einer Filmproduktion zu lösen. Auch wenn es gerade die Soundtracks waren, die sein Leben bestimmten.

John Barry verstarb am 30. Januar 2011. Er erhielt im Laufe seiner Karriere fünf Oscars.

Ein (leicht modifizierter) Artikel von Michael Tschernek aus dem RS-Archiv

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