Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Zwei Zwiebeln auf dem Weg nach Dilly Dilly
Ob Proll-Prog, südländische Wehmut oder Blaxploitation-Wumms: Warum Sie unbedingt die Musik von Oliver Onions kennenlernen sollten.
Folge 102
Zugegeben: Man hat in diesen Tagen ja eine Menge zu tun. Ständig klopft die Unausweichlichkeit an der heimischen Pforte – und man ist gut beraten, ihr ohne langes Murren zu öffnen. Was es nicht alles zu erledigen gilt: Ständig muss man überall über die AfD diskutieren, vier Netflix-Serien parallel gucken, sich Gedanken über Sigmar Gabriel machen, lustige Donald-Trump-Bilder auf Facebook posten, und zwischendurch wollen auch noch die ganzen Tüten mit den Chia-Samen sortiert werden. Wäre ich ein cleverer Kriegsgewinnler, der aus der Getriebenheit seiner Zeitgenossen Kapital zu schlagen in der Lage wäre, ich würde wohl das Seminar „Entschleunigung, aber zackzack!“ anbieten.
Es geht aber auch anders. Wenn Sie demnächst mal die Zeit zwischen all diesen Drängnissen gewinnbringend nutzen wollen, schauen Sie sich bitte unbedingt den italienischen Barbarenfilm „Einer gegen das Imperium“ an. Man ist nach diesem Film geneigt, den Schrullen und Macken seiner Mitmenschen – sogar denen von Sigmar Gabriel – gütiger zu begegnen. Man ist nach Sichtung dieses Werkes aber auch geneigt, unter irrem Augenrollen seine Nasenhaare verspeisen zu wollen.
„Einer gegen das Imperium“ handelt, wenn ich die irrlichternde Handlung richtig deute, von einem blonden Fitnessstudiokasper namens Yor, der sich gegen eine Horde Affenmenschen und einen Widersacher namens „Il Supremo“ zur Wehr setzen muss. Zwischendurch gerät Yor zudem noch in libidinöse Misslichkeiten, da er zwischen einer großäugigen Barbarenkönigin und der mit Felllappen bekleideten einzigen weiblichen Überlebenden eines wenig wehrhaften Perückenträgervolks hin und hergerissen ist. Ein Film mithin, der sich Realitätsnähe auf die Fahnen geschrieben hat. Nicht so ein überdrehter, weltfremder „Tatort“-Quatsch, bei dem man ständig fürchten muss, dass Ulrich Tukur gleich anfängt, Klavier zu spielen.
Der Grund, warum ich diesen lehrreichen Film überhaupt hier in meiner Kolumne erwähne, ist natürlich die Musik. Der Soundtrack stammt von Guido und Maurizio de Angelis, einem musizierenden Brüderpaar aus Rocca di Papa, das viele Leser sicher unter dem Namen Oliver Onions (und somit als kongeniale Musiklieferanten für die Spencer-Hill-Werke oder als Interpreten des Früh-Achtziger-Smash-Hits „Santa Maria“) kennen werden. In den Siebziger und Achtziger Jahren belieferten die beiden Männer aus Latium die italienische B-Film-Industrie mit äußerst effizienter Klangware, die häufig die Grenze zum Drolligen und Exzentrischen überschritt. „Einer gegen das Imperium“ hat gar nicht mal den tollsten Soundtrack, aber der den Credits unterlegte Song ist, wie ein Freund von mir sagen würde, „the bomb“. Es handelt sich um ein heiter pluckerndes Stück Italo-Disco-Pop, dem man keine falsche Subtilität vorwerfen kann. Der Text – im schönsten Italo-Englisch vorgetragen – regt zudem massiv zum Nachdenken an und sollte an allen Waldorfschulen im Unterricht durchgenommen werden. Ich fände das nur gut und richtig: Die Musik der Gebrüder kündet von einem kindlichen Gemüt, sie umarmt bei aller handwerklichen Könnerschaft das Alberne und das ist in diesen durchernsteten Zeiten schon mal sehr beklatschenswert. Ich bin ja sogar der Meinung, dass die Herren de Angelis das Schaffen des anderen großen Eklektizisten-Duos Ween vorweggenommen haben, aber damit stehe ich wohl alleine da. Alleinedastehen ist aber auch mal schön.
Am besten sind die Zwiebelgebrüder, wenn sie es so richtig schön krachen lassen. Dies ist vor allem bei ihren Polizeifilmsoundtracks der Fall. Die Musik zu „La polizia incrimina, la legge assolve “ des Regisseurs Enzo G. Castellari ist so ein Fall. Hier sorgen Guido und Maurizio mit einem treibenden Beat-Blues für Tempo, zu dem es sich gar trefflich auf allerhand Fahrzeugen durch genuesische Altstadtgassen rasen lässt. Zusätzlich setzt es ein sentimentales Folk-Stück mit fiebrigem Synthie-Einsatz und eine schwelende Psych-Nummer. Ähnlich zwingend ist ihr Beitrag zu Castellaris Nachfolgewerk „Un cittadino si ribella“, das den tollen Song „Goodbye my friend“ bereithält, ein dräuendes Stück Polizeifilm-Psych-Pop, das von einem geisterhaften Chor und dem gewohnt charmanten Holperenglisch lebt: „Guuuuud bye, maaaaaii friend, you won’t be anymore wiss me.“ Mindestens genau so gut ist der zweite Song auf dem Soundtrack, der „Drivin’ all around“ heißt und genau so klingt. Das Meisterstück der beiden Musiker ist freilich der Score zum Apokalypse-Western „Keoma“ (auch von Castellari inszeniert) die sich anhört wie Leonard Cohen für Geistesgestörte. Man weiß nicht, ob man ehrfürchtig niederknien oder sich kaputtlachen soll. Der beste Nicht-Castellari-Score des Duos ist meines Erachtens der von „Roma Violenta“ (Regie: Mario Girolami), dem es gelingt südländische Wehmut und Blaxploitation-Wumms zu vermählen.
Meistens sind die 70er-Scores der beiden Komponisten irgendwo zwischen Jazz-Rock und Proll-Prog angesiedelt. In der zupackenden Unbekümmertheit, die Guido und Maurizio stets walten lassen, liegt wohl der Grund, warum ich an dieser Musik soviel Freude habe, während nahezu alle anderen Spielarten von Jazzrock und Querflötenmissbrauch bei mir eher Fluchtgedanken auszulösen in der Lage sind.
Noch etwas zum Thema „Namen“: Die beiden diplomierten Komponistenbrüder bedienten sich zeit ihrer Karriere neben „Oliver Onions“ noch etlicher anderer toller Pseudonyme. Zu den schönsten zählen Canary Jones, Donald & Olimpio, Gulliver und Juniper und, äh, Dilly Dilly. Für die Sängerin Gitte komponierten Guido und Maurizio 1982 ein ganzes Album namens „Ungeschminkt“. So hießen Alben damals. Ich fürchte, sie heißen heute auch wieder so. Angeblich haben die zwei musizierenden Zwiebeln im Jahr 1975 auch mal Musik zu einem „Tatort“ beigesteuert. Die Sache bleibt spannend.
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Gedanken im Trüben I: Möglicherweise ist der Titel dieses Pop-Tagebuch-Eintrags der blödeste, der mir bislang unterlaufen ist. Aber was soll’s. Es ist Karneval. Und Krieg. Andererseits kann von beherzt gewählten Namen auch eine gewisse Kraft ausgehen: Wenn wir statt aufeinander einzuhacken mehr Bands gründeten, deren Mitglieder Künstlernamen wie Yor, Gulliver, Canary Jones, Il Supremo oder Ulrich Tukur trügen, wäre unsere Welt womöglich eine friedlichere.
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Gedanken im Trüben II: Möglicherweise ist ein „Tatort“, bei dem man ständig fürchten muss, dass Ulrich Tukur gleich Klavier spielt, deutlich einem „Tatort“ vorzuziehen, bei dem man ständig fürchten muss, dass gleich Dietmar Bär Klavier spielt. Oder gar Til Schweiger. Gleichwohl lehne ich das grassierende Til-Schweiger-Bashing entschieden ab. Der Mann hat sich einfach entschieden, im ewigen „Dune Buggy“ über die Pisten des Daseins zu brettern, und das ist völlig in Ordnung. Solange er nicht Klavier spielt oder singt, soll der ruhig alles machen. Auch Barbarenfilme. Oder Dilly Dilly.