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Eric Pfeils Pop-TagebuchKolumne

Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Reise zu den Stars

Erklimmen wir diesmal die höchsten Gipfel der Retrophilie: Von Woodstock bis zu Elvis’ Erdnussbutter.

Folge 267

Wie ich immer wieder höre, empfinden nicht wenige Menschen die Vorstellung als verlockend, in eine Zeitmaschine zu steigen und in eine vergangene Ära ihrer Wahl zurückzureisen. In einer Umfrage aus dem Jahr 2014 erwiesen sich die Deutschen in diesem Zusammenhang mal wieder als rührend langweilig. Auf die Frage, wohin sie denn gern reisen würden, antwortete die Mehrheit: in die eigene Kindheit.

Beim heiligen Anno Dazumal! Wenn Sie mich fragen, ist die Vorstellung, das schon Erlebte nochmals besichtigen zu müssen, nichts weniger als entsetzlich. Ich hege beispielsweise absolut kein Interesse daran, meinen Grundschullehrern wiederzubegegnen oder noch mal zum Blockflötenunterricht zu müssen. Nein, die eigene Kindheit gilt es zur No-Go-Area zu erklären. Zu- dem liegt bekanntlich auf derlei Selbstfixiertheit kein Segen.

Auch Zeitgenossen, die regelmäßig am Altar der Popmusik knien, neigen zu dem Glauben, es wäre erstrebenswert, sich in vergangene Epochen zu transferieren. Doch wohin wiederum sollte eine solcherart motivierte Reise gehen? Ich nehme an, auch die Ergebnisse einer Umfrage zum Thema der als besonders verheißungsvoll empfundenen Pop-Destinationen fielen nicht allzu überraschend aus. Vermutlich würden sich viele Menschen nur zu gern einmal karg bekleidet und von Lysergsäurediethylamid entgrenzt durch den Woodstock-Schlamm wälzen. Für mich wäre das nichts, allein der Hygiene wegen.

Woodstock 1969

Andere weilten wohl bevorzugt mal mit den Beatles in Indien. Auch das käme für mich nicht infrage, ich würde das dort gereichte Essen vermutlich noch schlechter vertragen als Ringo Starr. Es ist schließlich Essen aus den 60er- Jahren! So eine Studiosession der Beatles – sicher, da wäre auch Ihr Chronist gern mit von der Partie. Aber man darf nicht vergessen, was man den im Studio Anwesenden alles erklären müsste, wenn man sich da plötzlich aus dem Nichts neben George Harrisons Sitar manifestierte: Stress pur! Und nicht dass den Beatles vor lauter Schreck über den unverlangt eingesandten Gast „When I’m Sixty-Four“ oder Ähnliches misslänge.

Nein, dann doch lieber ein Ausflug ins Studio 54 des Jahres 1978, ins CBGB des Jahres 1980 oder in den Ratinger Hof desselben Jahres: Da könnte man sich gut unters Volk mischen, auf Zeitreisen ist Anonymität Trumpf.

Wenn schon durch die Zeit reisen, dann könnte man ja auch…

Megalomanisch veranlagte Musikfreunde könnten auf den Gedanken verfallen, die Exkursion um das Element des Kreativen zu bereichern, und sich berufen fühlen, einmal in der bevorzugten Ära angekommen, in den popkulturellen Zeitenlauf einzugreifen: Sie könnten zu verhindern versuchen, dass Buddy Holly seine schicksalhafte letzte Flugreise anträte und allzu früh seinem Schöpfer ins blutunterlaufene Auge sähe. Sie könnten danach trachten, den Moment zu vereiteln, da Elvis erstmals Bekanntschaft mit der Bibel machte oder Kenntnis von den Wonnen der Erdnussbutter nähme. Es böte sich auch die Chance, Eurodance oder Nu Metal zu verhindern. Aber mit derlei Eingriffen in den Gang der Dinge sollte man vorsichtig sein.


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In seinem Roman „Geschichte machen“ lässt der Autor Stephen Fry seinen Protagonisten die Zeugung Adolf Hitlers verhindern. Eine gute Idee, sollte man annehmen. Doch die Folgen dieser Einflussnahme sind verheerend, denn schon bald findet sich der Held in einer Gegenwart wieder, die man niemandem an den Hals wünschen möchte. Die bittere Lehre: Der Faschismus hätte selbst ohne den Mann aus Braunau seinen Siegeszug angetreten.

Doch auch Fry beschäftigt sich in seinem Roman ganz nebenbei mit der Option, in den Verlauf der Pop-Historie zu intervenieren. An einer Stelle des Romans lässt er die hochrationale Freundin des Protagonisten sagen, das Erste, was ein vernunftbegabter Vergangenheitsreisender täte, wäre, im Manchester der Siebziger die Gebrüder Gallagher nach der Geburt zu trennen und somit die Gründung von Oasis zu verunmöglichen. England’s Dreaming.

Ralph Ackerman Getty Images
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