Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Wie ich einmal neue Lautsprecherboxen brauchte
Von Abstrahlverhalten, vernickelten Terminals und Folienkondensatoren
Folge 259
Ich möchte die Kolumne diesmal mit einem Geständnis von nicht unerheblicher Tragweite einläuten: Ich habe sehr schlechte Boxen. Schlimmer noch: Mein gesamtes Musikhören fndet auf Basis von Equipment statt, das bei HiFi-Fans für Mitleid, ja Ekel sorgen dürfte.
Zumindest gehe ich davon aus. In meiner Vorstellung sitzen die Leserinnen und Leser des Pop-Tagebuchs allesamt vor
edlen Connaisseur-Boxen aus Nussbaumholz, die zudem auf der Grundlage jüngster Erkenntnisse auf dem Sektor
der Raumakustik exakt dort stehen, wo sie stehen müssen, um dem zuvor von mehreren Tontechniker-Teams gründlich vermessenen Raum mit perfektem Klang zu schmeicheln. Bei mir stehen die Boxen einfach nur irgendwo rum. Manchmal fällt auch eine kurzzeitig aus. Ich bin der festen Überzeugung, dass man gewisse Aspekte des Lebens in konstanter Unruhe halten sollte.
Manchmal werde ich aber auch schwach. Vergangene Woche erst war ich bei einem Freund eingeladen, der stolz seine Boxen nebst Subwoofer vorführte. Er tat dies mit einem Stück Musik, das mir gar nicht gut gefel, aber total super klang. Welche Boxen, welcher Verstärker, welche – ich sagte es wirklich: „Kette“ denn wohl am besten für mich geeignet sei, ich wolle doch so gern endlich mal meine Jonathan-Richman-Platten in vollem Ornat hören. Ach, das sei ganz einfach sagte der stolze Boxenbesitzer. Er werde mir ein paar Links zu entsprechenden Seiten im Internet schicken, da könne ich mich rasch schlau machen. Das sei ganz und gar kein Zauberwerk. Er verfuhr wie angekündigt, und schon am nächsten Tag begann ich mich durch die Texte zu graben.
Es war, als läse ich über Mähdreschertechnik oder Innovationen auf dem Gebiet der Staubsaugerkunde: Fortgeschritten
unfasziniert kämpfte ich mich durch Beschreibungen von unterschiedlichen „Abstrahlverhalten“, „vernickelten Terminals“ und „Folienkondensatoren“. Nach einer halben Stunde brach ich schwirrenden Kopfes ab. Vor ein paar Jahren war ich mal zu Gast bei einem Bekannten, der als Redakteur eines HiFi-Magazins tätig war und mich überreden wollte, doch für sein Blatt entsprechendes Equipment zu testen. Man bekomme das Zeug bequem nach Hause geschickt und müsse dort alles nur noch zusammenbasteln und verkabeln. Allein daran würde es bei mir schon scheitern, sagte ich. Doch der Gastgeber blieb hartnäckig und schob mich in sein Musikzimmer. Dort platzierte er mich vor der zu jenem Zeitpunkt von ihm zu prüfenden High-End-Anlage. „So etwas hast du noch nie gehört!“, sprach er, legte irgendeine Musik auf und ließ mich mit der Bitte allein, mindestens eine halbe Stunde nur zu lauschen. Es wurde eine der längsten halben Stunden meines Lebens.
Ich hörte Klang. Tollen Klang. Den „Sound of Sound“, um mit Robyn Hitchcock zu sprechen. An die Musik kann ich mich nicht erinnern. Vielleicht hätte ich sein Angebot, journalistisch auf dem Sektor der Musiktechnik zu reüssieren, annehmen und meine vermeintliche Ahnungslosigkeit als Stärke begreifen sollen: mit Inkompetenz zur Wahrheit. Ich hätte den HiFi-Markt mit unzulänglichen Texten gewissermaßen von innen aushöhlen können. Nach drei komplett irren Artikeln voller haltloser Frequenz- und Resonanz-Analysen wäre ich vermutlich rausgeworfen worden.
Vielleicht hätte ich die Welt aber mit meinem kurzzeitigen Wirken ein klein wenig besser gemacht. Vielleicht auch nicht. Aber es ist ja noch nicht zu spät: Ich könnte etwa diese Kolumne hier schleichend zu einer Fachglosse für hochwertige Musikwiedergabe ummodeln und doch noch auf meine alten Tage anfangen, mir tonnenschwere Technik nach Hause schicken zu lassen. Das Problem mit Aufbau und Verkabelung bliebe zwar bestehen, aber meine Frau versteht sich auf so etwas. Auch Autoanlagen könnte ich testen; ich bräuchte dann nur ein Auto. Egal. Ein ganz neuer Lebensabschnitt könnte beginnen.
Was ich eigentlich sagen will: Ich glaube, ich brauche dringend neue Boxen. So geht es nicht weiter. Vielleicht hat ja jemand einen Tipp für mich.