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Eric Pfeils Pop-TagebuchKolumne

Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Wenn es dunkel wird im September

Ein Lob auf Shari Vari: Das Duo besitzt eine Gabe, die in der Popmusik schon oft, zu unterschiedlichsten Zeiten, entscheidend war: Es kann Dunkelheit hörbar machen. Und dass in dieser Dunkelheit nicht nur Schrecken lauert, sondern auch Aufregung und Spaß. Besser kann’s kaum werden in diesem Jahr mit der Popmusik.

Folge 188

Die beiden Frauen in schwarz, jeweils mit dem Konterfei der anderen auf dem Shirt, wirken mit ihren Keyboards und Laptops anfangs ein wenig verloren in der Passage des Kölner Ebertplatz. Es ist viertel vor sieben, ein Donnerstagabend im September. Man möge doch ein paar Schritte nach vorne kommen, bittet die eine der beiden, Sängerin Sophia Kennedy, die umherstehenden Armeverschränker, dies hier sei schließlich „ein richtiges Konzert“. Ganz vorne hat es sich einer schon in einem Strandstuhl bequem gemacht, im Hintergrund tastet sich ein junger Herr mit Blindenbrille und Stock durch die Szenerie, ein anderer filmt ihn dabei: irgendetwas Performatives. Gelegentlich hasten Straßenbahnpassagiere und einkaufswillige Anwohner durchs Bild.

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„Während du genauso gut Kölsch sprichst wie trinkst, stößt dein Konto den Bau neuer Windräder an“, heißt es auf einem im hinteren Teil der Passage hängenden Werbeplakat eines Kreditinstituts.

Betonbühne Ebertplatz. Hier, wo sich Dealer und Hipster gute Nacht sagen und tagsüber die Aperol-begierigen Grünwähler des Agnesviertels ohne städtisches Dazutun darum bemüht sind, den übelbeleumundeten Platz in einen familientauglichen Feelgood-Spot umzufunktionieren, spielen also an diesem Spätsommertag Shari Vari, ein Hamburger Duo, bestehend aus der Filmemacherin und Musikerin Helena Ratka und der Sängerin Sophia Kennedy. Sie sind das Beste, was dem deutschen Pop seit 836 Jahren passiert ist.

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Kennedy, gebürtig aus Baltimore, könnte manchem schon ein Begriff sein. Ihr Debüt-Album – auf DJ Kozes Pampa Records veröffentlicht und von Mense Reents produziert – war eines der besten Alben des Jahres 2017 und verband sonderbar selbstverständlich Kunstliedhaftes, Avant-Pop, Chanson und Electronica. „Being Special“, der kleine Hit der Platte, war der lebensweiseste Popsong, der in jenem Jahr veröffentlicht wurde: „Being lonely makes you special / but being special makes you lonely too“, sang Kennedy mit faszinierender Altstimme. Ein Lied, auf das man ewig gewartet hatte, ohne es zu wissen. Jetzt also Shari Vari. Zwar veröffentlichte das Duo bereits vor drei Jahren die EP „Life Should Be a Holiday“, lag aber wohl eine Weile wegen Kennedys Solo-Debüt auf Eis. „Now“, das Mitte September erschienene erste Album der beiden Musikerinnen, wurde denn auch über mehrere Jahre in unterschiedlichen Studios zwischen Hamburg und Las Palmas aufgenommen.

Inzwischen steht man also etwas näher – trotzdem bleiben Shari Vari angenehm unnahbar. Früh schon spielt das Duo die erste Single „Out of Order“ – ein wunderbar depressiv dräuendes Club-Pop-Wunder: Während Ratka das Laptop kontrolliert, allerhand Percussion-Geräte bedient und Trommeln spielt, stakst Kennedy von einem Bein aufs andere, wechselt zwischen zwei Keyboards, hebt wie in tiefer Verinnerlichung unterkühlter Diven-Posen die Augenbrauen und singt mit einer Stimme, in der sich Nico, Hildegard Knef und Grace Jones zu begegnen scheinen: „This is what I mean when I say that I’m lost /When everything I once knew / is out of order“. Es sind beileibe nicht die dunkelsten Zeilen auf „Now“.

Wer „Twin Peaks“ sagt, kriegt Ebertplatzverbot!

Was in dieser Musik alles los ist! Der Schluckauf-Elektrobilly von Suicide trifft die kühle Distinguiertheit von Discques-du-Crépuscule-Veröffentlichungen der 80er. Kunstliedhafte, fast barocke Momente münden in tribalistischem Getrommel. DIY-Elektronik knallt auf mysteriöse Neo-Noir-Atmosphären. Kiefernwälder wiegen sich im Wind, irgendwo flattert ein roter Samtvorhang. Aber Vorsicht: Wer „Twin Peaks“ sagt, kriegt Ebertplatzverbot!

In manchen Momenten wünscht man sich, nicht hier draußen im Septemberlicht in der Waschbetonwüste, sondern in einem dunklen Parallelwelt-Nachtclub zu stehen und diesen geheimnisvollen und verzwirbelten Nachtliedern zuzuhören. Aber letztlich zeigt sich gerade hier, inmitten der Urbanprofanität der Kölner Nordstadt, wie sehr diese Musik dazu fähig ist, Dinge und Orte zu verzaubern. Ein Herr in seinen späten Vierzigern, der eben noch an einer Säule lehnte und des Clubbings eher unverdächtig erscheint, tanzt inzwischen beseelt alleine vor der Bühne.

Shari Vari, das wird an diesem Abend klar, besitzen eine Gabe, die in der Popmusik schon oft, zu unterschiedlichsten Zeiten, entscheidend war: Sie können Dunkelheit hörbar machen. Und dass in dieser Dunkelheit nicht nur Schrecken lauert, sondern auch Aufregung und Spaß. Besser kann’s kaum werden in diesem Jahr mit der Popmusik.

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